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Kategorie: Kurzgeschichten

Jeweils einzelne, in sich abgeschlossene Kurzgeschichten

Das Raji-Humanoiden-Syndrom

„4. Dezember 2022. Rund 31.522 Humanoide leben mittlerweile auf der Erde. Jedes Jahr kommen einige hundert dazu, aber die genauen Zahlen kann niemand wirklich abschätzen – dafür operieren viel zu viele Labors inoffiziell, sind mittlerweile Projekte von staatlichen oder privaten Militärs als vertraulich eingestuft und unzugänglich.“ beginnt Maya ihren Eintrag.

„Im Rahmen meines medizinischen Hilfsangebots für Humanoide habe ich in den vergangenen fünf Jahren genau zweihunderteinundsiebzig Patienten behandelt. Während Erkrankungen bezüglich Ernährung, Infektionserkrankungen, Zahn- oder Krallenverletzungen den Großteil ausmachten und mit üblichen Behandlungsmethoden leicht zu versorgen waren – obwohl die Medikamentenverträglichkeit eine echte Herausforderung darstellt – sticht ein Krankheitsbild statistisch signifikant hervor: 43 der 271 Patienten (16% aller Fälle) litten an Verletzungen von entweder einem oder beiden Sprunggelenken. Bei 38 von 43 Fällen lag hierbei ein Bänderriss eines Sprunggelenks vor, 2 von 43 Fällen hatten Risse in beiden Sprunggelenken und 3 wiesen lediglich schwere Überdehnungen, begleitet mit heftigen Schmerzen, auf. In allen 43 Fällen wurde eine Behandlung mittels Ruhigstellung und Schienung des betroffenen Gelenks sowie passenden Gehhilfen gearbeitet.

Signifikant auffällig ist, dass 41 von 43 Patienten auch nach Abschluss der Behandlung weiter über Probleme klagten und bei den 40, die sich einen Riss in mindestens einem der Sprunggelenke zugezogen hatten, auch nach 6 Monaten erneute Verletzungen einstellten.

Meine Untersuchungen bezüglich dieser signifikant hohen Häufung dieses Krankheitsbildes sowie der offenbaren Dauerhaftigkeit haben mich zu weiterer Recherche veranlasst. Hierzu habe ich meine Kontakte im medizinischen Bereich genutzt und angefragt, ob meine Kollegen ähnliche Erkenntnisse gesammelt haben. Zwar habe ich hierbei nicht von allen Rückantwort erhalten, jedoch ergab das Feedback, dass international rund 2.000 Humanoide – nahezu 10% unserer Gesamtzahl – mindestens einmal mit einem derartigen Krankheitsbild aufgefallen ist. In mindestens 1.800 Fällen war dies sogar ein sich wiederholendes Krankheitsbild, das mit den üblichen Behandlungsmethoden nicht abgestellt werden konnte. Daher habe ich mich dazu entschlossen, eine detaillierte Untersuchung zu beginnen, um die Ursachen, den Krankheitsverlauf sowie mögliche Therapien zu erarbeiten.“

Maya lehnte sich zurück, blickte auf den Bildschirm vor sich und seufzte leise. Die Zahlen, die sie in ihrem Eintrag, der Basis ihrer Untersuchungs- und hoffentlich einmal Behandlungsdokumentation werden sollte, niedergeschrieben hatte, waren bereits jetzt viel zu konservativ und zu gering geschätzt. Laut den Aussagen ihrer Kollegen hieß es, dass mindestens jeder vierte Humanoide während seiner Existenz mindestens einmal eine solche Verletzung erlitt, die aber aus Gründen, die sie nicht verstand, nicht korrekt verheilte, zu einem dauerhaften Leiden führte. Keiner ihrer Kollegen hatte die Ressourcen, das näher zu untersuchen – und die meisten Menschen kein Interesse, Humanoide mit derartigen Verletzungen ordentlich zu therapieren. Schließlich kostete alles Geld – und auf lange Sicht war es wahrscheinlich günstiger, einfach einen neuen, aktuelleren Humanoiden im Genlabor zu züchten, der den „kaputten“ ersetzte. Für mehr war das Leben eines Humanoiden in den Augen der meisten nicht wert.

So lag es also an ihr, dem Rätsel auf die Schliche zu kommen, auch wenn das, was sie dafür tun musste, ihrem Gewissen viel abverlangte. Zwar hatte sie schon Dutzende Patienten mit derartigen Verletzungen untersucht, aber sie hatte weder Informationen über die Methodik der Verletzung, das Alter der Verletzung erhalten, den Heilungsverlauf nie vollständig beobachten können und auch keinen Einblick gehabt, ob ihre Patienten wirklich alles machten, was sie ihnen sagte. Sie hatte auch nie die Mittel gehabt, wirklich alle so ausführlich behandeln zu können. Das alles hatte sich geändert, als sie vor einigen Wochen Blanche erworben hatte.

Die nahezu strahlend weiße, fast blinde Leoparden-Humanoidin sollte eigentlich an einen Medimantenhersteller veräußert werden, um bei diesem als Versuchskaninchen für etliche Wirkstoffe langsam, aber ziemlich sicher vergiftet und dann irgendwann „entsorgt“ zu werden. Maya hatte sie noch im letzten Moment durch einen Kontakt in eben dieser Firma selbst abkaufen können. Zwar war die Summe – es waren immer noch gute 15.000 Euro gewesen – deutlich höher, als Blanche wahrscheinlich wert gewesen war, doch was war schon das Leben eines Humanoiden im Vergleich zu Geld?

Natürlich hatte Maya sofort versucht, die Augen von Blanche so weit zu behandeln, dass die Leopardin diese wieder normal verwenden könnte, doch die Schäden waren genetisch und so umfassend, dass nicht viel zu machen war, außer ihr eine entsprechend große Brille zu geben und sie in ihrem Tempo – nämlich entsprechend langsam und vorsichtig – machen zu lassen. Und auch wenn sie nicht die klügste war, schien sie doch über die Chance, zu leben und diesem noch einen Sinn zu geben, mehr als glücklich. Umso mehr nagte das Gewissen an Maya, während sie durchdachte, was sie dieser eh schon geplagten Seele antun würde. Zu gern hätte sie einen anderen Weg gewählt, aber alle Alternativen waren bereits ausgereizt. Ihr blieb so nur, das Bestmögliche aus der Lage zu machen und sich selbst sowie Blanche zu versprechen, eine schnelle und dauerhafte Lösung für dieses so weit verbreitete Krankheitsbild zu finden.

Es war bereits spät am Abend, als Maya mit Blanche zusammen in die Klinik fuhr. Im Klinikum hatte bereits die Nachtschicht übernommen, waren die Patienten auf ihren Zimmern, die letzten Besucher schon lange nach Hause gegangen, die Etage mit den Diagnostik- und Behandlungszimmern leer und auch die OPs waren nicht mehr in Benutzung. Maya hatte sich diese Zeit genau deswegen ausgesucht, führte Blanche mit einer Hand hinter sich durch die abgedunkelten Gänge. Die Jaguardame trug ihre Arbeitskleidung – als eine der Chefärztinnen hatte sie auch um diese Uhrzeit problemlos Zutritt zur Diagnostikabteilung des Klinikums – und betrat mit ihrer Begleitung gemeinsam das erste Diagnosezimmer.

„Zieh bitte einmal die Schuhe und Hose aus und leg dich dann dorthin.“ sagte Maya und deutete auf eine Liege vor einem großen Konstrukt. Blanche tat, wie ihre Chefin und Freundin zugleich ihr auftrug, zog die Klettverschlüsse ihrer Stoffschuhe auf, löste den Gürtel und ließ erst die Schuhe, dann die Hose auf den Boden sinken, setzte sich dann auf die grünliche Liege.

Maya trat neben sie, richtete die Leopardin aus, schob sie etwas hin und her und legte ihr dann einige Gurte um das linke Bein. „Jetzt bitte nicht mehr bewegen.“ sagte sie noch, ehe sie hinter eine Wand verschwand, einen USB-Stick aus der Tasche zog und in die Bedientafel vor sich einsteckte. Ihre Finger flogen nur so über die Tasten.

„Maximale Auflösung, alle Seiten, dreidimensional, so viele Schichten, wie das Gerät hergibt.“ murmelte sie, als im anderen Raum ein Surren erhallte. Wenige Augenblicke später tauchte auf dem Bildschirm eine dreidimensionale Darstellung von Blanches linkem Fuß auf, den Knochen, schichtweise noch die Bänder, Sehnen, Muskeln, hinauf bis zur Haut, herab bis zu der genauen Knochenzusammensetzung. Das hochmoderne, multimillionen Euro teure MRT neuester Bauart berechnete sogar die Knochendichte und -zusammensetzung, plottete diese zusammen mit Ansichten von allen Seiten auf den Speicherstick. Nach ein paar Minuten war der Krach auch wieder verebbt, trat Maya wieder an Blanche heran, die noch immer regungslos auf der Pritsche lag.

