Die Ruhe, die eigentlich von den wenigen, die nun nur noch in der Behausung des Hexenmeisters Obdach suchten, ausgehen sollte, war gänzlich verschwunden und dem Krachen und Knirschen von Holz, dem Klappern von Metall und geknurrten Flüchen unzähliger Zungen gewichen. Ganz gleich, welche Versuche der Hexenmeister unternahm, Xelestra von ihrem Ansinnen abzubringen, hatte sie auf der Suche nach den für ihn seltsamsten Utensilien Kommoden durchwühlt, Kleiderschränke ausgeräumt und alles neben ihrer Rüstung auf das Bett, in dem sie noch bis vor einigen Stunden gelegen hatte, geworfen.
„Der gesamte Orden der Sonnenläufer ist in Durotar und unterstützt die Belagerung. Dazu noch die Trolle, die Hälfte der Wachen von Donnerfels und die Marine von Sylvanas und den Blutelfen. Was glaubst du kannst du denen noch helfen?“ brummte Vadarassar, der seinen halben Hausstand wild verteilt auf Fußboden, Bett und Stühle verteilt sah. Zum Glück hatte sie nicht auch noch das Kochgeschirr ausgeräumt oder sich an seinen Büchern zu Schaffen gemacht…
„Was nötig ist.“ Schnaubte Xelestra knapp, schob einen kleinen Schemel vor das Bett, warf dann drei der Tuniken, die sie aus dem Kleiderschrank geräumt und einfach auf das Nachtlager geworfen hatte, zur Seite, ehe sie sich auf die Matratze setzte. Vorsichtig hob sie ihren rechten Huf und stellte ihn auf den Schemel, streckte dabei ihr Knie durch und begann die Bandagen, die sie erst vor einer knappen, halben Stunde kräftig gewickelt hatte, wieder zu lösen. Die darunterliegenden Wunden waren zu ihrer Zufriedenheit mittlerweile vollends verschlossen. Lediglich einige rötlich verfärbte Stellen mit getrocknetem Blut im Fell wiesen noch auf die wahnsinnige Tat hin,d ie sie da mit einem Dolch veranstaltet hatte.
Scheinbar mit genauem Wissen um das, was sie da tat, drückte sie mit beiden Händen an ihrem Knie herum, verzog dabei keine Miene.
„Verdammter Drecksorc.“ Schnaubte sie leise vor sich hin, sah dann zu Vadarassar auf. „Nicht du.“
„Hatte ich auch nicht angenommen.“ Brummte der Hexenmeister zurück. „Was machst du da?“
Sie antwortete nicht, drückte dafür noch weiter an ihrem Bein herum, umfasste dann ihren Unterschenken und schob diesen etwas hin und her. Sie verengte ihre Augen.
„Es hat nichts gebracht.“ Begann sie, sah dann wieder zu dem Hexenmeister auf. „Reich mir den Ledergürtel da vorne.“
Vadarassar tat, wie ihm gesagt, sah, wie die Todesritterin den Gürtel mit einem Griff von seiner Schnalle befreite und ihn dann derart fest um ihr rechtes Kniegelenk wickelte, dass er das Leder ächzen hörte. Als sie damit fertig war verband sie beide Enden mit zwei metallenen Nieten, drückte diese zusammen und zog ihr Bein heran, beugte und streckte es, ehe sie aufstand und einige Zentimeter in die Luft sprang, um nur auf dem rechten Bein zu landen. Nur Augenblicke später zog sie die Tunika über den Kopf, schleuderte sie Vadarassar zu, befreite sich von aller übrigen Wäsche und griff zu einer der eher schlicht aussehenden, nicht bestickten Roben. Ohne ein Wort zu verlieren riss sie die Ärmel ab und zerriss die Robe etwa auf halber Länge, ehe sie sich den unteren Teil über den Kopf zog. Dabei wurde deutlich, dass die Robe mehrere Größen zu klein für sie gewesen war. Die Nähte ächzten gequält, während sie sich den Stoff überzog und dabei ihrerseits etwas das Gesicht verzog. Dann nahm sie das obere Teil der Robe, streifte sich auch dieses über, musste sich allerdings dabei hinsetzen, um vom plötzlich einsetzenden Schwindel nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Als sie auch damit geendet hatte, blickte sie zum Hexenmeister, der sieh nun sehr fragend ansah, wie sie in einer auf halbe Länge gekürzten Robe, die gerade mal etwas mehr als ihren Brustkorb bedeckte, auf dem Bett lag und sich etwas zurücklehnte. „Ich brauche deine Hilfe.“ Sagte sie, deutete in die Ecke und die große Kanne Wasser, die neben dem Waschbecken bereitstand, damit man seine Morgentoilette erledigen konnte.
