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Kapitel 7 – Auf der Spur

Stunden vergingen, in denen Kweezil der Todesritterin durch das Gestrüpp des Dschungels gen Westen folgte, während sie zu ihrer Rechten stets im Schatten einer beeindruckenden Felswand blieben. Ob es nun einfache Sturheit oder wirklich Wissen um den Weg war, das sie vorwärts trieb, fragte er sich schon lange nicht mehr. Diskussionen über die Korrektheit der Richtung oder gar den Weg, den sie noch zurücklegen müssten, strafte die Todesritterin derweil mit stoischem Schweigen. Selbst als die Dunkelheit über sie einbrach, wurde ihr beständig vorwärts gerichteter Schritt nicht langsamer, während Kweezil mit jeder Stunde, die verging, mehr Mühe hatte, bei dem strammen Tempo mitzuhalten.
„Musst…du unbedingt…so rennen?“ ächzte der Goblin, der schon sichtlich zurück gefallen war und sich nur mit Mühe in der Dunkelheit zu orientieren wusste.
„Du kannst umkehren, wenn du willst.“ Entgegnete die Todesritterin ihm, ihren Schritt nicht im Geringsten verlangsamend. Anders als Kweezil waren ihre Augen die Dunkelheit von den langen Nächten, die in Nordend allgegenwärtig waren, nicht nur gewohnt, sondern fühlten sich genau dort am Wohlsten. Die knappe Antwort hatte aber vor allem einen anderen Grund: Sie wollte den Goblin nicht spüren lassen, wie sie ihrerseits um Atem rang und eine Pause nur zu gern vorgeschlagen hätte. Denn mit der Dunkelheit war auch die Kälte und die Feuchte gekommen, hatte sich der vorher bereits erdige, weiche Boden mit Feuchtigkeit vollgesogen und so zu einer klebrigen, schlammigen Masse geworden, in die sie von Minute zu Minute und mit jedem Schritt etwas tiefer einsank. Kweezil spürte trotz seiner größeren Nähe zum Boden dank seiner niedrigen Größe, seinem leichten Gewicht und der Tatsache, dass er lediglich mit feiner, alles andere als kriegserprobten Lederrüstung bekleidet war, von dem schlickigen Boden nahezu nichts. Sie dagegen, die ein Vielfaches wog, schwere Röstung trug und deren Waffe allein mehr als das Doppelte des Goblins ausmachte, wurde gnadenlos vom Boden festgehalten, musste mit jedem Schritt gegen den Boden kämpfen.
„Klar, sicher doch.“ Schnaubte Kweezil zurück, blieb dann mit einem Mal einfach stehen. „Ohne Karte, in einem fremden Land voller wilder Tiere und durchgeknallter Orcs, die mich sofort aufknüpfen, wenn sie ihre Kameraden gefunden und ausgefragt haben.“
„Es war deine Entscheidung.“ Entgegnete sie wieder, ihren Schritt nun doch etwas verlangsamend, da sie merkte, dass der Goblin sich nun deutlich schneller von ihr zu entfernen begann.
„Als hätte ich eine Wahl gehabt! Mit dir habe ich wenigstens eine Chance!“ brüllte Kweezil ihr entgegen. „Wenn auch eine verschwindend geringe…“ flüsterte er dann leise und nur für sich.
Xelestra seufzte, blieb nun auch stehen und atmete zunächst einige Male tief durch, ehe sie sich zu ihm umdrehte und ihm direkt in die Augen starrte. Dann wanderte ihr Blick umher und fand einige Meter entfernt harten Felsboden, der aus dem Boden hinauf ragte und sich gegen die Felswand lehnte. Ein Überhang am obersten Ende der nahezu senkrecht aufragenden Wand bildete eine Art über hundert Meter entferntes Dach.