„Gut gemacht. Jetzt komm bitte nach nebenan.“ sagte Maya, half der Leopardin auf, öffnete eine Verbindungstür zu einem Raum mit einer ähnlich beeindruckenden Maschine. Wieder wurde Blanche auf eine Liege gelegt, ausgerichtet und mit einigen Haltegurten fixiert, wieder verschwand Maya hinter einer Wand und bediente die Tafel, die nun einem CT gehörte, machte auch hiermit so detaillierte Aufnahmen von Blanches linkem Fuß und Bein, dass selbst die feinsten Knochenstrukturen auf dem USB-Stick landeten.

Als sie auch in diesem Raum fertig waren, betraten die beiden noch den dritten Raum, in dem lediglich eine Pritsche und ein Diagnostikwagen standen. Zum dritten Mal an diesem Abend bat Maya ihre Begleiterin, Platz zu nehmen und sich hinzulegen. Doch anstatt diesmal zu verschwinden, nahm Maya den Sensorkopf des Ultraschalls vom Diagnostikwagen, drückte einige Köpfe und führte den Kopf mit etwas Druck an Blanches linken Fuß. Millimeter für Millimeter umkreiste sie diesen mit dem Sensorkopf, ließ das Ultraschall jeden noch so kleinen Bereich haargenau abtasten. Dann, als alle Aufnahmen auf ihrem USB-Stick gespeichert waren, reichte sie der Leopardin wieder ihre Hose und Schuhe, nickte ihr zu. „Ich habe alles. Zieh dich ruhig wieder an.“

Während Blanche sich ihre Hose wieder überstreifte, in die Schuhe schlüpfte und die Klettverschlüsse festzog, griff Maya in den Medikamentenschrank, nahm zwei Spritzen sowie ein kleines Fläschchen heraus, steckte sich beides in ihren Arztkittel. Dann verließen die beiden die Klinik, stiegen erneut ins Auto und fuhren heim.

Zu Hause angekommen parkte Maya den Wagen in der Nähe an der Straße, half Blanche aus dem Wagen und führte sie den Gehweg in Richtung des Apartmentgebäudes, in dem ihre Penthousewohnung lag. Direkt vor der Eingangstür schließlich stoppte sie die Leopardin und stellte sich vor sie.

„Du musst mir jetzt einmal ganz kurz helfen. Es geht ganz schnell, versprochen.“ sagte sie mit leicht zittriger Stimme.

Blanche lächelte, legte eine Hand auf Mayas Schulter. „Hab keine Angst. Du hast mein Leben gerettet. Alles, was du willst. Also, was soll ich tun?“

Maya schluckte, drückte Blanche kurz, hob ihr dann die Brille von der Nase. „Mach bitte die Augen zu und lass sie zu, bis ich etwas anderes sage. Und dann heb dein rechtes Bein hoch.

Blanche tat, wie ihr gesagt, schloß die Augen, hob ihr rechtes Bein. Sie schwankte, aber Maya ergriff sofort ihre rechte Hand und half ihr, auf nur einem Bein zu balancieren. Dann schob sie sie leicht in Richtung Apartmentgebäude.

„Auf dem linken Bein vorwärts hüpfen. Ich halte dich fest, keine Sorge.“ sagte Maya. Blanche gehorchte, hüpfte langsam in Richtung Eingang, ohne zu sehen, wohin. Maya jedoch lenkte sie bewusst etwas zu weit links, dicht an den Rand des Weges und zu dem mit Rasen bewachsenen Beet heran. Einen Augenblick plagten sie noch Gewissensbisse, ob sie das, was sie vorhatte, wirklich durchziehen sollte, doch dann mischte sich das Rationale in ihrem Kopf ein, bedrängte sie mit der Tatsache, dass das, was sie lernen konnte, nicht nur Blanche, sondern tausenden anderer helfen würde. Und bei ihrem schlechten Augenlicht war es sicher auch nur eine Frage der Zeit, ehe es von allein geschah. Dann aber ohne die Chance, es unter kontrollierten Bedingungen zu untersuchen und vielleicht zu heilen.

Mit dem nächsten Hüpfer von Blanche war die Überlegung so oder so vom Tisch. Die Sohle des weißen Stoffturnschuhs, landete nur zu einem Drittel auf dem gepflasterten Weg, die übrige Sohle dagegen hing einige Zentimeter darüber in der Luft über dem mit Gras bewachsenen Beet neben dem Weg. Es dauerte einen kurzen Moment, ehe ihr gesamtes Köpergewicht den Fuß erst leicht zur Seite kippen ließ, die äußerste Kante ihres Fußes schließlich in den weichen Erdboden drückte. Maya hörte ein heftiges Knacken und sah, wie Blanches linker Fuß schließlich vollends zur Seite umknickte, die Leopardin die Augen aufriß und zur Seite stürzte. Im nächsten Moment lag sie schon da im Beet, das linke Bein an sich herangezogen und die Hände um ihren linken Knöchel geschlossen. Aus ihrem Mund drang ein leiser, aber klar als solcher erkennbarer Schmerzensschrei.

Maya reagierte schnell, griff in die Tasche ihres Kittels, holte eine der Spritzen sowie das Fläschchen heraus, zog die Spritze damit auf, krempelte schnell Blanches linkes Hosenbein hoch und drückte die Spritze in ihre linke Wade.

„Was…hast du getan?!“ flüsterte Blanche zwischen ihren Zähnen hindurch.

„Es tut mir leid. Aber das ist der einzige Weg, wie ich eine Behandlung herausfinden kann. Das hier ist ein starkes Schmerzmittel. Du solltest gleich nichts mehr fühlen. Jetzt komm, ich helf dir hoch. Ich muss dich oben untersuchen.“

Vorsichtig half Maya Blanche nach oben, trug die Leopardin trotz der Tatsache, dass diese größer war als sie, fast in den Aufzug und legte sie oben dann auf der Couch ab. Oben verabreichte Maya ihr noch ein leichtes Schlafmittel, entfernte Schuhe und Hose und verbrachte die Nacht damit, stündlich die Entwicklung von Blanches linkem Knöchel zu beobachten, Messungen mit Maßband, Thermometer und Stethoskop durchzuführen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass das Schmerzmittel in Blanches Körper so hoch war, dass sie von alledem nichts spürte.

Zwei Tage dauerte es, bis die Schwellung so weit nachgelassen hatte, dass Maya Blanche erneut abends ins Krankenhaus schmuggeln und darin mit ihr die drei Diagnostikschritte durchlaufen konnte. Bereits das MRT zeigte, dass Blanche sich einen Außenbandriss aller drei Bänder zugezogen hatte. Auch sah Maya, dass Blanche mit dem Fuß nicht auftreten konnte, fühlte, wie das Gelenk deutlich lockerer als zuvor war. Wieder speicherte sie alles auf einem USB-Stick. Am nächsten Tag begann sie dann, unterschiedliche Stützbandagen und Orthesen an Blanche auszuprobieren. Hier begann sie zuerst mit jenen, die sie schon so vielen anderen Humanoiden unterschiedlichster Rassen angelegt hatte, ließ Blanche diese bei unterschiedlichsten Bewegungen und Belastungen ausprobieren. Mäßig begeistert versuchte sie schließlich die gesamte Kollektion der Bandagen, Schienen und Orthesen, die in der Klinik sonst für menschliche Patienten angewendet wurden. Zu ihrer Überraschung waren die, die beim Menschen am wirkungsvollsten waren, bei Blanche nahezu wirkungslos, zwei andere dagegen durchaus vielversprechend.

Zweimal in der Woche fuhren die beiden abends in die Klinik, führte Maya ihre Untersuchungen durch, verfolgte den Heilungsverlauf detailliert. Nach sechs Wochen schließlich zeigten sowohl das MRT wie auch der Ultraschall, dass die Bänder wieder vollständig zusammengewachsen und ihre ursprüngliche Festigkeit erreicht hatten. Eine weitere, detaillierte Aufnahme, dann nahm Maya die Schiene, die sie in der Zwischenzeit mit ihrem 3D-Drucker so modifiziert hatte, dass sie Blanches Gelenk ideal stützte, ab.

„Jetzt geh bitte ohne das Ding hier einige Schritte.“ sagte Maya und deutete auf den Klinikflur. Perfekt glatter, flacher Boden. Eigentlich ideal.

Blanche tat, wie Maya ihr aufgetragen, schritt den Gang entlang, ohne dass sie dabei ein Problem zu haben schien.

„Gut. Jetzt werd schneller, dann bleib stehen und dreh dich zu mir um. Dann lauf zurück.“

Blanche gehorchte, ihr Schritt ging in eine leicht joggende Bewegung über. Dann stoppte sie, drehte sich im Uhrzeigersinn in Richtung Maya und wollte wieder lossprinten. In genau diesem Moment sah Maya, wie Blanches linker Fuß nachgab und zur Seite wegknickte, diese im nächsten Augenblick wieder auf den Boden klatschte und sich mit den Händen an den linken Knöchel griff.

Maya biß auf die Zähne. Einerseits freute sie sich, weil sie damit genau die Symptomatik, die sie so oft von ihren Patienten gehört hatte, nachgestellt und nun selbst beobachtet hatte. Umgekehrt ärgerte sie sich, weil ihr nicht verstand, was denn nun falsch war.