Vadarassar weitete die Augen. „Die Robe war aus doppelt geknüpfter Wolle. Wenn die nass wird…“
„Ich weiß. Tu es.“ Unterbrach die Todesritterin den Orc, der mit einem großen Seufzen zu der prall gefüllten Kanne griff, zur Todesritterin trat und sah, wie diese ihre Hände zu Fäusten ballte, ihren Oberkörper so gerade wie möglich auf dem Bett ausrichtete und ihn dann mit einem Nicken bedeutete, anzufangen.
Die Wollrobe sog das aufgewärmte Wasser wie ein Schwamm auf und begann beinahe schlagartig, sich zusammen zu ziehen. Knirschend und krachend fühlte Xelestra, wie die schnell enger werdende Robe ihr die gebrochenen Rippen zusammenquetschte, die Wunden in ihrem Inneren brüllend vor Schmerzen brandeten. Dennoch biss sie auf die Zähne, vermied jeglichen Schrei. Nur ihre Augen verrieten die Qualen, die sie gerade durchmachen musste.
Nur Minuten später hatte sich Xelestra wieder erhoben, begann sich ihre Hose und das Unterhemd überzustreifen. Binnen Minuten stand sie vollends gerüstet im Raum, hatte ihre übrige Ausrüstung um etliche Dinge aus Vadarassars Hausstand ergänzt und stand nun vor dem Hexenmeister, musterte diesen, während er sie immer noch kopfschüttelnd betrachtete.
„Ich sage nochmal, dass das eine dumme Idee ist.“
„Du wiederholst dich.“ Schnaubte Xelestra und trat an Vadarassar vorbei. Überdeutlich sah man an ihrer ganzen Körperhaltung und auch ihrem Gang, dass sie weit davon entfernt war, für einen Kampf bereit zu sein. Er hatte schon genug Kämpfer gesehen um beurteilen zu können, wer verwundet war und wer trotz seiner Wunden immer noch eine Gefahr darstellte. Und die Todesritterin strahlte bei jedem Schritt alles andere als eher letztere Person aus. Zu steif, zu unsicher war ihr Gang. Aber ihm war auch klar, dass Vernunft keinen Weg in ihren sturen Schädel finden würden. Er haderte mit sich. Zum einen wollte er sie um jeden Preis in Sicherheit wissen – das Nikariu an der Front, umgeben von Kyzaria, der er absolut dabei vertraute, wenn es um die Sicherheit der Kleinen ging sowie den übrigen vom Orden für die Unversehrtheit sorgen würden, war für ihn absolut sicher – und der jungen Paladina, für die er immerhin als Onkel auftrat, keinesfalls ihre einzige, echte Verwandte in den eigenen Tod marschieren lassen. Zum anderen erkannte er aber auch, dass weder Worte noch Taten es schaffen würden, die Todesritterin von ihrem Vorhaben abzuhalten.
„Dann werden wir dich zumindest begleiten.“ Schloss er schließlich und deutete mit einem Finger auf den Goblin, der sich bis zu diesem Zeitpunkt absolut sicher gewesen war, vom Hexenmeister unentdeckt an einer der Kisten – genauer gesagt, dem überaus komplexen Schloss sowie dem, was dadurch geschützt im Inneren der Kiste auf ihn wartete – zu Schaffen zu machen. Umso überraschter und mit spitzer Stimme quiekte er fast auf.
„Wawawawas? Wieso soll ich denn mit?!“
„Weil ich dich hier nicht allein in meiner Behausung sitzen lassen werde. Außerdem ist die Befreiung Orgrimmas auch in deinem Sinne.“
Kweezil biß sich auf die Lippen. Zu gern hätte er jetzt erwidert, dass dem nicht so sei. Zu gern hätte er den Hexenmeister Lügen gestraft. Doch im Kern hatte dieser verdammte Orc Recht – sowohl seine Behausung als auch das, was noch von seinem Vermögen übrig geblieben war, befand sich im Viertel der Goblins in Orgrimmar. Und damit befand sich auch alles, was ihm noch gehörte, nun in den Händen von Höllschrei und seinen Vasallen.
Kleinlaut gestand er dem Hexenmeister also, dass er mitkommen würde, blickte zu der Todesritterin, die sich von dem Hadern der beiden nicht beeindrucken ließ, einfach am Hexenmeister vorbei marschierte und durch den Eingang nach draußen trat.
