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Kapitel 1 – Die „Akquise“ einer Todesritterin

Eine bedrückende, fast schon beängstigende Stille lag über der Kriegshymnenfestung tief im Norden von Azeroth. Hier, in der Boreanischen Tundra, war sie vor einigen Jahren noch wie ein Fremdkörper inmitten der Ödnis aufgebaut worden, um den Elementen und den Nerubern, die in ihren Höhlen darunter lauerten, zu trotzen. Doch mit den Jahren kam der Verfall und der Frost sowie das raue Wetter taten ihr Übriges, um die einst gewaltige Festung nun so zu formen, wie das Land in Jahrtausenden durch Wind und Wetter seine Form erhalten hatte.
Die Orcs im Inneren verrichteten immer noch ihren Dienst, trieben die Gobllinarbeiter an, Reparaturen an den wichtigsten Stellen durchzuführen und die Festung „bereit“ zu halten. Bereit wofür wusste zwar niemand, doch man erwartete stets ein Wiedererwachen der untoten Diener des Lich-Königs, der vor Jahren auf der Spitze seiner Zitadelle geschlagen und besiegt worden war. Jene Helden, die bei dem Ende des dunklen Königs anwesend waren, verkündeten eine neue Gewalt, die die Geißel im Zaun halten sollte, obwohl die Ghuls, Skelette, Neruber, Vrykul und anderes Gezücht zweifelsohne weiterhin über Nordend fegen und das Land in Tod und Chaos stürzen wollen würden. Tatsächlich brandeten kurz nach dem Sieg über den Lich-König vereinzelte Angriffswellen der Geißel über die Festungen der Horde – und auch die Vorposten der Allianz, so berichteten Späher, waren Ziel der Angriffe gewesen. Aber ihre Schlagkraft war weit geringer, als man hätte denken können. Und ihre Zahl nahm mit den ins Land ziehenden Monden immer mehr ab, bis sie vor etwa zwei Jahren gänzlich versiegte. 
Dann ging Aufruhr durch die Festung. Nicht etwa wegen eines bevorstehenden Angriffs, sondern weil am Horizont die unverkennbare Silhouette eines goblinischen Zeppelins auftauchte. Ein Versorgungsschiff, wie es mittlerweile nur noch alle paar Monde kam. Und dennoch konnte an Bord jenes Versorgungsschiffes auch ein großer Held der Horde, ein ranghoher Offizier oder gar der Kriegshäuptling selbst sein, der sich gegen den komfortablen und direkten Weg mittels Magierportal entschieden und den langen, beschwerlichen Weg mittels Heliumbombe gewählt haben mochte, um eine Überraschungsinspektion zu veranstalten.
So schnell die Peons angetrieben werden konnten sausten Füße durch die Festung, richteten Hordebanner zurecht, wischten über den mit Schmutz verschmierten Boden, räumten die Flaschen billigen Fusels beiseite und legten die Bücher eindeutigen Inhalts in nicht einsehbare Nischen. Gerade noch rechtzeitig zog der Interimskommandant Mugalok den Bauch ein, schob seinen Gürtel in die richtige Position und stellte sich an die Andockplattform, um den möglicherweise wichtigen Gast begrüßen zu dürfen.
Ein Goblin grinste ihn von knapp oberhalb seiner Kniescheibe an. Die feine Lederrüstung, die er trug, war für die in Nordend herrschende Witterung dank ihres dicken Futters genau das Richtige, wirkte aber dennoch so teuer, als könnte man für ihren Gegenwert drei dieser Festungen, in der sie gerade standen, kaufen. Inklusive des nötigen Personals versteht sich. Unverkennbar waren auch die beiden goldenen Schneidezähne des Goblins, die Mugalok anstrahlten. 
„Willkommen in der Kriegshymenfestung in der Boreanischen Tundra. Was verschafft uns die Ehre eures Besuchs?“ spulte Mugalok die eintrainierte Begrüßung ab. Einen Goblin auf diese Art zu begrüßen, war ihm alles andere als angenehm, doch wer weiss – vielleicht war genau das der Trick des Kriegshäuptling, um seine Aufrichtigkeit zu testen. Also verzog er keine Miene und blickte respektvoll auf den kleinen Besucher hinab.
„Ahh, ja, danke. Wie ich sehe genauso heruntergekommen, wie mir meine Kontakte berichtet haben. Nun egal, ich bin auf der Suche nach jemanden und hoffe, dass ihr mir dabei helfen könnt.“ Begann der Goblin, seine Schritte mit wissendem Blick um sich herum die Treppen hinab und in die Festung leitend.
„Wenn ihr eine Erfrischung sucht, so werdet ihr in der unteren Ebene bei unserem Gastwirt sicher fü…“ fuhr Mugalok mit seinen Standardtexten fort. Doch der Goblin unterbrach ihn unmittelbar.
„Es geht mir nicht um euren Fusel. Das Zeug bekommt eh keiner mit mehr als drei Hirnzellen runter, ohne bleibende Schäden davon zu tragen. Ich suche eine bestimmte Taurin.“
Mugalok stockte. „Wir haben einige Gäste unten. Tauren und Taunka. Vielleicht findet ihr bei diesen…“
„Unwahrscheinlich. Es sei denn eine dieser Damen ist zufälligerweise eine Todesritterin.“
Die Augen von Mugalok weiteten sich. Todesritter, die Elite der Geißel. Einige von ihnen hatten die Treue des Lich-Königs verlassen und sich der Horde und der Allianz angeschlossen. Jene Todesritter, auch bekannt als die „Ritter der schwarzen Klinge“, waren essentieller Bestandteil der Front gegen die Geißel und hatten einen wichtigen Anteil am Sieg gegen Arthas gehabt. Gerüchten zufolge soll es gar eben so eine Taurin gewesen sein, wie dieser Goblinbesucher gerade beschrieb, die dem Lich-König zusammen mit dem Paladin Tirion Fordring den Todesstoß verpasst und die übrigen Streiter damit gerettet hatte. Aber nach dem Ende des Lich-Königs waren Ritter der schwarzen Klinge in alle Himmelsrichtungen verstreut worden, hatten die kalten Weiten Eiskrones verlassen, um ihr Schicksal zu suchen und neue Aufgaben zu finden. Mugalok selbst hatte überhaupt nur einmal einen Todesritter gesehen – einen Troll, um genau zu sein – und dessen Anwesenheit bis tief in seine Knochen gespürt. So intensiv war die Kälte gewesen, die von jenem schlaksig-dürren Wesen ausging.