Unter Schmerzen hievte Maya die Leopardin erneut auf das MRT, ließ den Scan durchlaufen und bestätigen, was sie vermutet hatte: Die Bänder waren wieder gerissen – diesmal einen guten Zentimeter oberhalb des ursprünglichen Risses.

Zurück daheim nahm sie die Aufnahmen von MRT, CT und Ultraschall, legte sie nebeneinander und verglich die Bilder von vor der Verletzung, während der Verletzung, nach der Heilung und nach der erneuten Verletzung miteinander. Sie selbst sah keinen Unterschied, überließ es daher dem Bildanalyseprogramm, die Unterschiede hervorzuheben. Und da die Datenmenge immens war, dauerte es etliche Stunden, ehe sie ein Ergebnis präsentiert bekam.

Es war kurz vor ihrem Dienst, als sie schließlich das Resultat auf ihrem Bildschirm erblickte. Und es war etwas gänzlich anderes, als sie erwartet hatte. Zwar zeigte die Bildauswertung eine Veränderung des Verlaufs der Bänder – was aufgrund der Vernarbung zu erwarten war – doch noch viel auffälliger war, dass an der Innenseite des Schienbeinknochens offenbar etwas fehlte.

Sie holte das Bildmaterial von vor der Verletzung hervor, drehte die 3D-Ansicht und vergrößerte die Ansicht. Tatsächlich erblickte sie eine winzige Knochennase an der Innenseite des Schienbeinknochens, knapp oberhalb des Sprunggelenks, nicht größer als eine Erbse und wie ein Stachel aus dem Knochen hervorstehend. Auf den späteren Aufnahmen dagegen fehlte genau diese Knochennase, war der Knochen an dieser Stelle perfekt glatt und gleichförmig – ganz so, als wäre das der Normalzustand.

Maya zog ihre eigene Stiefelette herunter und betastete die Innenseite ihres linken Sprunggelenks. Es dauerte einen Augenblick, aber dann, mit genauem Ertasten, konnte sie die Knochennase nach etwas Druck an der richtigen Stelle selbst auch erfühlen. Langsam und vorsichtig verdrehte und verbog sie ihren eigenen, linken Fuß und merkte, dass der Knochen ab einer gewissen Position etwas zu berühren oder wegzudrücken schien.

Mit diesem Wissen sprang sie auf, lief zu Blanche herüber, die wieder auf dem Sofa lag, den linken Fuß auf einigen Kissen liegend, während die Schmerzmittel und ein leichtes Schlafmittel sie schlummern ließen. Rasch zog Maya den Stützverband herunter, tastete an der entsprechenden Stelle an der Innenseite von Blanches linkem Fuß und fühlte…nichts. Dann drehte sie den Fuß, wie sie ihren eigenen zuvor gedreht hatte und fühlte, wie an der Stelle etwas Weiches nach außen rutschte, spürte, wie das Sprunggelenk unnatürlich locker war und gut einen oder zwei Zentimeter zu weit nach innen glitt. Dann nickte sie, mehr oder minder zufrieden.

Sie hatte die Ursache für die fortwährende Instabilität im humanoiden Sprunggelenk gefunden. Und die Symptomatik war einer Verletzung, die beim Menschen äußerst selten auftrat, sogar ähnlich: Läsion im Bereich des oberen Taluskörpers mit Abstreifung. Weniger als 1% dieser Fälle waren bei Menschen, die sich eine Talusfraktur zuzogen, dokumentiert. Und die wiederum waren selbst recht selten. Bei Humanoiden aber, die eine andere Physiologie aufwiesen, schien eine Bänderverletzung des Sprunggelenks nahezu immer mit genau so einer Verletzung einher zu gehen.

So leicht, wie die Diagnose war, so ernüchtert war Maya, als sie die Therapieoptionen betrachtete. Die Tatsache, dass dieses Stück Knochen einfach abgestreift und vom Körper überraschend schnell zersetzt worden war, machte eine einfache Behandlung nahezu unmöglich. Von den Aufnahmen trotz Ruhigstellung sah sie zudem, dass die fehlende Knochenmasse nicht neu gebildet wurde. So blieb nur, eine Prothese anzufertigen. Ohne ein Vorher-Bild, wie diese Knochennut aussah, war eine dauerhafte, innere Reparatur nahezu unmöglich – und wenn, dann sicher auch ziemlich kostspielig. Allerdings, da sie nun die Position und Funktionsweise kannte, konnte sie mittels einer speziellen Bandage mit passendem Inlay, das genau an der richtigen Stelle den nötigen Druck aufbrachte, die Funktion zu imitieren versuchen.

Nach weiteren sechs Wochen, die sie Blanche gab, bis die Bänder wieder verheilt waren, unternahm sie einen neuen Versuch, fertigte ein entsprechendes Inlay in ihrem 3D-Drucker an, platzierte es mittels einer flexiblen, aber gleichzeitig ausreichend festen Bandage an genau der richtigen Stelle, zog Blanche eine atmungsaktive Stützbandage darüber. Dann nickte sie ihr zu.

„Steh jetzt bitte einmal auf und lauf ein Stück.“

Blanche tat, wie ihr gesagt. Erneut wurde sie schneller, stoppte sie, machte sie Richtungswechsel. Diesmal aber knickte ihr Fuß nicht um, schien sie auch keine Schmerzen oder sonstigen Probleme zu haben. Im Gegenteil verhielt sie sich so, als wäre ihr Fuß nie verletzt gewesen, blickte Maya fragend und glücklich zugleich an.

Noch am selben Tag setzte sich Maya an ihren unfertigen Bericht, fügte die Aufnahmen von Blanche mit passenden Markierungen und Dokumentationen, die 3D-Slicer-Muster und viel Prosa hinzu, ehe sie ihre Ergebnisse an einen Kollegen in Australien weiterleitete. Zu ihrem Glück fragte niemand nach, wie genau sie an diese Ergebnisse gekommen war, wer ihr Patient war und weshalb die Analysen so umfangreich und detailliert vorgenommen werden konnten. Stattdessen wurde kurz darauf bestätigt, dass die Inlays nicht nur Blanche, sondern offenkundig vielen anderen Humanoiden ebenfalls halfen. Und ehe sich Maya versah, hatte das Krankheitsbild bereits ihren Namen: Das Raji-Humanoiden-Syndrom. Die Tatsache, dass es zudem so relativ simpel zu behandeln war, machte es schnell populär, während andere ihrer Kollegen daran ansetzten, statt einer von außen wirkenden Prothese eine tatsächlich operative Heilung zu erarbeiten.

Maya indes versprach Blanche, dass sie alles tun würde, genau diese Therapie bei ihr durchzuführen, sobald sie sich als dauerhafte Lösung erweisen sollte. Das war sie ihrer Assistentin, die die Bedeutung ihres Opfers schließlich verstand, absolut schuldig.

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Flammendes Inferno

Lautes Glockengeläut schrillte durch die, gewundenen Steingänge des Turms, der sich auf der Anhöhe des Arisgebirges wie aus einem Guss seitlich aus der Felswand heraus erhob. Auf den ersten Blick schien es fast, als wäre dieser Turm Teil des Berges und lediglich eine Abnormität der Natur, die zwischen den ganzen, verwinkelten und schartigen Abrisskanten der Felswände eine gleichförmige, glatte und gradlinig nach oben führende Zylinderform, die halb in der Felswand eingelassen war, als eine gute Idee empfinden. Doch auf den zweiten Blick sah man in jener Form Ausbuchtungen für Fenster, erkannte man filigran gearbeitete Fugen, an denen sich der Frost und Schnee festhalten konnten. Welcher Steinmetz oder Zimmermann auch immer für diese Konstruktion, die wahrlich wie aus einem Guss vom Berg zum Gebäude überging verantwortlich zeichnete, er musste ein wahrer Meister seines Faches gewesen sein.

Der Turm selbst mochte zwar schon eindrucksvoll sein, doch sein Inhalt stand dem in nichts nach. Im Gegenteil war dieser Ort, der fernab von allen größeren Ansiedlungen lag und den man entweder nur per Luft oder über einen schmalen Pfad, der mehr als eine Tageswanderung lang war, ehe er an der nächsten Behausung vorbei führte, erreichen konnte, ein Hort des Wissens und des Studiums. Hierher hatten sich etliche Drakonier zurückgezogen, lasen sie in Büchern und Schriftrollen, diskutierten sie Erkenntnisse, schrieben sie neue Erkenntnisse nieder und meditierten sie über jene Dinge, deren Geheimnisse auch ihren ärgsten Diskussionen verborgen blieben.

