Wir alle – und nahezu alle Filme – haben sie: Mann in der Hauptrolle, Mann als den typischen Helden. Der Grund dafür ist simpel: Filme mit Helden sind üblicherweise Actionfilme – und Actionfilme werden primär vom männlichen Geschlecht angesehen. Hinzu kommt noch, dass die meisten Actiondarsteller, die meisten Stuntmen (da steckt schon das Wort „Mann“ drin) und auch weite Teile der Filmcrew lange Jahre eben NUR männlich waren und sind. Und wir alle sind mit Märchen aufgewachsen, wo es der Ritter in strahlender Rüstung ist, der die arme Prinzessin aus den Fängen des Bösewichts rettet oder die böse Hexe tötet.
Heldinnen hatten es in der Popkultur und der Film- und Fernsehwelt schon immer schwer. Ein Versuch, eine starke, weibliche Hauptfigur aufzubauen, gelang so mit Wonder Woman, geriet aber schnell in Verruf, weil ihr Schöpfer sie nicht ohne Hintergedanken erschaffen hatte – sowohl das Lasso wie auch ihre persönliche Schwäche (nämlich den Verlust all ihrer Superkräfte, wenn sie gefesselt wurde) entsprangen seinem persönlichen Bondage-Fetisch. Das lastete natürlich auf dem Image der größten, weiblichen Antwort auf den mächtigen Superman. Hinzu kommt noch, dass Wonder Woman – wie leider die meisten DC-Helden – eine eher flache und uninspirierte Hintergrundgeschichte hat. Ihr Alleinstellungsmerkmal und Stärke kommt bspw. allein dadurch, dass sie von einer Insel stammt, auf der es eben keine Männer gibt. Aber gut – wenigstens ist ihre Motivation kein verstorbenes Familienmitglied…
Doch zurück zu den starken, männlichen Persönlichkeiten. Es ist überraschend schwer, einen GUTEN, starken, männlichen Hauptcharakter zu schaffen. Superman ist da ein schönes Beispiel für – gäbe es die kleine Schwäche mit dem Kryptonit nicht, die mehr ein MacGuffin als vitaler Storypunkt wäre, er wäre in der Tat ein völlig flacher und sinnloser Kerl mit Superkräften und somit langweilig. Seine Faszination entfaltet Superman daher auch nur durch die Nutzung seiner Superkräfte und die filmischen Tricks, die angewendet werden. Wohin das führt, sieht man in den Anime- und Zeichentrickadaptionen mit Superman, wo es Limitierungen von Fantasie und Kulissenbau bekanntermaßen nicht gibt. Eben weil Superman so ein nahezu grenzenlos mächtiger Charakter ist, eskalieren diese Serien und Filme gerne einmal ins völlig Überzogene und Lächerliche, in denen ganze Landstriche, Städte und Co. verwüstet werden. Spätestens wenn der achte Wolkenkratzer als „Kollateralschaden“ unter den Angriffen dieses Kerls in Spandex zusammenkracht, fängt der von dem ganzen Actiongekrache eher wenig beeindruckte Zuseher an, sich zu fragen, wer denn von den beiden Kontrahenten jetzt der größere Bösewicht, die größere Gefahr für die Allgemeinheit ist.
Die wirklich interessante Rolle an Superman ist dann auch eben nicht seine Superheldenrolle, sondern seine Verkleidung – Clark Kent. Nun heißt der Film und die Serie eben aber nicht „Die Abenteuer von Clark“, sondern eben „Superman“. Der Teil, bei dem die interessanteste Charakterentwicklung stattfindet, ist also höchstens ein nebensächlicher Kleinstschauplatz.