„Es tut mir leid, aber so jemanden werdet ihr hier nicht mehr finden. Und die Attacken der Geißel sind seit über zwei Jahren verebbt. Anhänger der Geißel findet ihr sicher nur noch tief in Eiskrone.“
Der Goblin nickte zufrieden ob dieser Information. „Eiskrone also. Nun gut, dann werde ich mich einmal in dieser Gegend umsehen. Vielen Dank Dicker. Bis später dann.“ Tönte der Goblin, pfiff einmal schrill durch seine Finger und blickte in Richtung des Zeppelins. Dieser begann schlagartig zu Zucken und sich zu schütteln. Dann brach ein anderer Goblin auf einer riesigen, rundlichen und blank polierten Rakete reitend durch das Deck des Zeppelins, steuerte das massive Projektil zielsicher auf den pfeifenden Goblin zu und brachte es schließlich genau vor ihm zum Stehen.
„Eure Rakete, Meister Kweezil. Viel Erfolg bei der Jagd.“
„Danke Ziz.“ Antwortete Kweezil, wie der Goblin offensichtlich hieß, griff in seine Gürteltasche und brachte eine Goldmünze hervor, die er geübt zu der Goblindame herüber schnippte, während er das Gefährt bestieg. Dann tippte er auf die Armaturen vor sich herum.
Ziel: Eiskrone.
Mit einem weiteren Rauschen donnerte die Rakete los, brach dabei durch eine der dünnen Außenwände der Festung und schoss hinaus in die Kälte.

Das Kolosseum der Kreuzfahrer war einst ein ehrfurchtgebietender Bau. Obwohl er inmitten der Schlachten gegen die Geißel errichtet worden war, thronte dieser Schauplatz eines Turiners zur Auswahl der besten und stärksten Champions zum Kampf gegen den Lich-König direkt und unmittelbar unter dessen Augen, spottete auf dessen Schrecken und wirkte dank der vielen Kämpfer, die nahe der großen Arena in den Zelten und der Kapelle hausten, wie ein sicherer Hafen inmitten des sicheren Todes. Doch ebenso wie alle Festungen in Nordend war es auch der Turnierplatz der Argentumdämmerung, der mit dem Ende des Lich-Königs geräumt und von nahezu allen Kräften verlassen worden war. Die Geißel spürte diese Schwäche und war in großen Scharen darüber hergefallen, um diesen Fremdkörper aus ihrer Mitte zu tilgen und damit das schwache Licht der Hoffnung zum Erlöschen zu bringen. Zelte waren abgebrannt, Mauern eingerissen und Holzbalken zerschlagen worden. Am Ende blieb somit nur noch ein Haufen Geröll und Asche. Lediglich an der Stelle, an der sich die Kapelle befunden hatte, war die Geißel nicht ganz so vollständig gewesen. Zwar lag der Altar in der Mitte gespalten umgeben von rußgeschwärztem Holz, waren die Bänke kaputt und die Zeltplanen, die einst das stolze Dach bildeten, zerrissen oder verbrannt, aber man konnte noch die genauen Umrisse der Kapelle erkennen. Und auch der Boden war noch, von der dunkleren Färbung abgesehen, weitestgehend intakt.
Eine große, dunkle und gänzlich mit Runen verzierte Zweihandaxt steckte vor dem Eingang der Kapelle in tiefes Eis geschlagen. Von dort führten Spuren aus Schnee und Schmutz ins Innere der Kapelle und direkt vor den Altar. Dort kniete, ein völlig verrußtes und teilweise verbranntes Gebetbuch in der einen, eine Feder in der anderen Hand haltend, eine Taurin. Ihre Augen glühten leicht bläulich, während sie die Feder mit geübtem Schwung über das Papier bewegte und in einer unbekannten Runenschrift Zeichen zu jenen ergänzte, die bereits auf Papier geschrieben standen.

„Da unten. Sie ist wieder in der Kapelle. Unbewaffnet.“ Flüsterte einer der Vrykul, der in Deckung auf dem Hügel neben der Kapelle lag, zu seinen Begleitern. „Sie ist abgelenkt. Das ist unsere Chance.“
„Nein, warte. Vergiss nicht, was mit den anderen passiert ist, die sie nur zu fünft angegriffen haben.“ Entgegnete einer seiner Begleiter.
Natürlich hatte er das nicht vergessen. Seit über zwei Jahren waren die Vrykul gemeinsam mit den Ghulen und den übrigen Kräften nur hinter dieser einen Taurin her, die es geschafft hatte, die Fleischwerke einzureißen und den Zugang zur Seelenschmiede mit einem Erdrutsch zu versperren. Seither war der Nachschub an untoten Dienern zum Erliegen gekommen. Und obwohl sie vom Lich-König weit oben von der Spitze der Eiskronenzitadelle nur hörten, sie sollten die Stellung halten, war eben jener Befehl dank der dünnen Reihen, die sie nur noch hatten, fast nicht umzusetzen. Also hatten sie beschlossen, auf die Jagd nach eben jener Todesritterin zu gehen, die ihnen diese schweren Schläge zugefügt hatte, sie zu erschlagen, wieder gefügig zu machen und gegen die verbliebenden Einwohner Nordends einzusetzen. Ein kühner Plan, der allerdings an ihrer Kampfkraft scheiterte. Denn ganz gleich, was sie ihr auch entgegen warfen, sie schien mit jedem von ihnen problemlos fertig zu werden – zuletzt hatte sie gar fünf der besten Vrykulkämpfer beinahe mühelos besiegen können, wobei es nur einem von ihnen gelungen war, sie überhaupt zu verletzen. Ob diese Wunde aber überhaupt Einfluss auf ihre Kampfkraft oder sie dagegen gar nur noch wütender gemacht hatte, mochte keiner der Anwesenden beurteilen. Fakt war nur, dass sie mehr Truppen brauchten, um diese Todesritterin ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Und sie brauchten einen Hinterhalt.