Es lag in der Natur der Drakonier, sich dem geschriebenen Wort, dem Wissen um alles, was geschah, geschehen war und vielleicht gar geschehen würde, zu widmen, auch wenn ihre Zahl auf Parsonis nur gering war, sich die einzelnen Gruppen in eigenen Orden organisierten, die jeder für sich ihr Wissen anhäuften. Hin und wieder besuchten Anhänger der einzelnen Orden den jeweils anderen, teilten sie ihr Wissen untereinander, tauschte man sich aus, fügten beide Seiten das jeweilige Wissen den eigenen Bibliotheken hinzu. Eine weitere Quelle des Wissens waren die Pilger, die die klosterähnlichen Bauten auf der Suche nach Erleuchtung, nach Wissen, Rat oder einfach nur geistigem Beistand besuchten, in Wahrheit aber zumeist mehr Informationen an die zurückgezogenen, schuppigen Wesen lieferte, als er am Ende für sich wieder mitzunehmen pflegte.

Das Leben im Turm war dominiert von Routine und Ruhe. In den großen Lesezimmern mit ihren breiten Holztischen, den gemütlichen, weich gepolsterten Bänken und dem in einer Ecke stets knisternden Feuer, dessen Glut zu jeder Zeit eine wohlige Wärme spendete, über dessen züngelnden Flammen ein großer Krug Wasser hing, damit sich ein jeder der Bewohner des Turms jederzeit einen frischen Tee aufgießen konnte, versammelten sich die Bewohner und Gäste die meiste Zeit des Tages, lasen, schrieben oder sinnierten über die Texte vor ihnen. Gesprochen wurde meist nur im Speisesaal während der Mahlzeiten oder während der Diskussionsrunden im großen Salon. Entsprechend ungewöhnlich war das laute Läuten der Glocke, die für gewöhnlich nur kurz am Morgen erklang, um den Beginn eines neuen Tages zu markieren. Entsprechend verstört waren die Drakonier ob des infernalischen Krachs, den die Glocke mitten während der Lektüre veranstaltete.

Mit schnellen, kräftigen Schritten stieß Kreklim, der Anführer dieses Ordens und seiner acht Drakonier durch die Tür des Lesezimmers, stieg die gewundene Treppe empor zum Glockenturm. Die Tür zu dem Raum, in dem der Seilzug, mit dem die Glocke ganz oben, an der Spitze des Turms gezogen worden konnte, stand weit offen. Ein Statis hing an dem Seil, zog unter vollem Körpereinsatz mit aller Kraft immer wieder daran.

„Was im Namen von Gantt und Kratz denkst du, das du hier machst?!“ brüllte Kreklim verärgert auf den Statis ein. Dieser jedoch ließ von dem Seil nicht ab, blickte nur zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen, das Gesicht blass.

„Es gehört sich für einen Gast nicht, die Ruhe dieses Ortes in dieser Art zu stören. Erkläre dich sofort.“

Der Statis deutete mit zittrigem Finger auf eines der Turmfenster hinter Kreklim. Der wiederum wandte sich um, blickte auf das angelehnte Fenster, zog es auf und sah hinaus.

Noch ehe er wirklich begreifen konnte, was da draußen vor sich ging, reagierte er aus Reflex, sprang vom Fenster weg auf den Statis zu, packte ihn und warf sich mit ihm gemeinsam auf den Boden. Noch ehe sie beide auf dem Boden aufschlugen, traf etwas den Turm von außen, riss die Wand, an der Kreklim gerade noch gestanden hatte, weit auf und ließ ein Meer aus Flammen durch den Raum hindurchbranden. Deutlich fühlte der Drakonier, wie seine Kleidung an seinem Rücken zu kokeln begann.

„Kratz noch eins! Was sollte denn das?!“ schnaubte Kreklim, während er sich langsam wieder aufrichtete und zu orientieren begann. Zu seinem Erschrecken stellte er fest, dass die Etage zur Hälfte aufgerissen worden war, er nun direkten Blick hinauf auf die Turmspitze sowie die Glocke hatte.

„Drachen…ich habe zwei Drachen gesehen. Sie toben. Sie…wollen…“

Ja, mit den Drachen, die in gewisser Weise ihre nächsten Verwandten waren, verstanden sich die Drakonier nicht sonderlich gut. Man könnte auch sagen, dass die Drachen ihre rohen, wilden Vorfahren waren und ihre – für sie – verkommenen Nachfahren bei jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit mindestens verschmähen, bestenfalls sogar töten und damit von der Welt tilgen wollten. Normalerweise taten sie das aber nur, wenn man ihnen unmittelbar unter die Augen geriet. Doch keiner der Drakoniden hatte den Turm verlassen. Außerdem war die Region hier fernab von allen Territorien, auf die die Drachen Anspruch erhoben. Und dann noch das Feuer – es mussten rote Drachen sein, die sonst in den flammenden Gebirgen viel weiter südlich ihre Heimat hatten. Was sie gerade hierher trieb, konnte Kreklim sich nicht erklären. Doch bei näherer Überlegung war das auch egal.

„Geh herunter zu den anderen. Sag ihnen, sie sollen die wichtigsten Bücher nehmen und mit ihnen in den Keller gehen.“

„Und was ist mit euch?“ fragte der Statis, der nun seinerseits wieder auf den Beinen war und den Drakonier fragend ansah.

Kreklim nickte ihm nur zu. „Ich werde sehen, dass ich die beiden wegjage. Und jetzt beeil dich. Ich spüre schon, wie sie zum nächsten Angriff ansetzen.“

Der Statis gehorchte, rannte zur Treppe, die nun halb eingestürzt und von Schutt bedeckt war, sprang hinunter und brüllte bereits laut hörbar, während Kreklim sich seinerseits aufbäumte, die Arme ausbreitete und durch die nun weit offene Wand nach außen blickte. Deutlich sah er die dunkelroten Schwingen eines großen Rotdrachen, der sein Maul aufriss, um Kreklim in nur wenigen Augenblicken mit einem weiteren Strahl alles verzehrenden Feuers einzudecken. Doch der Drakonier hatte selbst ebenfalls etwas im Petto.

Die Entwicklung hatte den Drakoniern zwar keinen Atem als Waffe gegeben, so wie Drachen ihn besaßen und ihre Flügel waren nur noch verkümmert und winzig auf ihren Rücken, doch als Ausgleich dafür besaßen sie eine um viele Dimensionen größere und stärkere Magie als jeder Drache. Und genau damit gedachte Kreklim sich in diesem Moment zu verteidigen, seinem Cousin dort draußen einen Denkzettel zu verpassen.

„Mächte des Norden, Winde der Berge. Schenkt mir Kraft und Kälte. Folgt meinem Befehl und schneidet jene, die euch verspotten!“ brüllte Kreklim, die Arme weit ausgebreitet. Jedes Wort, das er aussprach, schien dabei lauter als das vorherige zu werden, ehe es zum Schluss klang, als würden mehrere Drakoniden gleichzeitig in Richtung des Drachen, der nun sein Maul weit aufgerissen und einen Flammenstrahl in Richtung des Turms gerichtet hatte, brüllen. Seine Augen begannen blau zu leuchten, Blitze zuckten zwischen seinen Fingern, wanderten zu seinen Handflächen, die er nun schnell nach vorn stieß und so einen breiten, soliden, blauen Strahl, um den Blitze und Wirbel herumkreisten, in Richtung des Drachen schleuderte. Nur Augenblicke später traf der Strahl das Feuer, umschlang es und ließ die Flammen mitten in der Luft gefrieren. Doch damit war noch nicht genug, denn der Strahl fraß sich weiter in Richtung des Drachen, der seinerseits die Augen weit aufriss und nicht zu begreifen schien, was da auf ihn zugeschossen kam, sein Maul traf, in sein Maul eindrang und ihn von innen zu vereisen schien. Sein Blick erlosch auch noch nicht, als sein Bauch und seine Brust bereits Raureif bildeten, sich langsam bläulich färbten und er schließlich, als hätte er die Fähigkeit zu fliegen verloren, wie ein Stein aus der Luft in die Tiefe stürzte.

Kreklim atmete schwer. Sein Zauber war zwar erfolgreich gewesen, hatte ihn aber viel Kraft gekostet. Er konnte nun nur hoffen, dass der Artgenosse von dem Drachen nicht ebenfalls…

Noch ehe er seinen Gedanken zu Ende denken konnte, brach die Wand hinter ihm zusammen, rammte eine Pranke hinein und nach ihm. Mit einem schnellen Sprung wich er zur Seite aus und ließ den Schlag der Drachenpranke damit ins Leere gehen. Der Biss allerdings traf ihn dann doch mitten in der Hüfte.

„Du hast meinen Gefährten getötet. Dafür stirbst du.“ drang das Zischen zwischen den Zähnen, die sich in seine Hüfte bohrten, durch den Raum. Ein heftiger Schmerz durchschnitt Kreklims Körper, hätte ihn sicherlich gelähmt, wäre er nicht der gewesen, der er wirklich war. So konzentrierte er sich mit aller Kraft, wischte Schock, Ohnmacht und Panik an die Seite und rammte seine Beine mit aller Kraft in den Boden.

Ihm war klar, dass er die Begegnung mit diesem Drachen nicht lebendig überstehen würde. Aber ihm war auch klar, dass die Raserei dieses Drachen nicht bei ihm enden würde. Ihm blieb also nur eine Möglichkeit – und genau die unternahm er gerade.

