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Auftritt der Trickdiebin und Einbrecherin

Still und heimlich klettert eine kleine, hagere Gestalt an der Echtsteinfassade nach oben, die Augen stets auf die Fenster gerichtet. Zwar verschmilzt ihre Figur nahezu ideal mit den Schatten der Nacht, doch der flüchtige Blick eines Menschen, gepaart mit einem unglücklichen, zufälligen Lichtschein, hätte sie leicht verraten.

Geschickt nutzt sie ihren Dietrich. Das Fenster ist nicht sonderlich gut gesichert. Im Gegenteil sogar: Die Flügel gleiten unter ihren behandschuhten Fingern schnell zur Seite. Keine zwei Herzschläge später ist sie schon drinnen, auf der Suche nach ihrer Beute.

Amalia ist in der Tat eine äußerst geschickte Einbrecherin und Diebin. Wie auch Sophos ist sie eine Sari, die es auf die Erde verschlagen hat. Ebenso wie Sophos ist sie in diesem Bild, in diesem Augenblick und nahezu der selben Zeit, in der er in der Bibliothek im Kloster Engelberg sitzt und zum ersten Mal die Geister sprechen hört, 13 Jahre alt geworden. Keiner von beiden ahnt vom jeweils anderen, keiner von ihnen die Verbindung zwischen ihnen und viele hundert Kilometer Distanz liegen zwischen ihnen – denn statt in Deutschland hat es sie in ein überaus nobles Viertel von London verschlagen. Selbstverständlich – und das sieht man an ihrer Kleidung ziemlich schnell – lebt sie nicht dort. Sie ist im Gegenteil eine Verbrecherin, die von einer Jugendgang aufgenommen wurde und ihr Talent einsetzt, um über die Runden zu kommen.

Auffällig und gleichzeitig einige Fragezeichen auslösend dürften ihre Handschuhe sein, die sie eben nicht nur an den Händen, sondern auch an den Füßen trägt. Zwar ist Fußbekleidung für sie nicht zwingend notwendig (wenngleich modisch auch durchaus angesagt), doch beim Schleichen, stillen Fortbewegen und den Bemühungen, möglichst keine Spuren zu hinterlassen, würde ihr ihre Anatomie andernfalls einen kleinen Strich durch die Rechnung machen. Denn wie man an ihrem Aussehen erkennen kann, steckt auch ein wenig eines Geparden in ihren Genen. Diese Gene verleihen ihr nicht nur den schlanken Körperbau, sondern eben auch den Makel, dass die durchaus vorhandenen Krallen an ihren Zehen nicht vollständig verschwinden können. So sehr sie sich auch anstrengen mag – ohne die dünnen Stoffsocken mit den ledernen Fußspitzen würden ihre Krallen bei jedem Schritt leise Geräusche machen, im Holz eventuell sogar minimalste Kratzspuren hinterlassen. Nichts von beidem möchte sie – und lebt so mit dieser Notwendigkeit.

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