So wie jetzt zum Beispiel. Denn der Vrykul sah mit zufriedener Miene, dass fünf weitere Krieger kamen, um sich bereit zu machen. Mit Handzeichen bedeutete er ihnen, sich nach links und rechts zu verteilen und drei Speerkämpfern, ihre Wurfspeere bereit zu machen. Besonderes zufrieden war er über den Nachzügler, der sogar eine schwer bewaffnete Monstrosität im Gepäck hatte. Die war zwar schwerfällig, aber wenn sie es schaffen würden, die Todesritterin für einen Moment an Ort und Stelle zu halten, würde dieses Ungetüm ihr zweifelsohne etliche Knochen brechen.
Zu elft hätten sie unter Garantie eine Chance gegen diese Bestie von Taurin. Der eigenen Überlegenheit versichert hob er also die Hand und signalisierte seinen Kameraden den Angriff.

Für jeden, der sich ein wenig mit Todesrittern auskannte, hätte das, was sie tat, befremdlich ausgesehen. Denn sie kniete vor einem Altar des geheiligten Lichtes, der, auch wenn er zerbrochen worden war, noch immer der Gegenpol zu alledem darstellte, was einen Todesritter ausmachte. Entsprechend spürte sie jedesmal ein Prickeln auf ihrer Haut und wie sich die Haare ihres Felles aufstellten, sobald sie dem Altar nahe kam. Doch gleichzeitig mit diesem Prickeln und dem tiefen Verlangen, möglichst viel Abstand zu diesem Objekt reinen Lichtes einzuhalten, spürte sie auch eine unvergleichliche Wärme, wie sie sie früher, vor ihrer Zeit als Todesritterin, so oft gespürt und nur allzu oft vermisst hatte. Es war wie ein Andenken an eine bessere, frühere Zeit. Eine Zeit, in der sie sich hätte anders entscheiden, einen anderen Weg wählen sollen, um diesem Schicksal, das sie am Ende selbst gewählt hatte, zu entkommen. Jenem Schicksal, das sie mit jedem Tag, der anbrach, selbst verdammte und sich dennoch schwor, das Beste aus dem zu machen, was sie hatte und konnte.
Außerdem, so wusste sie dank ihrer Freunde, die sie um alles schätzte, nun weit entfernt auf anderen Kontinenten unterwegs waren und hoffentlich niemals zurückkehren mochten, lebte tief in ihrem Inneren immer noch ein Teil von ihrem alten Selbst. Jener lebende Kern, der Funke des Lebens, der von einer Schale aus unheiliger Magie und noch mehr Permafrost umgeben lag, glomm in der Nähe dieses Altars und immer dann, wenn sie tief bedächtig in sich ging, auf und schenkte ihrer Seele, derer sie sich sicher war, neue Kraft für den Tag, neue Kraft für ihre Mission. 
Was diese Mission genau war, stand nirgends geschrieben. Auch hatte ihr niemand außer sie selbst diese Mission je ausgesprochen: Die Geißel daran hindern, jemals wieder zu erstarken. Aus diesem Grunde hatte sie die Maschinen, mit denen die Monstrositäten aus Teilen von humanoiden und tierischen Kadavern zusammengesetzt wurden, mit einigen der alten Saronitbomben, die sie hier im Lager gefunden hatte, gesprengt und wichtige Teile, die zur Reparatur wesentlich gewesen wären, im Meer nördlich vom Kreuzfahrerplatz an drei verschiedenen Orten versenkt. Und sie hatte die Zugänge zur Seelenschmiede, die wichtig für die Wiederbelebung von Ghulen und anderen untoten Dienern war, mit Dutzenden Metern Geröll sowie noch einigen Überraschungen, die darunter auf potentielle Räumversuche reagieren würden, verschlossen. Auch die Lager mit Blut zur Wiederbelebung, die Knochenwerke, die Belagerungsmschinenfertigung und unzählilge, wichtige Brücken hatte sie eingerissen und jedem Gargoyle, dem sie in seiner Steingestalt begegnet war, jeweils einen Flügel gespalten. Dass sie die gesamte Geißel damit auf ihre Fährte gebracht und unzählige Angriffe auf ihre Person ausgelöst hatte, war ihr nicht nur klar, sondern kalte Berechnung gewesen. Denn so hatte die Geißel, ganz gleich von wo sie kommen mochte, nur noch ein Ziel, auf das sie sich konzentrieren mochten:
Sie.
All jene Erfolge schrieb sie auf die leeren Seiten des Gesangbuches, das sie vor zwei Jahren hier in den Trümmern der Kapelle gefunden hatte. Denn, so war sie sich sicher, eines Tages würde die Geißel eine Armee schicken, derer selbst sie sich nicht erwehren können würde. Jener ferne Tag würde dann ihr Ende bedeuten, in dem sie noch so viele Diener der Geißel wie sie in der Lage war mit sich reißen und dann schließlich im Kampf fallen würde. Dieses Buch indes würde sicher irgendwann einen neuen Besitzer finden – und somit würden ihre Taten, auch wenn sie nur ein Bruchteil des Schlechten, das sie einstmals über diese Welt gebracht hatte, wieder gut machen würden, zumindest verstanden und entsprechend gewürdigt.