Der Drache schien zu spüren, dass sein Gegner etwas plante, öffnete sein Maul und ließ von ihm ab. Doch Kreklim hatte den Drachen mit einem Arm an einem seiner Hörner gepackt und zog mit all seiner verbleibenden Kraft gegen den Drachen an. Er war nur ein Drakonid, einem Drachen in Sachen Körperkraft weit unterlegen. Aber dieser Drache hatte sich bei seinem Angriff in eine äußerst dumme Position gebracht, fand mit seinen Krallen keinen hinreichend guten Halt in dem zu glatten, harten Felsen. Kreklim dagegen konnte sich gegen die Trümmer des Turms stemmen. Also tat der Drache das Selbe, drückte mit aller Kraft gegen die geborstenen Wände des Turms.

„Stirb endlich du Missgeburt!“ fauchte der Drache, wand den Kopf und biss Kreklim in die rechte Schulter, so fest wie er nur konnte, biß ihm dabei fast den Arm ab. Es krachte um die beiden herum. Und Kreklim, der nun doch fast vom Schmerz und vom Blutverlust übermannt wurde, sah noch nach oben, zur Turmspitze und der Glocke, die bedrohlich schwankte und sich schließlich, unter ohrenbetäubenden Krachen, aus ihrer Halterung löste.

Er lächelte, so gut es eben mit einem kaum zu Mimik fähigen, schuppigen Gesicht möglich war, mitten ins Gesicht des tobenden Drachen.

„Wir sterben zusammen, du Miststück.“

Der Drache verstand erst nicht, ließ ein Auge nach oben blicken, doch dann war es schon zu spät. Die Glocke schlug mit ihrem ganzen Gewicht und aller Härte auf, zerschmetterte den Schädel und das Genick des Drachen, der Körper erschlaffte und stürzte ungebremst an der Seite des Turms entlang nach unten, während Kreklim seinerseits zusammensackte, ehe er verschüttet wurde.

Dann kehrte Ruhe ein. Eine Ruhe, die erst zwei Stunden später von dem Statis und sieben anderen Drakoniern, die sich in die Zerstörung vorkämpften, unterbrochen wurde. Mit aller Kraft durchwühlten sie den Schutt, suchten sie nach Kreklim oder zumindest Überresten von ihm, doch sein Körper blieb verschwunden. Man glaubte, sein Körper wäre vielleicht ebenfalls außen am Turm hinabgestürzt. Der Statis vermutete gar, der zweite Drache hätte ihn verschlungen und wäre an seiner Beute erstickt.

Nur in einem waren sie sich einig: Kreklim Drako-Eid hatte sich für sie alle geopfert und es allein mit zwei Drachen aufgenommen. Nur dank ihm würde der Orden und sein Wissen weiterhin Bestand haben. So sollte er in die Geschichten des Ordens eingehen, auf dass auch die anderen Orden bei nächster Gelegenheit von seiner Heldentat erfahren würden.

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Erschaffung der Humanoiden

Es ist das Jahr 1996. Die Wissenschaft hat ihren bisher größten Durchbruch auf dem Feld der Genetik erreicht: Dolly, das erste Klonschaf, erblickt das Licht der Welt. Doch dieser Klon, die erste Kopie eines Lebewesens, sollte erst der Anfang bleiben.

Während die USA und viele europäischen Staaten über die Risiken und die ethischen Vorbehalte bezüglich des Klonens diskutieren, Gesetze entwerfen, die dieses streng reglementieren und in vielen Fällen sogar unmöglich machen könnten – immerhin maßt sich so der Mensch an, eine gottgleiche Macht in der Entscheidung über Leben und Tod zu treffen – sieht es in China, Indien, Chile, Australien und einigen anderen, kleineren Staaten ein wenig anders aus. Nur zu gern bieten die Staaten für emsige Wissenschaftler auf dem Feld der Genetik einen sicheren Hafen. Mehr noch: Förderfonds werden aufgelegt, Laboratorien zur Verfügung gestellt und Ziele für die Entwicklung definiert.

Diese Förderung blieb zwar inoffiziell und ein wohl gehütetes Geheimnis, doch in den folgenden beiden Jahren waren die Durchbrüche auf dem Feld der Genomsequenzierung überragend. Nicht nur war es den Wissenschaftlern gelungen, die Gensequenzen für einzelne Organe und Funktionen exakt zu bestimmen, die Genstrukturen der menschlichen DNS vollständig zu indexieren…man fand auch Wege, diese zu manipulieren, Codestränge mit anderen DNS-Sequenzen zu vermischen. Die Resultate waren beängstigend, gruselig, die Möglichkeiten erschienen nahezu grenzenlos.

Ende 1999 war es schließlich soweit und der erste Mensch-Tier-Hybrid erblickte das Licht der Welt. Seine Organstruktur und innerer Aufbau war zwar mit dem eines Menschen vergleichbar, doch äußerlich war das Wesen noch immer mehr Tier als Mensch. Das war ein Glücksfall, denn die Organe dieser Mensch-Tier-Hybride waren menschenkompatibel. Ein Ziel, das von der chinesischen Regierung ausgeschrieben worden war, hatte man erreicht: Die Züchtung von Trägern für Spenderorgane, die kranken Menschen transplantiert werden konnten. Erste Tests zeigten eine mehr als vielversprechende Kompatibilität mit äußerst geringen Abstoßungsreaktionen. Also begann man mit der Massenproduktion.

Hier hätte es enden können, doch die Begehrlichkeiten der Regierungen, immer neuer Auftraggeber und die Neugier der Forscher war geweckt. So entstanden neben einfachen Organspendekörpern auch Wesen – die man von diesem Tage an Humanoide, weil menschenähnliche Nicht-Menschen, nannte – auch spezialisierte Varianten, bei denen immer neue, immer andere Genstrukturen ausprobiert wurden. Soldaten, Spione, sklavenähnliche Hochleistungsarbeiter – die Liste der Möglichkeiten schien schier grenzenlos und nur eine Gensequenz in einer Petrischale entfernt.

2001 wurden schließlich globale Sanktionen gegen die Länder, die mit diesen Genexperimenten Gott spielten, von einer großen Mehrheit der Länder beschlossen. Binnen weniger Wochen fror der internationale Handel nahezu vollständig ein. Es war ein bezeichnender und sowohl bewundernswerter wie schockierender Schritt, dass sich fast alle Nationen darin einig waren, niemals Gott spielen zu dürfen.

Die Sanktionen blieben nur wenige Stunden, dann hatten sich China, Indien und Chile in multinationalen Abkommen darin geeinigt, die Laboratorien mit sofortiger Wirkung dicht zu machen, den Verkauf von Organen einzustellen und den Wesen, die bis zu diesem Zeitpunkt erschaffen worden waren, die nötige Behandlung zukommen zu lassen, die Lebewesen nach Auffassung der weltweiten Bevölkerung nun einmal zustand. Glücklicherweise war ihre Zahl zu diesem Zeitpunkt noch überschaubar – etliche hundert in Chile, einige tausend bis zehntausend in Indien und China. Man versprach, sich nach „üblichen Vorgehensweisen“ um sie zu kümmern. Was dies beinhaltete, wurde jedoch nicht verraten. Und zur Schande der Staatengemeinschaft wagte auch niemand, hier genauer nachzuhaken.

Australien weigerte sich, seine Laboratorien zu schließen und die Programme gänzlich zu beenden. Nach ihrer Auffassung hatten die Wesen nach ihrer Erschaffung ein Anrecht auf Basis-Bürgerrechte, liefe die Erschaffung neuer Wesen nur auf niedriger Stufe weiter, damit das neue „Volk“ eine ausreichende Zahl erreichen könne, um im nahezu unbesiedelten Kernland eine eigene Kolonie gründen zu können – fernab von menschlichen Einflüssen. Die USA und Großbritannien stimmten dieser Maßnahme unter der Bedingung zu, dass alle Humanoiden genau registriert, diese Region im Herzen Australiens genau überwacht und der Bestand beobachtet werden sollte. Der Rest der EU und Russland dagegen hatten herbe Zweifel, entsandten jedoch ihrerseits neutrale Beobachter, die die Vorgänge in Australien im Auge behalten sollten.

Dann wurde es für einige Zeit still um die Humanoiden. Hier und da erschienen zwar Nachrichtenartikel und hin und wieder hörte und sah man Bilder von einzelnen, die in der einen oder anderen größeren Stadt auftauchten und dort wie Exoten, die eine ansteckende Krankheit in sich trugen, von den Menschen strikt isoliert behandelt wurden. Für die meisten Menschen waren sie noch immer hauptsächlich Tiere, die zwar auf zwei Beinen liefen und angefangen hatten, ebenfalls Kleidung zu tragen, aber das kannte man ja schon von schrulligen Tierhaltern mit ihren Hunden oder Katzen. Das alles änderte sich erst schlagartig, als im Jahre 2005 ein Video auf der noch recht jungen Videoplattform YouTube auftauchte, in dem man einen dieser Humanoiden auf der Straße knien sah. Deutlich sah man, wie er schwer verletzt auf dem Boden hockte, den Kopf in Richtung zweier Menschen reckte, hörte ihn in akzentfreien Mandarin sprechen, bettelnd, man möge ihn doch in Ruhe lassen. Zwei Menschen kamen ins Bild, begannen auf ihn einzuschlagen und einzutreten. Blut spritzte und das Wimmern endete erst, als der Körper unter den gnadenlosen Schlägen leblos zusammensackte, die Männer etwas von „Scheißtier“ brüllten und sich für den Sieg über dieses Vieh feierten.