„Dort vorne können wir rasten, damit du wieder zu dir kommst.“ Wies sie an, wandte sich dann selbst in die Richtung und marschierte auf die Felsen zu. Kweezil atmete indes tief durch, nahm den Rest seiner Kraft zusammen und stapfte seinerseits auf die Felsen zu, erklomm diese schnellen Schrittes, griff in seinen Beutel, zog eine kleine Decke heraus, entfaltete diese und setzte sich sogleich auf diese, blickte dann zu der Todesritter hinüber. Die schien mit den Felsen einige Probleme zu haben, rutschte auf den glatten Oberflächen immer wieder etwas weg, ehe sie ihrerseits auf einem wesentlich größeren Felsen Platz nahm. Ein plötzliches Aufblitzen hinter ihr ließ sie überrascht herum fahren, den Blick auf Kweezil richten. Der blickte zuerst auf sein Multifunktions-Messer, das er vor sich in eine Felsspalte gesteckt und mit der internen Batterie einen schwachen Lichtschein produzierte, dann zur Todesritterin. Erst jetzt sah er den Grund, warum sie sich offenbar so sehr an den Felsen abgemüht hatte: Ihre Beine waren fast bis zu den Knien zentimeterdick mit Schlamm bedeckt.
Dem sichtlich angewiderten Blick folgend blickte nun auch Xelestra an sich herunter, verzog dann ihrerseits das Gesicht. Wortlos griff sie an ihren Gürtel, zog ein ziemlich zerfleddertes Buch hervor und schlug es auf, um im schwachen Licht dieses Multifunktions-Messers durch die Seiten zu gehen. Kweezil tat es ihr ähnlich, holte stattdessen aber etwas gedörrtes Fleisch und trockenes, flaches Brot hervor, steckte sich von jedem einen schmalen Streifen in den Mund.
„Ich hätte nie gedacht, dass Todesritter so eine Fixierung auf Bücher haben.“ Schmunzelte er kauend.
Xelestra blickte nur kurz auf, ehe sie weiterblätterte. „Wie du siehst.“
„Gesprächig wie immer.“ Seufzte Kweezil. „Was liest du denn da in dem Buch?“
Sie seufzte, blätterte weiter. „Den kürzesten Weg. Und ein Teich, See, Fluss oder ähnliches.“
Kweezil stutzte. „Du hast eine Karte da drin?“
„Ja.“ Antwortete sie, nun wesentlich genervter.
„Wo…wo hast du DIE denn her? Ich meine, Pandaria wurde doch erst vor ein paar Monaten entdeckt. Da kann man doch noch….“
Mit einem weiteren Schnauben schlug die Todesritterin das Buch zu, drehte sich dann vollends zum Goblin um und starrte ihn mit kaltem Blick an. Der verstummte sofort, blickte seinerseits fragend sowohl auf sie, als auch auf das in die Höhe gehaltene Buch. Dann ließ sie das Buch vor seinen Füßen auf den Felsen klatschen, schlug es vor seinen Augen und fast unmittelbar unter dem Licht des Messers auf.
Ein altes Gebetbuch, wie Kweezil deutlich erkannte. Allerdings waren die einzelnen Verse mit anderer Tinte ergänzt, korrigiert oder durch Zeichnungen bereichert worden. Dann folgten etliche leere Seiten, auf denen mit spitzer Feder unterschiedlichste Karten eingezeichnet worden waren, die ihn entfernt an die Zeichnungen auf der Karte von Eiskrone erinnerten, die er vor einigen Tagen im Luftschiff bei ihr gesehen hatte. Kalimdor, die östlichen Königreiche, die einzelnen Ländereien nebst Siedlungsgrenzen, die mit anderer Farbe eingezeichnet worden waren, selbst Kezan erkannte er in einer der Zeichnungen wieder, ehe sie beim Druchblättern der Seiten zu einem Stück Landmasse kam, das Kweezil noch nie gesehen hatte. Zwei weitere Seiten später hielt sie schließlich inne.
„Hier sind wir.“ Sagte sie mit schroffer Stimme, deutete mit einer Fingerspitze auf den westlichen Teil der Zeichnung. „Wenn wir unser Tempo von eben beibehalten, kommen wir in vier oder fünf Stünden an einen Hang – hier. Der führt zu einer Region, die Tal der vier Winde genannt wird. Und dort…“ fuhr sie fort, während sie eine Seite weiter blätterte und mit dem Finger einmal diagonal über eine andere Karte fuhr „…führt ein weiterer Pass weiter nach Norden. Von dort aus kommen wir dorthin, wo wir den Schrein finden. Zwei oder drei Tage Fußmarsch und wir sollten ankommen.“
Kweezil starrte auf die Karten, die so fein und präzise waren, als hätte sie jemand gezeichnet, der Eins mit dem Land gewesen war. Jeder Tintenstrich, jedes noch so kleinste Detail war in der Karte enthalten, die sie offenbar persönlich auf die Seiten des Buches übertragen hatte.