Sie hatte gerade damit geendet, die Geschehnisse der letzten Tage im Buch niederzuschreiben, als sie ein Pfeifen hinter sich wahrnahm. Mit einer Reaktion, die eine Katze neidisch machen würde, ließ sie das Buch zu Boden fallen und lehnte sich nach links, hob ihren rechten Arm. Nur Bruchteile von Sekunden später zischte ein Speer so knapp an ihrer rechten Flanke vorbei, dass er ihren Umhang durchschnitt und einige wenige Haare ihres am Bauch exponierten Fells mitriss. Den zweiten Speer indes fing sie mit ihrer ausgestreckten, rechten Hand, griff ihn und wirbelte herum, als der dritte Speer gut einen halben Meter neben ihr in den Altar krachte und dort zersplitterte. Noch in der Bewegung sich aufzurichten und umzudrehen schleuderte sie den gefangenen Speer zurück in die Richtung, aus der einer der Speere gekommen war, blickte dann mit kaltem Starren hinter sich.
Sechs Vrykul standen dort, etwa zehn Meter entfernt, die Waffen im Anschlag und bereit, auf sie loszustürmen. Sie fluchte leise in sich für ihre Arglosigkeit, so exponiert ihren Gedanken freien Lauf zu lassen und ihre Umgebung nicht ausreichend abzusichern. Doch noch schlimmer war, dass die Vrykul sich bewusst zwischen sie und ihre Axt gestellt hatten, die noch immer draußen im Eis steckte und auf sie wartete.
Das böse Starren der Vrykul wurde durch den plötzlichen, spitzen Schrei eines ihrer Gefährten unterbrochen. Offensichtlich hatte der Speer seinen Werfer gefunden und sich mit voller Wucht in dessen rechter Schulter verewigt. Also einer weniger. Blieben also noch zwei Speerschleuderer, die sie weiterhin unter Feuer nehmen konnten.
„Gib auf und komm mit uns. Du bist unbewaffnet und wir sind zehn zu eins in der Überzahl.“ Knurrte einer der Vrykul, die Waffen hoch erhoben und auf die Todesritterin deutend.
„Nicht heute.“ Schnaubte sie, stürmte voran. Zwei der Vrykul taten es ihr ähnlich und stürmten entgegen, holten zum Schlag aus und zielten dabei auf ihren Kopf. Die Axt des rechten traf dabei aber nur die metallene Armschiene der Taurin, während diese kurzerhand nach der Axthand des anderen griff, durch beide hindurch schritt und den Schwung der Axt gegen den Kameraden lenkte, der kurz darauf mit einem lauten Schrei zu Boden ging. Sie wirbelte weiter in einer Rechtsdrehung, riss ihm dabei den Arm aus der Schulter, packte sein Kinn mit ihrer Linken und riss es mit einem Ruck und lautem Knacken zur Seite.
„Acht.“ Sagte sie trocken, den Blick zu den noch vier übrig gebliebenen Vrykul gerichtet. 
Vier? Und zwei Speerwerfer. Wo waren die anderen…
Ein heftiger Schlag traf sie knapp unterhalb ihres Hinterkopfes und schleuderte sie vorwärts zu Boden. Für einen Augenblick wurde ihr schwarz vor Augen, doch sie stemmte sich mit aller Macht gegen die Bewusstlosigkeit, ließ sie aber im Glauben, sie hätten mit dem Schlag genau getroffen.
„So stark und so gefährlich. Und do so schlecht im Zählen. Fesselt sie!“ tönte der Vrykul überheblich. Noch lag sie leicht zusammengezogen am Boden, ihre Beine relativ dicht am Körper. Dummerweise näherte sich einer der Vrykul genau von ihren Hufen, um danach zu greifen und diese zuerst zu fesseln.
Dummerweise – für ihn! Denn mit einem Mal trat sie mit aller Kraft nach dem Knie des Vrykul, der sie gerade beinahe K.O. geschlagen hätte.
Ein Tritt dieser Stärke tat von sich aus schon seinen Dienst. Die Tatsache, dass Tauren Hufe besitzen, verstärkt das noch – und diese Taurin trug dazu noch speziell angefertigte, extrem harte und mit Stacheln besetzte Klaueneisen, die sich daher tief in das Fleisch des Vrykulbeines einschnitten, den Knochen zerschmetterten und ihren Kontrahenten zu Boden warfen. Noch ehe die übrigen Vrykul begiffen, was los war, stand sie schon wieder auf den Beinen, spürte aber einen leichten Schwindel von dem Schlag gegen ihren Kopf, griff im leichten Torkeln die Keule des sich sein Knie haltenden Vrykul, schlug noch im Aufheben nach dem anderen, der mit einem Speer nach ihr stechen wollte. Fast zeitgleich schlugen außerdem zwei weitere Speere von weiter oben ein, verfehlten sie dabei nur um Haaresbreite. 
„Ihr wollt auch spielen? Dann kommt!“ knurrte die Taurin nun, hielt einen Moment inne und deutete mit der linken Hand auf die beiden Vrykul, die exponiert oben auf der Anhöhe standen und die nächsten Speere greifen wollten. Dann legte sich ein dunkler Griff um ihre Kehlen, riss sie von den Füßen und schleuderte sie den Abhang hinab und der Todesritterin entgegen, die die Keule schwang und noch mitten im Sturz zu Boden die Köpfe der beiden traf, deren Schädel ob der plötzlichen Beschleunigung in Gegenrichtung zerbarsten wie Melonen beim Sturz von einem Zitadellenbalkon auf Felsgestein.
„Fünf.“ Stellte sie fest, die durch den heftigen Schlag durchgebrochene Keule beiseite werfend. Doch noch immer schienen die Vrykul siegessicher, brüllten lautstark auf, als mit einem Mal die Erde bebte.
Eine riesige Monstrosität, die selbst die für Taurenverhältnisse sehr groß gewachsene Todesritterin um mehr als das Doppelte überragte, trat hinter der Anhöhe hervor, schwang riesige Äxte und Schürhaken, stürmte auf sie zu.