Binnen weniger Stunden hatte das Video Millionen von Ansichten. Die Wirkung indes war weltweites Entsetzen. Dieses Wesen hatte so menschlich gewirkt, so hilflos, die Menschen dagegen so bestialisch und böse. Protestbewegungen schossen weltweit aus dem Boden, verlangten nach Gerechtigkeit für die Humanoiden, deren Zahl bis zu diesem Tag öffentlich gar nicht bekannt geworden war. In den Wochen nach dem Erscheinen des Videos explodierte das Internet geradezu vor Vorwürfen, Emotionen, Diskussionen und Vorschlägen. Die einen betrachteten Humanoide immer noch bestenfalls als Zuchttiere, bessere Haustiere, andere dagegen wollten ihnen die gleichen Rechte zugestehen, wie sie auch Menschen zustanden. Am Ende und nach endlosen internationalen Diskussionen wurde im Rahmen eines Kongresses der Vereinten Nationen beschlossen, im Rahmen einer Konvention den Humanoiden eine Reihe von Basis-Rechten zuzugestehen. Kritiker bezeichneten diese Bezeichnung und Auflistung der Basis-Rechte als einen mittleren Skandal, denn diese Konvention erklärte sie zu nicht weniger als Bürgern zweiter Klasse. Zwar waren ihre Leben und ihre Gesundheit nun im besonderen Maße geschützt, doch viel konkreter wurde man nicht. Weder wurden freie Entfaltung, freie Meinung oder derlei zugestanden, noch Dinge wie Sklaverei, Eigentum oder ähnliches explizit ausgeschlossen. Realistisch betrachtet musste man sich aber eingestehen, dass es der Maximal-Kompromiss war, über dessen Grenzen man international nicht zu kommen in der Lage war. Vieles blieb weiterhin Auslegungssache für die unterschiedlichen Nationen auf der Welt.

Mittlerweile haben viele Regeln in nationale und regionale Gesetze Einzug gehalten. Humanoide sind zwar noch immer eine relative Seltenheit – ihre Zahl weltweit ist im mittleren, fünfstelligen Bereich, von denen nur einige Dutzend Kinder oder Kleinkinder aus mehr oder minder glücklichen Partnerschaften hervorgegangen sind (Hochzeiten oder ähnliche Lebenspartnerschaften unter Humanoiden sind offiziell noch immer nicht erlaubt. Beziehungen zwischen Menschen und Humanoiden sogar explizit verboten und unter Strafe gestellt) – aber in Ballungsgebieten oder einigen wenigen Safe-Harbours sieht man hin und wieder einige. Einem ausgewählten Teil von ihnen ist es sogar erlaubt, Arbeit aufzunehmen. Hier regelt jedoch das Gesetz, dass ein Arbeitgeber einem Humanoiden keinesfalls den selben Lohn zahlen darf, den andernfalls ein Mensch bekommen hätte – und das er nur eine gewisse Höchstquote an Humanoiden beschäftigen darf. Umgekehrt gibt es Sozialisierungsprogramme, mit denen in einigen Ländern Humanoide in die Gesellschaft integriert werden sollen. Der Erfolg eben jener Programme ist jedoch begrenzt – selbst fast zwei Jahrzehnte nach ihrem ersten Erscheinen auf der Erdoberfläche gibt es in den Köpfen der Menschen noch viele Vorbehalte.

Viele dieser Vorbehalte sollen durch Gesetze in den Griff gebracht werden. So ist es Humanoiden beispielsweise untersagt, sich unbekleidet zu zeigen (und ja, das schließt auch Schwimmbäder mit ein, so man eines findet, in dem einem Humanoiden der Zutritt gewährt wird – was eher die Seltenheit ist), was Gerüchten zufolge auf die Lobbyarbeit einiger Bekleidungshersteller zurückgeht, die nun neben ihrem normalen Kleidungsprogramm auch angepasste Kleidung für Humanoide und deren leicht andere Physiologie anbietet – zu einem nicht gerade unbeträchtlichen, geldlichen Aufschlag, versteht sich. Je nach Region gibt es noch weitere Sondergesetze, die es etwa Humanoiden untersagt, Kraftfahrzeuge zu benutzen (weder als Fahrer, noch als Mitfahrer), eine Registrierungspflicht erzwingt und gerade in Ballungsgebieten vorschreibt, dass jene Registrierung offen und für jeden sichtbar getragen werden muss.

Man sieht: Zwanzig Jahre sind vergangen, doch ihr Schicksal haben die wenigsten Humanoiden in eigenen Händen. In den Augen eines unabhängigen Betrachters sind sie so nicht viel anderes als moderne Sklaven für die Menschheit. Einziger Unterschied: Diese Sklaven tragen keine Ketten. Zumindest keine, die man auf den ersten Blick als solche erkennen könnte.

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Die Geschichte eines Tischlers

Vor gut einundzwanzig Jahren – es war an einem kalten Dezemberabend, erblickte ein Junge das Licht der Welt. Sein Vater, der ehrenwerte Sir Sigmund von Kelros sowie seine Frau Christina, waren stolz ob ihres neu geborenen Sohnes. Trantos wollten sie ihn nennen – und wäre es nach dem Traume seines Vaters gegangen, wäre aus jenem Jungen baldigst ein tapferer Krieger geworden, der es gar alleine mit den roten Drachen aufnahm – eben ganz wie sein Vater.

Doch schon bald zeigte sich, dass Trantos an den Waffen keinerlei Interesse hegte. Sicher – er spielte wie alle anderen Kinder gerne mit den kleineren Waffen. Doch statt wie alle anderen einen Dolch in schwertähnlicher Geste zu halten und sich einen Teller als Schild vor die jugendliche Brust zu klemmen, packte er lieber das kleine Beil, dass neben dem Kamin hing und mit dem sein Vater das Holz klein schlug.

„Es ist nun einmal so, dass nach einer Generation des Todes und der Zerstörung, die ein Krieger – sei er auch noch so edel und von den besten Träumen und Gedanken gelenkt – eine Generation des Aufbaus und der Kreativität steht. Dein Sohn, mein Schwager, ist das Beispiel hierfür.“ Erklärte eines Abends Morestius, der Weise, dem Vater von Trantos. Er selbst war einer der höchsten und geachtetsten Magier des Landes – vom Fürsten dieses Königreiches selbst zum höchsten Berater ernannt worden. Es hielt sich gar das Gerücht, dass selbst die Königin bei schweren Entschlüssen, die die Welt der Menschen sowie ganz Astaroth betrafen, seinen Rat konsultierte. Aber das war nur ein Gerücht denn niemand hatte ihn je in Richtung der Hauptstadt reiten sehen. Über seinen Panther indes, der stets an seiner Seite war, rangen sich ebenso die Gerüchte. Es hieß, dass hinter den kristallblauen Augen der pechschwarzen Katze entweder ein Engel oder ein Teufel steckte. Wann auch immer Morestius seinen Turm verließ – der Panther folgte ihm stets mit einem Schritt Abstand hinterher. Und wehe ein Taschendieb machte auch nur den Ansatz, Morestius beklauen zu wollen. Zwar knurrte der Panther nicht, doch sein Blick war derart eiskalt und furchterregend, dass dem Dieb das Blut im Leib zu gefrieren begann und er sich nicht mehr zu bewegen wusste.

Die Tatsache, dass sein Sohn ein „nichtsnutziger“ Handwerker würde, der „sein Leben mit Basteleien verschwendet“ oder gar ein „Halsabschneider“ würde, machte Sigmund rasend vor Wut. Er war fest entschlossen, aus seinem Sohn einen Krieger zu machen, der einst – ebenso wie er selbst, zum Ritter geschlagen würde. Deshalb nahm er den Jungen wann immer er konnte mit zu großen Ritterspielen, zeigte ihm die Freuden einer Jagd und ließ ihn sogar einmal den Bogen halten.

Doch anstatt mit diesem Bogen aus feinstem Buchenholz auf das Reh zu zielen, dass ihm sein Vater zeigte, fuhr er über die feinen Gravuren, die der Bogen von geübten Zimmerleuten erhalten hatte. Doch schienen ihm einige dieser Muster unregelmäßig.

Er legte den Bogen daher auf den Boden, holte sein kleines Messer heraus und begann unter den schockierten Augen seines Vaters damit, die Verzierungen des Bogens nachzubearbeiten.

Trantos hatte seine Arbeit gerade vollendet als sein Vater ihm den Bogen aus der Hand riss.