„Wo…wo hast du die Karten her?“
Xelestra klappte das Buch zusammen, verstaute es wieder im Beutel an ihrem Gürtel, zog ihr rechtes Bein an und begann, ihren Huf kräftig gegen den Fels zu schlagen, so dass der trocknende Schlamm langsam ab bröckelte.
„Einige Berge in Nordend sind keine Berge. Ihr Innerstes verbirgt uralte Maschinen, Apparaturen und Geheimnisse. Und Archive.“ Erklärte sie mit immer noch emotionsloser Stimme, zog ihr Bein heran und wischte mit den Händen über ihre Rüstung, damit sich auch noch der letzte Dreck von Rüstung und Huf löste.
„Ein Archivum enthielt detaillierte Karten von Azeroth. Regionen, Grenzen, Eigenheiten. Sehr, sehr alte Karten – aus einer Zeit, als Azeroth noch Eins war. Und einige wenige Karten aus der Zeit nach dem Auseinanderbrechen des Kontinents.“
Kweezil blinzelte bei der Beschreibung sowohl überrascht als auch beeindruckt. Von den uralten Maschinen, die offenbar von den Titanen auf Azeroth hinterlassen worden waren, hatte er schon viel gehört. Einige seiner Cousins hatten sich schon näher mit den Maschinen, die man in Kalimdor gefunden hatte, beschäftigt, versucht, diese Systeme nachzubauen, deren Energiequellen selbst für sich zu nutzen und sich dabei relativ eindrucksvoll selbst in die Luft gejagt. Das nun ausgerechnet eine Todesritterin eine dieser Maschinen für sich dahingehend manipuliert hatte, um Informationen daraus zu gewinnen, war zumindest überraschend.
Noch während Kweezil ihren Ausführungen zuhörte, hatte Xelestra auch ihr linkes Bein vom Schlamm und Schmutz befreit, einige spitze Steine zwischen ihren Hufen heraus gekratzt, war auf dem Felsen etwas weiter nach oben gerutscht und hatte sich zurück gelehnt, sog die kühle, feuchte Luft mit einem tiefen Atemzug ein.
„Woher wusstest du denn, wie man die Informationen aus so einem Archi….“ Begann Kweezil eine Frage, wurde dann aber von einem zischenden Laut der Todesritterin unterbrochen.
„Du solltest schlafen, wenn du Kraft für morgen sammeln willst. Wir brechen kurz vor Sonnenaufgang auf.“
Er öffnete den Mund, einen Finger zum Protest erhoben. Doch ehe er etwas sagen konnte, sank der Finger schon wieder nach unten, schloss er den Mund und beschloss, dem Rat der Todesritterin zu folgen.
„Und du?“
„Ich schlafe nicht.“ Entgegnete sie.
Kweezil zuckte mit den Schultern, legte dann den übrigen Proviant neben sich auf den Felsen und deutete ihr, sich zu bedienen. Doch erneut lehnte sie ab, blickte stattdessen starr nach oben, betrachtete die Sterne und die Wolken, die über ihnen mit gemächlichem Tempo ihren Weg zogen.

Der Felsen war hart und kühl. Nicht unbedingt der ideale Ort für einen erholsamen Schlaf. Insbesondere inmitten einer unbekannten Wildnis und einer tödlichen Kämpferin in Waffenreichweite. Doch die Ereignisse der vergangenen Tage sowie der lange, kräftezehrende Marsch sorgten dafür, dass Kweezil überraschend schnell in einen tiefen, traumlosen Schlaf sank.
Xelestra hatte es sich ihrerseits gemütlich gemacht, hielt die Augen geschlossen. Auch wenn sie auf den Betrachter aussah, als würde sie schlafen, war sie doch in Wirklichkeit hellwach, lauschte den Geräuschen des Waldes und dem sägenden Schnarchen des Goblins knapp neben ihr. Ein Grummeln ließ sie für einen kurzen Augenblick aufschrecken, ehe sie merkte, dass dieses Geräusch von ihr kam.