„Sechs.“ Grinste der Vrykul, hämmerte mit seiner Axt auf dem Schild in seiner linken Hand. Dann donnerten zwei der Äxte der Monstrosität bereits auf den Boden. Die Erschütterung riß die Todesritteirn beinahe von den Beinen, ließ sie vorwärts straucheln, kurz auf allen vieren vorwärts stolpern, ehe sie sich wieder fing. Zu ihrem Glück hatte dieser Stoß sie allerdings direkt neben ihre eigene Axt geschleudert, die nun direkt vor ihr im Eis steckte. Mit einem noch viel entschlosseneren Blick zog sie die Axt aus dem Eis, machte kehrt und stürmte ihrerseits auf die Monstrosität zu. Einer der Vrykul trat zwischen die beiden und wollte ihren plötzlichen Spurt ausnutzen, um einen kräftigen Schlag gegen ihren Bauch zu landen, wurde jedoch noch vorher von ihrer Axt am Hals getroffen. Die speerartige Spitze der Axt drang tief in das Genick des Vrykul ein und riß ihm derart schnell den Kopf von den Schultern, dass er sein Ende erst realisierte, als er seinen eigenen Körper schon leblos zusammensacken sah. 
Die Monstrosität blickte starr auf ihr Ziel, eben jene Todesritterin, die mit großen Schritten immer näher kam. Erneut holte sie aus, schlug mit einem ihrer gewaltigen Beile nach ihr. Doch in dem Augenblick, als die Axt ihr Ziel eigentlich erreicht hätte, sprang diese in die Luft, wich so auch der Druckwelle aus und landete auf dem Arm der Monstrosität. Die Stacheln der Klaueneisen gruben tief in das Fleisch der Bestie, ließen sie sich vor Schmerzen aufbäumen, während die Todesritterin sicheren und schnellen Schrittes den Arm hinauf stürmte, um ihre Axt mit einem einzigen, sicheren Schlag gegen den Kopf der Bestie zu führen. So schlug sie kräftig zu, trennte den Kopf von seinem Rumpf und packte noch in derselben Bewegung mit der linken Hand dorthin, wo bei jedem Lebewesen eigentlich das Rückgrat sein sollte. Monstrositäten aber waren unvergleichlich andere Wesen, die aus so vielen Einzelteilen unterschiedlicher Kreaturen zusammengesetzt waren, dass sie etwas wie ein echtes Rückgrat gar nicht besaßen. Auch war der Kopf wenig mehr als eine Auswölbung mit einem gesichtähnlichen Gebilde, damit man irgendwas hatte, was man ansehen konnte. Das tatsächliche Gehirn und damit das, was dieses unheilige Wesen zum Ticken brachte, befand sich tief unterhalb des Halses. Genau dort, wo die Todesritterin mit der linken Hand hinein gegriffen hatte. Mit sicherem Griff packte sie es, riss ein winziges, schwarzes Etwas aus dem Leib, der wie ein Sack toten Fleisches unter ihr zusammen sackte.
Langsamen Schrittes, die Augen auf die vier übrig gebliebenen Vrykul gerichtet, stieg sie von dem toten Fleischberg hinab, warf das schwarze, undefinierbare Ding vor sich auf den Boden und zertrat es mit ihrem linken Huf. Dann trat sie vor, sah noch den am Boden liegenden Vrykul, der sich noch immer das kaputte Knie hielt und zertrat auch seinen Schädel mit einem kräftigen Stoß ihres Hufes.
„Vier.“
Dann schritt sie mit langsamen, fast schon gemächlichem Tempo auf die vier zu, die Axt locker herab hängen lassend. Das schien den drei Begleitern ihres Anführers zu reichen. Mit einem Mal warfen sie ihre Waffen weg, wandten sich um und stürmten laut schreiend davon.
„Was soll das?! Feiglinge, kommt gefälligst zurück! Wenn ich euch erwische, dann bring ich euch eigenhändig u…..“ brüllte er hinter den vier her, wurde dann aber unterbrochen, als sich die linke Hand der Todesritterin um seinen Hals legte.
„Eins!“ knurrte sie, wirbelte ihn herum und donnerte ihn gegen die Überreste der Wand, die einstmals neben dem Kamin gestanden hatte. Steine bröckelten ob des heftigen Stoßes herab, ließen den Vrykul beinahe das Bewusstsein, aber vor allem seine Axt und sein Schild verlieren. Dann drückte sie ihn noch etwas höher.
„Wo ist euer Lager? Wie viele seid ihr noch?“ flüsterte sie fast, lockerte dann den Griff, damit er zu Luft kam, um antworten zu können. Doch der Vrykul schwieg. Also donnerte sie ihn nochmals gegen die Wand, bis diese schließlich nachgab.
„WIE VIELE?!“ brüllte sie nun.
Dann begann der Vrykul zu grinsen. „Wir kommen aus dem Meer. Und unsere Zahl ist so groß, wie der Lich-König sagt, dass sie sein soll. Und ganz gleich, was du mit mir machst, morgen wird ein neuer an der Stelle stehen, an der ich stand. Aber du…“
Ein plötzlicher, stechender Schmerz durchfuhr die Todesritterin in ihrem Rücken. Erneut verfluchte sie sich innerlich für ihre Unaufmerksamkeit. Nur aus dem Augenwinkel hätte sie bemerken können, wie der Vrykul einen langen Dolch aus einer Seitentasche gezogen und ihr mit allerletzter Kraft in den Rücken rechts knapp oberhalb ihrer Hüfte gerammt hatte. Also genau dorthin, wo sie keinerlei Rüstung trug und nicht einmal ein Stück Stoff das Fell bedeckte. Allerdings hatte der Vrykul die Klinge nicht einmal bis zur Hälfte in den kräftigen Körper der Todesritterin rammen können – wohl aber genug, um ihr Schmerzen zu bereiten.
„…du wirst nicht ersetzt werden. Du bist allein. Und du wirst uns nicht aufhalten können – egal, was du auch tust.“
„Du irrst dich.“ Knurrte sie, packte den Dolchgriff und die noch immer ihn umklammernde Hand des Vrykul mit ihrer linken Hand, presste ihren Körper dann ebenfalls kräftig gegen die Wand.