„Was bildest du dir ein, dass du dort machst?!“ schrie er den kleinen, gerade mal fünf Jahre alten Jungen, an. „Hatte ich dir nicht gesagt, dass derartige Arbeiten etwas für Diener sind? Für Halsabschneider und Leute, die ihre Ehre nur anhand des Goldes, dass sie unter ihrem Kissen haben, messen können?“ brüllte er wutentbrannt und vertrieb so auch noch das letzte Reh aus der Gegend.

„Aber Vati, es macht halt immer solchen Spaß, mit dem Messer die Muster in das Holz…“ begann der Kleine eingeschüchtert. Doch die schallende Bassstimme seines Vaters unterbrach ihn mitten im Satz.

„Du weißt gar nichts! Ehrlose Arbeit ist das, was du dort tust! Glaubst du im Ernst, dass es einen Balron oder einen Drachen interessiert, wie schön und fein der Bogen des Rangers gefertigt ist? Meinst du es interessiert irgendjemanden? Meinst du?!“ fauchte er.

Trantos blickte traurig zu Boden. „Mich…mich interessiert es.“ Murmelte er leise vor sich hin. Die Antwort seines Vaters kam prompt – in Form einer Ohrfeige, die den Jungen einige Meter zur Seite schleuderte.

„Und jetzt wage es nicht auch noch zu weinen. Sonst lasse ich dich hier im Wald zurück – sollen doch deine Schnitzereien deinen Hals retten wenn du einem Schwert nicht vertraust.“ Schimpfte der Vater weiter als Trantos zu weinen begann.

Dann ging er – ohne auf den Jungen zu warten oder ihm gar zu helfen. Nur ein Kurzschwert ließ er im Boden in der Nähe stecken – vielleicht würde Trantos ja so zur Besinnung kommen.

Doch weit gefehlt. Trantos sah regungslos an Ort und Stelle – verängstigt von den harten und gemeinen Worten seines Vaters. Er hatte Angst, er hatte Hunger und er war allein. Oder doch nicht?

In einer Entfernung hörte der Kleine ein schlagendes und sägendes Geräusch. Dem folgte bald darauf ein lauter Schrei „Aaaaaaaachtuuuung!“, dem ein lautes Knacken im Gehölz folgte.

Ein Holzfäller! Ja, das musste wohl einer sein. Schnell eilte der Kleine zu dem Holzfäller hin und sah ihm bei seiner Arbeit zu – wie dieser die Äste von einem Stamm abschlug und dann den Stamm selbst von der Rinde befreite.

Der Holzfäller merkte erst nach gut einer halben Stunde, dass er beobachtet wurde. Doch dann erstaunte ihn umso mehr, dass ein kleiner Junge wie Trantos gänzlich allein im Wald herum lief.

„Aye, was machst du denn hier du kleines Würmchen?“ fragte der Holzfäller mit zwar rauer, aber dennoch recht warmer Stimme. Erst jetzt, da er sich zu Trantos umgedreht hatte, sah dieser dass die Haarpracht des Holzfällers ergraut war und er einen langen, ebenfalls grauen Bart trug.

Trantos zitterte und war stumm vor Angst und Respekt als der Holzfäller seine Axt derart hart in den Baumstamm rammte, dass diese im Holz stecken blieb und ohne weiteres Zutun aufrecht im Holz stand.

„Hast dich sicher verlaufen, wa? Oder hat ma wieder einer dieser nixnutzigen Krieger gemeint, seinen Jungen so zur Selbständigkeit erziehe zu wolle?“

Beim letzten Satz horchte Trantos leicht auf.

„Ach, et is doch immer wiedda das Selbe mit diesen Kriegern.“ Sprach er langsam und setzte sich auf den Baumstamm. Dann holte er aus der Tasche, die an einem der Äste eines anderen Baumes hing, einige Laibe Brot.

„Bissu hungrig?“ fragte der alte Holzfäller und warf im selben Moment Trantos ein Stück Brot zu.

Trantos blickte etwas verklärt auf das sehr dunkle, trockene Brot. So etwas kannte er gar nicht – etwas derart Simples. Aber er probierte es nach einigem Zögern.

Nach gut einer Stunde hatte der kleine Junge seine Angst etwas überwunden und unterhielt sich mit dem Holzfäller. Der wollte von ihm nur als „Der alte Nick“ genannt werden und hackte bald darauf wieder auf den Baum ein.

Trantos indes saß auf dem Stumpf des gerade frisch gefällten Baumes und hielt einen der Äste in der einen, sein Messer in der anderen Hand.

Es dauerte nur einige wenige Minuten bis man klar die Form eines Bogen erkannte. Sicher – der Bogen war lang nicht so perfekt wie der, den er von seinem Vater gezeigt bekommen hatte. Aber für seinen ersten.

Der alte Nick blickte das Werk von Trantos überrascht an.

„Sag mal mein kleiner Freund – hast du das gerade geschnitzt?“

„Ja, aber er ist nicht sonderlich gut geworden glaube ich.“ Murmelte der Kleine.

„Zeig einmal her.“

Vorsichtig fuhr der alte Nick über den Bogen. Er war noch etwas eckig, aber es war ein Bogen. Ein robuster und auf seine Art ein wirklich schönes Werk.

„Mein Junge, an sich ist wohl ein Schreiner verloren gegangen.“ Schmunzelte der alte Nick und drückte Trantos sein Ersatzbeil in die Hand.

„Versuch mal einen der Äste loszuschlagen.“

Trantos gab sich alle Mühe – aber das Beil war für seine dünnen Arme einfach zu schwer.

„Nicht tragen sollst du das Ding. Schwing es. Versuch das Gewicht auf das Holz fallen zu lassen.“ Riet ihm Nick. Und dann endlich schaffte er es. Nach einigen recht unbeholfenen Schlägen knackte der Ast und brach schließlich ab. Trantos freute sich ob dieses Erfolges – auch wenn er wusste, dass sein Vater darüber nur noch mehr toben würde.

„So mein Kleina…“ begann der alte Nick, als er am Himmel die Sonne sich senken sah „jetzt wird’s Zeit für dich nach Haus zu gehen.“

Trantos nickte und blickte gleichzeitig gen Boden. Er wusste doch den Weg nach Hause nicht. Aber der alte Nick schien auch hier Rat zu wissen.

„Wenn du de Sohn vom Ritter Kelros bis – dann bring ich dich nach Haus. Komm Kleina.“

Und was der alte Mann versprach, dass hielt er auch.

Endlich zu Hause angekommen fiel Trantos’ Mutter um den Hals ihres Sohnes. Anders als der Vater hatte sie ihn wohl sehr vermisst. Sigmund war daheim nämlich nirgends aufzufinden.

Es vergingen die Jahre – Trantos Vater hatte die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, aus seinem Sohn einen waschechten Krieger zu machen und hatte ihn in eine Kriegerakademie geschickt. Doch dort trug Trantos lediglich den Beinamen „Holzbein“ und wurde von den Kriegerkindern verspottet. Doch so sehr er diese Kriegerausbildung hasste – das am meisten gehasste Unterrichtsthema aller anderen nahm er mit Begeisterung auf: Training zum Muskelaufbau.

Während die anderen mit ihren Holzschwertern ihr Geschick und ihre Geschwindigkeit aufbesserten wurde Trantos langsam aber ehrlich stärker. Und mit der Kraft kam auch langsam etwas Selbstvertrauen. Etwa so viel, dass er sich mit seinen nun stolzen neun Jahren mitten in der Nacht aus der Akademie schlich, sich aus der Waffenkammer eine kleine Trainingsaxt holte, dann zur Hausmeisterstube und sich dort einen Hammer, eine kleine Säge sowie einige Nägel auszuleihen und entschwand damit in den nächstbesten Wald. So ging das einige Wochen und Monate gut und seine Werke wurden immer und immer besser. Doch als er nach drei Jahren des Akademiestudiums nicht einmal einen Ansatz von Kämpfermentalität zeigte, wurde Trantos der Akademie verwiesen.

Wieder war sein Vater sehr ungehalten über diesen Entschluss – seine Mutter indes freute sich darüber insgeheim doch etwas. Schließlich hing sie sehr an ihrem Sohn und wollte ihn nicht durch irgendeine männliche Spinnerei verlieren müssen. Ein heftiger Streit zwischen den beiden brach los, bei dem die Mutter nach einem langen Wortgefecht mitten im Satz einfach zusammenbrach.

Es wurde nach einem Arzt geschickt und festgestellt, dass Trantos Mutter einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Sicher, sie würde wieder gesund werden – aber der Streit selbst würde sicher nicht vergehen.

Trantos wusste nicht, was er tun sollte. Die Fähigkeiten, die ein Krieger benötigte, lagen ihm nicht und er wollte unter keinen Umständen sein geliebtes Hobby, das er nur zu gerne zu seinem Beruf gemacht hätte, aufgeben. Es blieb also nur ein Ausweg.

Im Schatten einer Sommernacht packte er einige Kleider, ein Beil, etwas Proviant sowie einige Goldstücke, die er sich zusammen gespart hatte, zusammen und schlich sich leise weg.