Ein absoluter Gegenentwurf dazu ist ein Tony Stark aka Iron Man, wobei dieser eine ganze Armada an Überarbeitungen über sich hat ergehen lassen müssen, ehe wir das Endergebnis von Robert Downey Jr. in den Kinos präsentiert bekommen haben. Von der Charakterentwicklung und -tiefe ist er von allen Varianten in der Tat die Beste, durchlebt er schwindelerregende Höhen, stürzt er tief ab, rappelt er sich wieder hoch, stürzt ab, hat ein angespanntes Verhältnis mit seiner Assistentin/Geliebten/Frau. Streng genommen ist er nicht etwa die Repräsentation eines John Doe, sondern eher eine Überzeichnung eines John Doe in jeder Beziehung. Aber eben gerade, WEIL die Stärken und Schwächen jeweils so extrem in alle Richtungen überzeichnet sind, funktioniert es dann doch wieder.
Mein persönlicher Favorit für starke, männliche Hauptrollen stammt dabei aber aus einem Film, der 2004 noch vor den großen Marvel-Hits eine tolle Comicverfilmung präsentierte und einen einerseits starken Charakter, aber eben auch einen verletzlichen, von einer inneren Energie getriebenen Menschen als Hauptdarsteller präsentierte: The Punisher. Ein Hauptcharakter, dessen Trauma wir live miterleben (müssen), der eben KEINE Superkräfte hat, sondern sich lediglich auf seinen Willen, seine menschlichen Fähigkeiten verlässt und zielstrebig, aber dennoch mit dem Herzen am rechten Fleck davon getrieben wird, Gerechtigkeit für den Tod seiner Familie – und hinterher auch für alle anderen, den Leid widerfahren ist – zu erkämpfen. Sein größter Vorteil im Film ist dann aber noch die Tatsache, dass er einen charismatischen, glaubwürdigen und mindestens ebenso starken Widersacher von einem wirklich fantastischen John Travolta entgegen gesetzt bekommt.
Ideale, starke, männliche Charaktere sind jene, die glaubwürdig und zumindest in ihrem Universum glaubwürdig agieren. So ist ein Mad Trakker in MASK – obwohl die Technologien, seine scheinbaren Finanzmittel und die enge Vernetzung einer Geheimorganisation völlig abwegig in unserer Welt, aber glaubwürdig in dieser gegebenen Welt – ein charismatischer, starker Hauptcharakter, ein He-Man dagegen nur ein starker, blonder Muskelprotz ohne Tiefgang. Beide stammen mehr oder minder aus der selben Generation, jedoch könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Der eine betont zwar, dass er seine Freunde brauche, ist in Wirklichkeit aber eher das Zeichentrick-Ebenbild eines Superman, bei dem die Freunde auch nur Christbaumschmuck sind.
Die wahre Stärke eines männlichen Hauptcharakters kommt somit primär daher, dass er EIGENTLICH ein schwacher Charakter ist, der aber über diese Schwäche hinauszuwachsen in der Lage ist, der sich entweder selbst oder dank der Hilfe seiner Freunde, von Gefährten, von Unbekannten oder einfach nur, weil ihm das Schicksal zulächelt, aus der Schwäche heraus befreien und über sich hinaus wachsen kann. Hat man einen Charakter, der DAS geschafft hat, dann zieht dieser Charakter einen in den Bann, DANN wird der Charakter „rund“.
Ein Beispiel für eine solche Szene möchte ich hier gerne erneut mit einem Marvel-Moment in Erinnerung rufen: Es ist die Szene aus Spider Man 2 mit Tobey Maguire, als dieser die U-Bahn vor dem sicheren Absturz gerettet hat und vor Schwäche zusammensackt, daraufhin von niemand geringerem als den Insassen seinerseits gerettet und geschützt wird. Dieser Moment im Film hat eine Wirkung – und diese Wirkung hat er genau deswegen, weil er zeigt, dass er, der er ein Wesen mit übermenschlichen Fähigkeiten und Kräften ist, eben am Ende doch auch nur ein Mensch ist, ein Charakter, in dem wir uns alle wiederfinden könnten oder sogar können.