„Im Gegensatz zu euch fürchte ich den Tod nicht. Und auch nicht das Versagen.“
Dann drückte sie den Dolch mit aller Kraft in ihren Körper, durchbohrte ihren eigenen Rücken und rammte die Spitze der Klinge auch in seinen Leib. Das Gesicht des Vrykul verzerrte sich vor Schmerz, während sie ihn eiskalt anstarrte.
„Ich werde nicht versagen. Anders als du.“ Dann riß sie den Dolch wieder aus sich heraus, wirbelte herum und rammte ihm noch in der Bewegung den Dolch mitten durch den Schädel und in die Mauer, so dass der Vrykul gut einen halben Meter über dem Boden hängen blieb.
Dann sah sie sich um. Keiner mehr in Sichtweite, alle Feinde besiegt, alle Gegner erschlagen. Tief sog sie die Luft ein, wandte sich zum Altar, um das Gebetbuch wieder aufzuheben, das ihr am Anfang des Kampfes aus der Hand gefallen war. Doch als sie ihr linkes Bein aufsetzte, versagte es ihr den Dienst, ließ sie zu Boden krachen. Dann kamen die Schmerzen in ihrer linken Flanke. Dickes, rotes Blut floss aus beiden Wunden heraus, begleitet von einem grünlichen Schimmer unheiliger Energie.
Sie rappelte sich wieder auf, zog sich auf dem Griff ihrer Axt nach oben, presste ihre linke Hand auf ihre Flanke.
Die Wunde war nicht schlimm. Sie hatte schon schlimmeres überstanden. Doch es würde dauern, bis ihre regenerativen Kräfte die Wunde geschlossen hatten. Stunden, vielleicht auch ein oder zwei Tage. Doch bis dahin war sie geschwächt.
Auf ihre Axt gestützt ging sie, ihr linkes Bein hinter sich her schleifend, auf den Altar zu, ging vor ihm erneut auf die Knie und hob das Gebetbuch auf. Dann blickte sie erneut auf ihre Flanke, stellte mit gewisser Zufriedenheit fest, dass die Blutung bereits versiegt war. Doch innerlich, so wusste sie nur zu gut, war die Wunde noch vorhanden und begann gerade erst zu heilen.
„Bemerkenswerte Kampfleistung, muss ich schon sagen.“ Tönte mit einem Male eine schrille Stimme aus einiger Entfernung. Sofort wirbelte sie herum, war wieder auf den Beinen, auch wenn ihr linkes Bein ihr im Moment mehr Last denn Hilfe war. Doch ein Gegner sollte das nicht wissen.
„Lass das mit der Scharade. Damit bin ich wesentlich geübter als du. Ich weiß, dass du im Moment nicht kämpfen kannst und ich dich problemlos in Ketten legen könnte, wenn ich wollte.“
„Wir können es ja auf einen Versuch ankommen lassen.“ Knurrte sie zurück. Natürlich hatte er Recht, wer auch immer er war. Für den Moment sah es nur so aus, als würde sie mit einem Felsen reden. Dann trat hinter eben diesem, gerade mal fünf Meter von ihr entfernt, ein Goblin hervor.
Was war heute nur los mit ihr? Schon das dritte Mal, dass sie so eine wichtige Beobachtung verpasst hatte.
„Mach dir selbst keine Vorwürfe. Es ist mein Job, unbeobachtet zur Werke zu gehen.“ Wiegelte der Goblin ab, schritt auf die Todesritterin zu und um sie herum.
„Nette Rüstung. Wenn auch weniger ehrfurchtgebietend als alles, was ich von anderen Todesrittern bisher gesehen habe. Ein wenig mehr Metall stünde dir sicher gut zu Gesicht. Vor allem, wenn der Gegner mit spitzen Stichwaffen zustechen will.“
Nun schritt er noch näher an sie heran, trat an ihre linke Seite. Sie wollte gerade nach ihm greifen, als er mit einem Finger über die Ränder der Wunde an ihrem Rücken strich und gleich darauf schon wieder fünf Meter von ihr entfernt stand, die Finger aneinander reibend und daran schnuppernd.
„Vergiftete Klinge, wenn ich hinzufügen darf.“ Dann schleckte er über einen seiner Finger.
„Eiswurzgift. Sehr schmerzhaft und dazu noch überaus tödlich. Ein Wunder, dass du noch stehst. Dürfte allerdings nicht mehr lange dauern. Selbst bei Todesrittern wirkt es meines Wissens nach relativ zuverlässig, wenn auch nur sehr langsam.“
Mit einer beiläufigen Bewegung griff er in seine Gürteltasche und brachte ein kleines, bläulich leuchtendes Fläschchen hervor, drehte es einmal zwischen den Fingern und warf es schließlich gut einen halben Meter vor die Todesritterin in den rußfarbenen Schnee.
„Ich würde dir raten, das Gegengift schnell zu trinken. Sonst bleiben noch irgendwelche Schäden. Und tot oder halb gelähmt nützt du mir nichts.“
Die Todesritterin starrte auf das kleine Fläschchen vor sich. Dann blickte sie wieder zu dem Goblin. Selbst wenn die Klinge vergiftet gewesen wäre, warum sollte er ihr ein Gegengift ge…
Eine Welle aus Schmerz fuhr durch ihren Körper, als wenn ihr gerade alle Glieder gleichzeitig ausgerissen würden. Vor lauter Qual brach sie zusammen, krachte in den Schnee und landete mit dem Gesicht ausgerechnet genau neben der Phiole. Dann ließen die Schmerzen nach und sie starrte wieder zu dem Goblin, der mit einem Taschentuch einen der Steine abwischte und darauf Platz nahm.
„Du solltest dich vielleicht beeilen. Wenn du erstmal das Bewusstsein verloren hast, kannst du das Gegengift nicht mehr trinken.“
Widerwillig griff sie nach der Phiole, zog den Korken heraus und roch daran. Ein ekelerregend-süßer Duft von Zucker, Rosen und Vanille, gemischt mit allem, was einem beim bloßen Gedanken bereits die Zähne abfaulen lassen könnte, stieg ihr tief in die Nüstern.