Mit dem Wandel zu einer Todesritterin hatte sie viele ihrer einstigen Schwächen verloren. Jene Streiter des Lich-Königs sollten, wie alle untoten Diener, ausschließlich von der Lebensenergie ihrer Feinde zehren, ihre unheiligen Energien das eigene, noch immer lebende Fleisch nähren. Doch mit dem Sieg gegen Arthas, ihr Ende und erneutes Erwachen, die Trennung ihrer Seele und das Wiedererlangen ihrer Identität hatte sie verändert, ihren Körper einem erneuten Wandel unterworfen. So war das unheilige Band, das beide Seiten ihrer Selbst verband, stark wie eh und je, doch fühlte sie die Stärke ihrer lebendigen Hälfte von Zeit zu Zeit deutlicher, als es vom Lich-König jemals vorgesehen worden wäre. Hunger gehörte zu jenen Gefühlen, die in Zeiten, in denen sie nicht kämpfte, überdeutlich zu spüren war. Und gerade jetzt, da sie seit fast einer Woche kein Lebewesen im Kampf erlegt und im Gegenzug eine schwere Wunde hatte heilen müssen, fühlte sie einen großen Hunger.
Einige Male blinzelte sie auf das Dörrfleisch, das Kweezil parat gelegt hatte. Ehe sie sich mit dem Gedanken, dem Für und Wider auseinandersetzen konnte, hatte sie das Stück Fleisch bereits in der Hand, biß ein großes Stück ab und schlang es geradezu herunter. Etwas wie Geschmack empfand sie nicht, nur die Zähigkeit des Fleisches zwischen ihren Zähnen und ein seltenes, warmes Gefühl in ihrem Bauch. Doch dieser kleine Happen vermochte nicht ihren Hunger zu stillen. Auch nicht das Stück Brot, das gleich darauf in ihrem Mund verschwand.
Noch während sie den letzten Bissen Brot herunterschlang hörte sie ein nicht weit entfernes Knirschen von Geäst, blickte in die Dunkelheit und erspähte eine schwache Lichtreflexion, die nahezu unhörbar näher kam. Ihre Augen fixierten einen Schatten, der sich langsam und vorsichtig immer näher an die beiden heran schlich. Sie hielt den Atem an, ließ ihre rechte Hand in Richtung ihres Gürtels wandern, drehte sich vorsichtig auf ihre rechte Seite, als der Schatten mit einem Mal vorwärts und in ihre Richtung stürzte.
Mit lautem Fauchen schnitten Krallen durch die Luft, schossen von Geifer tiefende Reißzähne in Richtung ihres Halses, starrten sie blitzende Augen böse an. Doch der Biss ging ins Leere und die blinde Gier der Bestie, die gerade noch eine leichte Beute erwartet hatte, verschwand mit einem Schlag, als sie spürte, wie sich der feste Griff einer Hand um den eigenen Hals gelegt hatte und jener Bestie die Luft abschnürte.
Panisch und voller Zorn schlugen vier Pranken um sich, trafen metallene Rüstung, Fell, Fleisch, hinterließen tiefe Furchen, ohne dabei auch nur die Spur eines Effekts zu erreichen. Stattdessen bohrte sich eine spitze Klinge in den Bauch der Bestie, ließ diese in ihrem Fauchen Blut mit aufstoßen, die Schläge der Pranken schwächer werden, ehe ein lautes Knacken die Schläge zu einem jähen Ende kommen ließ.
Xelestra hielt die Bestie noch zwei weitere Minuten im festen Griff ihrer linken Hand, nicht sicher, ob sie ihr wirklich das Genick oder nur einen unwichtigen Knochen gebrochen hatte. Doch als die Kreatur leblos neben ihr zusammen sackte und sie das warme Blut des Tieres an ihrer rechten Hand spürte, wusste sie: Aus dem Jäger war das Opfer geworden. Und eine wesentlich bessere Mahlzeit als der Streifen Dörrfleisch.

Published inFrostfeuer

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