Hier draußen, nur wenige Schritte von der Behausung des Hexenmeisters entfernt und mit bestem Blick über Mulgore und das Brachland, spürte sie wieder dieses seltsame Gefühl, das ihr bereits im Morgengrauen die Emotionen aus der dunklen Tiefe, in der sie nichts mehr vermutet hatte, hervor spülte. Diesmal jedoch behielt sie die Fassung, schloss stattdessen ihre Augen und sog die Luft langsam ein. Hatte sie vorher noch einige kleine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidungen besessen, so waren diese jetzt vollends verflogen. Das Schicksal schien ihr zum letzten Male eine Hand reichen zu wollen. Eine Hand, die Xelestra dieses Mal um jeden Preis ergreifen würde – ganz gleich, wie unwahrscheinlich ihr Überleben, wie schmal die Chance auf einen Sieg auch sein mochte. Niemals zuvor hatte sie so deutlich gespürt, dass sie das Richtige tat, wie in diesem einen Moment.
„Du hättest ruhig warten können.“ Brummte der Hexenmeister hinter ihr, riss die Todesritterin aus ihren Gedanken. Sie wandte sich um und blickte ihn verblüfft an, sah, dass er nun eine andere Robe trug, einen Beutel mit magischen Ingredenzien umgeschnallt hatte und seinen Stab in einer Hand hielt. All seine Ausrüstung wirkte schon in die Jahre gekommen, aber gepflegt und im besten Zustand.
Jetzt merkte Xelestra auch, dass etliche Minuten vergangen waren, in denen sie nur ruhig im Gras gestanden und in sich gehorcht hatte. Doch nun war es am Hexenmeister, an ihr vorbei zu schreiten, während er an seinen Gürtel griff und ein kleines Horn löste, das er sogleich zum Mund führte und mit einem kräftigen Stoß seiner Lugen erklingen ließ.
Es vergingen nur wenige Augenblicke, da tauchte eine schwärzliche Gestalt am Himmel auf, nahm schnell Form an und ließ mit der Kraft großer Schwingen den Wind auf dem Plateau anschwellen. Dann, kaum eine Minute, nachdem der Hexenmeister ins Horn geblasen hatte, stand der stolze Drache Nerakis vor den dreien, legte die Schwingen an und senkte sein Haupt, während die glühenden Augen den Blick fest auf den Hexenmeister gerichtet hielten.
Vadarassar trat an den Drachen, der vom Aussehen her deutlich als Netherdrache zu erkennen war, heran und strich mit einer Handfläche über den Nacken eben jenes Drachen, der ihm dareinst vom Schwarm der Netherschwingen zum Danke für seine Hilfe überlassen worden war. Viele Jahre war das nun her, in denen er stets gut für ihn gesorgt und es ihm an nichts hatte mangeln lassen. Der Drache wiederum dankte es dem Hexenmeister mit seinen Diensten, ihn überall dorthin zu tragen, wo Portale, Reittiere und Schiffe keinen Weg fanden.
„Wir sollten bald aufbrechen. Mit uns dreien wird Nerakis stark zu schleppen haben und nicht sehr schnell unterwegs sein können.“ Gab Vadarassar zu Bedenken, während er bereits den Rücken des Netherdrachen hinauf kletterte. Kweezil folgte ihm kurz hinterher. Doch Xelestra schritt an dem Netherdrachen vorbei, winkte dem Hexenmeister ein nein zu.
„Er wird mich nicht tragen müssen.“ Sagte sie leise und zog einen schimmernden, kleinen Knochen aus der kleinen Tasche an ihrem Gürtel, warf diesen auf den Boden vor sich.
Kaum das der Knochen den Boden berührte, schlugen baumhohe, grüne Flammen aus dem Boden in den Himmel hinauf, wucherten diese in ein riesiges Portal, aus dem zwei riesige, kalte, blaue Augen hinaus starrten und nur Augenblicke später die Augen der Todesritterin trafen. Schlagartig spürte man, wie die Temperatur der Luft um etliche Grad absackte, der Atem der Todesritterin wieder sichtbar wurde und sie ihrerseits einen Schritt zurück trat.
Mit einem Mal griff eine knöcherne Pranke aus den Flammen, folgte ein mächtiger Knochenschädel, an dessen Rückseite zwei bläulich leuchtende Hörner der gesamten Gestalt ein imposantes Strahlen verliehen. Der übrige Körper, an dem neben einigen Sehnen und Stofffetzen noch einzelne, metallene Platten befestigt waren, folgte sogleich, breitete die knöchernen Schwingen aus und ließ ein widernatürliches, untotes Brüllen über die Ebene erschallen, ehe er den Kopf wieder in Richtung Todesritterin wandte und ihn senkte. Erst jetzt trat die Todesritterin auf ihn zu.
Der skelettierte Drache starrte sie weiterhin mit einem überlegen wirkenden Blick an, schien keine Anstalt zu machen, der Todesritterin als Reittier zu dienen oder auch nur den Anflug von Gehorsam zu zollen. Stattdessen fauchte der Drache durch seine strahlend weißen Zähne. Als die Todesritterin aber unmittelbar vor seinem Gesicht stand und er eigentlich nur noch hätte zuschnappen müssen, groll sie mit tiefer Stimme in seine Richtung.