„Warum?“ fragte sie, als sie die Phiole ansetzte und sie in einem Zug leerte. Das Zeug schmeckte in der Tat noch süßer, als es roch, war zäh wie Teer und verklebte ihr fast die halbe Kehle, ehe es herunterglitt und dabei ihren gesamten Hals in ein unangenehmes Prickeln tauchte.
Sie hustete. „Warum hilfst du mir, Goblin?“
Der jedoch grinste nur breit. „Na was denkst du denn? Es geht immer ums Geschäft. Und denjenigen, der am Besten zahlt.“

Wie lange sie bewusstlos gewesen war, konnte die Todesritterin nicht sagen. Für sie verging der Moment, in dem sie diese ekelhafte Flüssigkeit ihre Kehle hinunter geschüttet hatte und der aktuelle, in dem der Goblin vor ihr stand und sie genau zu begutachten schien, wie aufeinander folgende Augenblicke. Auch am Stand der Sonne hätte sie den Verlauf der Zeit nicht festmachen können, denn zu dieser Jahreszeit bewegte sich eben jene goldene Scheibe teils tagelang keinen Millimeter vom Fleck.
„Da bist du ja wieder. Und genau zur rechten Zeit. Komm, mein Zeppelin wartet auf uns.“ Begann der Goblin sogleich und schritt zu einem fauchenden Etwas hinüber, das einige Dutzend Meter neben der Kapelle knapp über dem Schnee schwebte.
Sie starrte ihn für einen Moment böse an, dann streckte sie sich und wollte sich aufrichten, als sie merkte, dass ihre Hände mit Seil gefesselt worden waren. Fast augenblicklich wechselte ihr Blick auf die schwarzen Fesseln, die ihre Handgelenke vor sich fest umschlungen hielten. 
„Wo willst du hin?“
„Wir, meine Guteste.“ Verbesserte der Goblin. „Nach Orgrimmar. Wie ich schon sagte – es geht ums Geschäft. Und nun komm, ich hasse es, unpünktlich sein zu müssen.“
„Nein.“ Antwortete sie kühl, riss die Hände und damit auch die Fesseln mit einer Leichtigkeit auseinander, als wäre da nichts gewesen, drückte sich vom Boden ab und richtete sich auf. Deutlich spürte sie noch den Schmerz in ihrer linken Flanke, als sie ihr linkes Bein belastete. Es waren also im schlechtesten Fall wenige Stunden gewesen, die sie ausgeknockt im Schnee gelegen hatte. Nicht genug Zeit, damit die Wunde verheilen konnte. Aber es musste auch so gehen.
„Der Vrykul sprach davon, dass sie AUS dem Meer kämen.“ Fasste sie ihre Gedanken zusammen, machte einige Schritte vom Goblin weg und in Richtung Ufer, dabei noch immer stark humpelnd.
„Er ist kein Kvaldir. Auch wenn sie verwandt sind. Nein, war kein Kvaldir. Nur die kommen wirklich AUS dem Meer. Außer….“
Ein plötzlicher Schock durchfuhr ihren Körper und schleuderte sie auf die Knie. Nur aus dem Augenwinkel sah sie den Goblin, der kopfschüttelnd auf sie zu schritt, eine Art Fernbedienung in der Hand haltend.
„Vielleicht habe ich mich nicht genau genug ausgedrückt, aber mein Zeppelin wartet auf uns. Das schließt dich explizit mit ein, Xelestra.“
Sie knurrte. Zum einen, weil sie keine Ahnung hatte, woher dieser Goblin ihren Namen kannte, zum anderen weil er sie aufgehalten und aus den Gedanken gerissen hatte.
„Ich möchte dich nicht verletzen müssen. Aber wenn es nötig ist, damit ich meinen Auftrag erfüllen kann, dann sei es nunmal so.“
„Die Vrykul kommen AUS dem Meer. Wenn man sie nicht aufhält, werden sie ganz Nordend überschwemmen.“ Schnaubte sie, mit einer Hand gen Meer deutend.
„Einerlei. Niemanden interessiert mehr, was in Nordend geschieht. Dieser Kontinent hier ist verlassen.“
„Es ist das Dach der Welt. Von hier aus begann die Invasion des Lich-Königs. Von hier aus werden sie erneut in die Kontinente einfallen. Sie müssen aufgehalten werden, ehe es dazu kommt.“
„Nein. Es geht ums Geschäft.“
„Das wird warten müssen.“ Schnaubte sie, nachdem sie sich erneut aufgerichtet hatte und in Richtung der Küste aufgebrochen war. Doch wieder blitzte unbeschreiblicher Schmerz durch ihren Körper. Nur das dieser sie nun nicht mehr überraschend traf. Jetzt erkannte sie das Halsband, das ihr der Goblin offensichtlich umgelegt hatte und von dem die elektrischen Schläge durch ihre Adern geschickt wurden. Einen beherzten Griff später lag das Halsband, in zwei Teile gerissen, neben ihr im Schnee. Dann schließlich hatte sie das Kliff erreicht, von dem aus es steil abwärts zur Küste ging, von der aus es weiter nördlich und ins tiefe, schier endlose Meer ging. Ferne Nebelschwaden hingen regungslos an einem Fleck, der gerade noch in Sichtweite auf dem Horizont erkennbar war. Nebelschwaden, wie sie aus der boreanischen Tundra stammen konnten. Eben solche, die von der Anwesenheit der Kvaldir kündeten.
Wenn es einen Ort geben mochte, an dem die Vrykul zurückkehren sollten, dann war es wohl eben jener Ort. Jener, an dem die Kvaldir und Vrykul gemeinsam agierten und einander beim Erstarken halfen, um die Lücke zu schließen, die die schwächer werdenden, untoten Diener des Lich-Königs gelassen hatten.
Die Todesritterin warf den Kopf zurück zum Goblin, der zu seiner Rakete gesprintet war und dort in einer der vielen Taschen herumwühlte.
„Goblin! Kann diese Rakete uns beide tragen?“
Verdutzt ob der Tatsache, dass die Todesritterin ihn nun ansprach, statt einfach zu verschwinden, blickte er zu ihr herüber und legte dabei das Gewehr, dass er gerade herausholen wollte, wieder zurück.
„Dieses Musterstück goblinischer Ingenieurskunst kann ein halbes Dutzend Tauren transportieren. Und ihre Reittiere ebenfalls. Selbstverständlich kann sie auch dich tragen. Wie sonst denkst du hätte ich uns zu meinem Zeppelin bringen sollen?“
Sie nickte, deutete mit einer Hand gen Norden.
„Dann bring uns zu diesem Eiland dort im Norden. Jenem, das im Nebel liegt. Wenn ich dort zerstört habe, was ich zu finden gedenke, komme ich mit dir. Ohne Gegenwehr.“

Kweezil war nicht die Sorte Goblin, die aufgrund von Mut oder aus Idealismus handelten. Für ihn ging es nur um die klingende Münze – und die Möglichkeit, seinen Profit zu maximieren. Eine freiwillig folgende Todesritterin würde den Weg nach Orgrimmar sicher erleichtern. Vor allem aber würde er so die Packer, die nötig wären, um diese Gigantin zu schleppen, einsparen. Also stand außer Frage, dass er dieses Angebot der Taurin annahm und sie mit Rekordtempo in Richtung der Nebelwand steuerte, die sie erspäht hatte.
Tatsächlich tauchte in dem Nebel eine kleine Landmasse auf. Eine Insel, um genau zu sein, auf der lediglich ein großer, steinerner Baum, dessen Äste mit jeder Menge vertrockneten Algen und Seegras behangen waren und einer relativ großen Methalle, die unmittelbar vor dem Baum stand. Ein heiliger Ort der Vrykul, wie es aussah.
Unmittelbar vor dem Baum glomm es lila im Boden. Geister stiegen aus dem Glühen hinauf, waberten schemenhaft umher, ehe sich ihre Umrisse zu Vrykul formten und schließlich so viel Kontur annahmen, als stünden echte, lebendige Versionen dieser Giganten vor dem Baum, zu dem sie sich umwandten, eine Hand auf dessen steinerne Rinde legten und Kehrt machten, um an Bord eines der bereit liegenden Drachenboote zu steigen.
„Ich wusste es. Ein Seelenportal.“ Fasste die Todesritterin ihre Beobachtung zusammen.
„Ein Seelenwas?“
„Ein Übergang zwischen dem Seelenreich und dieser Welt. Ähnlich der Seelenschmiede unter der Eiskronenzitadelle. Ein Pfad vom Reich der Toten zu dem der Lebenden. Hier kehren die Erschlagenen zurück.“ Sie sog die kalte Luft tief ein, umschloß fest ihre Axt und wollte gerade von Bord der Rakete springen, als der Goblin seine eigene, rechte Hand auf ihre Klinge legte.
Mit eiskaltem Blick starrte sie den Goblin hinter sich an. „Es muss zerstört werden. Sonst kommen sie in endloser Zahl zurück.“
„Es gibt schnellere Wege als Axthiebe, meine Liebe.“ Sagte er mit einem Grinsen, tippte auf den Kontrollen seiner Rakete herum.
Ein schrilles Pfeifen unterhalb der Rakete schnitt durch die Luft, jäh unterbrochen durch helle Lichtblitze und heftige Explosionen, deren Hitze wallend bis hinauf zu den beiden in der Rakete drang, den dichten Nebel wegbrannte und sowohl Methalle als auch steinernen Baum in Stücke riss. Das lilane Glimmen verstarb schlagartig mit dem plötzlichen, explosiven Ende von Baum und Halle, die noch immer vom Feuer verzehrt wurde. Die Vrykul indes, die gerade erst das Drachenboot bestiegen hatten, begannen zu zucken und zu schreien, als ihre Konturen schlagartig an Schärfe verloren, erneut zu Nebel wurden und sich dann, mit einem letzten, gequälten Raunen verflüchtigten.
„DEN Knopf wollte ich schon immer mal ausprobiert haben.“ Grinste der Goblin breit, den Blick auf die Todesritterin richtend. „Wir sind jetzt hier fertig, ja?“
Sie starrte mit leeren Augen nach unten, nickte dann nur knapp. Das Ende der beiden Vrykul unter ihnen bedeutete hoffentlich auch das Ende von zahllosen, weiteren Vrykul in Eiskrone – und damit einen weiteren, deutlichen Schlag gegen die Truppen der Geißel. Sicher würden sie wieder erstarken – doch das würde Jahre oder gar Jahrzehnte dauern. Genug Zeit, um die Angelegenheiten des Goblins in Orgrimmar zu erledigen. Der ließ sich auch nicht länger bitten, wendete die Rakete und schoss mit ihr in Richtung Süden und damit erneut zur Kriegshymnenfestung.

Keine zwei Stunden später erreichten sie bereits die boreanische Tundra, steuerten auf die Festung zu und rauschten mitten durch das noch immer frische Loch in der Wand zurück an Bord des Zeppelins. Ziz stand bereits bereit, um die Rakete wieder zu betanken, neue Sprengköpfe zu laden und alle Beulen rauszupolieren, die während des Flugs durch die Wand der Kriegshymnenfestung in das blanke Metall geschlagen worden waren. Sie und auch die gesamte Crew des Zeppelins staunten nicht schlecht, dass die Todesritterin offenbar freiwillig an Bord kam, unter Deck ging und dort in einer Ecke Platz nahm, um ihr Buch hervor zu holen und darin zu lesen.
Wenn sie gewusst hätte, dass es um das Kopfgeld ging, das auf ihre Ergreifung ausgesetzt worden war – sie bezweifelte, dass die Todesritterin sich so wehrlos ihrem Schicksal ergeben hätte. Dazu waren diese ehemaligen Krieger des Lich-Königs als viel zu wehrhaft und kampfeswütig bekannt.

Published inFrostfeuer

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