„Vergiss niemals, wem du deine Existenz verdankst Arkano. Oder soll ich dich Arkylastros nennen?“
Die Todesritterin hatte den letzten Namen noch nicht vollends ausgesprochen, als ein fast schon wimmerndes Quieken aus dem Körper des untoten Wyrms entwich. Instinktiv zog er seinen Kopf zurück, machte einen Schritt seitwärts und sackte sogleich mit dem Bauch auf den Boden. Mühelos gelang es Xelestra, sich auf den Rücken des Drachen zu schwingen. Dann sah sie zu Vdarassar hinüber.
„Worauf wartet ihr noch? Wir fliegen los!“
Die Schlacht lief wesentlich schlechter, als jeder es sich hatte vorstellen können. Sicher, die Orcs des Drachenmalclans waren schnell überwältigt und auch die Wachen Orgrimmars, deren Order die Bewachung der massiven Eisentore mit vehementer Überzeugung befolgt wurde, konnte man schnell niederstrecken oder gefangen nehmen. Doch gerade als die Truppen von Vol’Jin und Baine gemeinsam auf das Tor zustürmten, wurden sie von einer metallenen Bestie empfangen, die sie mit Sperrfeuer aus ihrem Kanonenturm, einem schneidenden Laserstrahl, der aus dem skorpionartigen Schwanz auf alle umliegenden Feinde schoss sowie gellende Flammen, die dem Untetüm aus dem verzerrten Maul schlugen, derart schnell dezimiert, dass ihnen nichts als der Rückzug blieb. Erst als sie den engen Canyon, der Klingenhügel mit Orgrimmar verband, erreichten und sich in die Felsspalten und unzähligen Abzweigungen hin verteilten, waren sie von der metallenen Bestie sicher, die ihnen in diese engen Schluchten aufgrund ihrer schieren Größe nicht zu folgen in der Lage war.
Novatian, Nikariu und die übrigen Heiler hatten indes damit begonnen, sich um die Verwundeten zu kümmern. Binnen weniger Minuten hatten die tödlichen Waffen dieser mechanischen Bestie schreckliche Wunden gerissen. Niemand, nicht einmal der furchtlose Anführer der Trolle, war unversehrt geblieben. Überall stank es nach verbranntem Fleisch und brennendem Fell, verkohlten Haaren oder verkohltem Leder.
„Wir müssn die Bestie irgndwie austrickn.“ Überlegte Vol’Jin laut, blickte in die Runde seiner Krieger, deren Reihen sich beängstigend gelichtet hatten. Dann blickte er kurz an der Felswand vorbei in Richtung Meer, auf dem er in der Ferne die Segel von Schiffen zu sehen glaubte. Viel näher kamen diese jedoch nicht, wurden sie doch von der Küstenverteidigung Orgrimmars sofort unter Feuer genommen, sobald sie sich auch nur ansatzweise näherten. Mit Verstärkung war also vorläufig nicht zu rechnen – es sei denn Sylvanas und Lor’Themar würde noch irgendein geschickter Schachzug einfallen. Was sie brauchten war ein Ausfall mit einigen kräftigen Kriegern, die diese Bestie ablenkten oder gar einen entscheidenden Schlag dagegen führten. Doch wer konnte so etwas tun?
„Kommandant.“ Rief einer der Tauren in auffällig goldener Plattenrüstung. Vol’Jin blickte fragend zu dem Tauren, der mit einer Handvoll anderer Tauren vorwärts trat.
„Wir werden versuchen, die Bestie von der Seite anzugreifen. Dort scheint sie weniger gut bewaffnet zu sein. Gebt nur den Befehl und wir rücken aus.“
Vol’Jin blickte kurz nach vorn, schreckte aber sogleich zurück, als eine weitere Welle Feuers in seine Richtung schwappte und beinahe seine restlichen Haare versengte. Dann blickte er zu den Tauren zurück, die allesamt ihre Schilde gegriffen und vor ihre Körper hielten.
„Ich wird euch nich in den Tod befehln. Aber wenn ihr es schafft, folgen wir euch und helfn so gut es geht.“
Das reichte den Tauren scheinbar. Mit schnellem Schritt stürmten sie in einen der Seitenarme der Canyons, wo sie sich verteilten und dort, die Schilde zum Eigenschutz erhoben, von zwei Richtungen auf die Bestie zu stürmten.
„Sie sind wahre Helden…“ murmelte Vol’Jin vor sich hin, blickte dann in die Runde seiner Kämpfer und nickte ihnen zu. „Macht euch bereit. Wer laufn kann, folgt mir!“
Kapitel 21 – Die Belagerung von Orgrimmar
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