Mit seinen jugendlichen 12 Jahren ging er beim alten Nick in eine Art Lehre – und begann eine vierjährige Ausbildung zum Holzfäller und –Verarbeiter aller Art. Es war eine harte Aufgabe, doch sie bereitete ihm Freude. Wenngleich er ab und an von Heimweh geplagt wurde – er wollte nicht wieder nach Hause gehen. Doch er musste.

Mit 16 Jahren, einer erfolgreichen Ausbildung und sehr viel neuem Mute beschloss er schließlich, sein Elternhaus wieder aufzusuchen.

Sein Vater sah, was aus seinem Sohn geworden war. Die guten Kleider, die er bisher immer bekommen hatte, waren einfachen Fetzen Stoff und Leder gewichen. Ein altes Beil baumelte am Gürtel und die Haare von Trantos waren lang gewachsen.

Der alte Streit flammte erneut auf – heißer als jemals zuvor.

„Du verdammter Ignorant! Ich habe dir alle Tore geöffnet, eine glorreiche Zukunft zu beschreiten! Und du vergeudest dein Leben mit dem Handwerk!“ schrie der Vater auf den Sohn ein. Doch dieser ließ sich nun nicht länger einschüchtern. Entschlossen stellte er sich seinem Vater entgegen.

„Ich bin das, was ich bin, Vater. Ein Schwert zu führen – das kann ich nicht und ich werde es auch sicher niemals können. Ich will Dinge erschaffen, nicht sie zerstören.“ Fluchte er.

„Was ist mit deinem Titel? Unsere ganze Familie bestand aus Kriegern, Weisen, Gelehrten. Du kannst dich dem nicht abwenden! Tu etwas, auf dass die Familie stolz sein kann!“

Trantos atmete tief durch. „Wenn diese Familie und ihr Titel bedeutet, dass ich mein Leben nicht so leben kann, wie ich es für richtig halte, dann….“ begann er und stockte kurz darauf, um einmal tief Luft zu holen.

„…dann werde ich diesen Titel nicht annehmen! Das hier ist mein Leben, und ich werde mir nicht irgendein anderes aufzwingen lassen!“ sagte er langsam und bestimmt.

Sein Vater sah ihn schockiert an. Er konnte einfach nicht glauben, dass sein Sohn für etwas Derartiges eine solche Entschlossenheit zeigte. „Bist…bist du denn völlig des Wahnsinns? Du hast doch vollends den Verstand verloren!“ sagte er langsam.

„Nein, ich sehe endlich, nach all diesen Jahren, klar! Du hast mich nie als das akzeptiert was ich war. Ich war und bin dir noch heute ein Dorn im Auge. Aber das wird nicht mehr lange so sein.“ Begann Trantos und ging auf seine Mutter zu. Die weinte schon wieder und sah ihn mit tief verquollenen Augen an.

„Bitte verzeih Mutter, aber ich muss meinen eigenen Weg gehen.“ Sagte er mit sanfter Stimme und nahm sie fest in den Arm. Dann ging er zur Tür.

„Leb wohl Vater. Ich werde dir nie wieder ein Dorn im Auge sein.“ Sagte er leise und ging dann zur Tür hinaus.

Noch am selben Abend ging Sigmund zu seinem Schwager Morestius und erzählte diesem von seinem Sohn und was geschehen war. Denn obwohl er Ritter des Fürsten und nun sogar zum Freiherren geschlagen wurde – er war durch die Worte seines Sohnes am Boden zerstört.

„Was verlangst du, dass ich tun soll, mein Schwager? Sicher, mit der Kraft der Magie könnte man ihn wieder zurück bringen. Doch auch das wäre nur eine erneute Anwendung von Gewalt. Bedenke das.“ Sprach der alte Mann gemächlich zu Sigmund.

„Das weiß ich doch Morestius. Ich…“ begann er und hielt eine Minute inne.

„…ich will nur nicht, dass ihm irgendetwas geschieht. Ich würde mir niemals verzeihen, wenn er jetzt, da wir im Streit auseinander gegangen sind, ums Leben käme.“

Morestius nickte. „Schutz wünschst du dir für deinen Sohn. Jemanden, der über ihn wacht.“

Sigmund stimmte dem leise zu.

„Nun, so sei es.“

Als Sigmund gegangen war ging Morestius in ein Nebenzimmer seines Turmes. Sein Panther sowie seine Gefährtin lagen dort in einer Ecke. „Mein treuer Freund, ich habe eine Bitte…“ begann der Magier mit sanfter Stimme zu sprechen.

Nur eine halbe Stunde später öffnete sich das Fenster des Turmes, das dem nahen Wald zugewandt lag. Ein kleiner Schatten huschte hinaus und entschwand in der Dunkelheit des Geästs.

„Lauf mein Junge.“ Murmelte Morestius leise vor sich her. „Mach deinem Vater und auch mir keine Schande. Finde den jungen Trantos – und bewahre ihn vor allen Gefahren, die sich ihm in den Weg stellen mögen. Setze sein Leben über dein Eigenes.“

Viele Wochen vergingen bevor Trantos endlich an einem Hafen ankam. Die wenigen hundert Goldstücke, die er in seinem Beutel hatte, würden sicher kaum für eine angenehme Überfahrt reichen. Doch er wollte weg von hier. So weit weg, wie er nur denken konnte. Er wollte alles hinter sich lassen – seine Familie, seinen Titel, seinen Namen – alles.

Endlich fand er einen Kutter, auf dem ihm für wenig Geld und die Aufgabe, sich als Schiffsschreiner zu bewähren, die Überfahrt erlaubt wurde. Das Schiff hatte gerade abgelegt als wieder ein Schatten die schon einige Meter breite Schlucht zwischen Pier und Schiff, mit einem Sprung überwand und dann fast geräuschlos in einer der hinteren Kammern verschwand.

Als Trantos endlich nach einer langen und erschöpfenden Überfahrt, bei der er feststellen musste, dass zwar seine Schreinerarbeiten jedoch nicht sein Magen meerfest waren, endlich auf der anderen Seite es Ozeans ankam, setzte er bald darauf den ersten Fuß in eine Stadt, den die Menschen hier Delucia nannten.

Es war sicherlich nicht eine besondere Stadt, doch er wusste: Hier will ich mich niederlassen – fernab von allem, was drüben an Erinnerungen lag. Wie er es seinen Eltern gesagt hatte verwendete er nie wieder den Namen Kelros. Von diesem Tage an sollten ihn alle als Trantos Kelriam kennen, einen einfachen Tischler aus einfachen Verhältnissen. Vergessen war der Titel, der ihn nur dazu gebracht hatte, sein Elternhaus zu verlassen. Und ebenso vergessen waren die Erinnerungen an die Kriegerakademie. Nur wenige Menschen behielt Trantos in seinem Herzen:

Morestius, seinen Onkel, der ihn die Schrift gelehrt hatte und von dem er vieles an Wissen und Weisheit über diese Welt erlernte.

Seine Mutter, die trotz seines scheinbar unehrenhaften Berufswunsches nie aufgehört hat, ihren Sohn zu lieben.

Und schließlich noch den alten Nick, der ihm in so vielen dunklen Nächten als treuer, alter Freund beigestanden und immer eine heiße Milch bereitstehen hatte.

Doch noch etwas würde Trantos niemals vergessen: Das Gefühl, beobachtet zu werden. Wann immer er hinaus in die Wälder ging um Holz zu hacken, durch die Länder reiste oder einfach nur des Nachts durch die Stadt schritt – immer hatte er das Gefühl, von schimmernd blauen Augen beobachtet zu werden. Doch das waren sicher nur die Schatten.

Schatten mit Augen.

In dieser Stadt fand Trantos schnell Freunde: Der Schneider Coras, ein Krieger namens Vorax sowie ein Magier, der sich der Garde angeschlossen hatte gehörten hierzu. Auch fand Trantos nach einigen Monaten der harten Arbeit eine Frau, die sich selbst zwar auch den Kampf als Lebensaufgabe gemacht hatte, und verlobte sich nach einigen Wochen mit ihr. Auf der Hochzeit zweier Adliger gar gestanden sie sich offen die Liebe und tauschten ihre Ringe aus. Alles schien perfekt. Doch dem war nicht so.

Die Elemente schienen sich sowohl gegen die Menschen als auch gegen alle anderen Rassen aufzulehnen. Eines dieser Elementare gar verschlang vor den Augen von Trantos seine Verlobte und raubte sie ihm. Dann verschwand plötzlich auch Coras, der ihn in dieser schweren Stunde so oft getröstet und mit den feinsten Kleidern versorgt hatte.

Langsam fühlte Trantos, wie allein er in dieser Welt doch war. Aber wieder nach Hause reisen?

Nein! Dafür war Trantos zu stolz. Aber in dieser Stadt bleiben? Wo auch immer er hinblickte – er sah nur Erinnerungen an das, was vergangen war.

Dann fasste Trantos einen Entschluss: „Ich werde diese Stadt verlassen. Sei es, um meine Künste der Tischlerei zu üben und auch das zu vergessen, was hier geschehen ist. Aber ich kann und will nicht länger hier bleiben müssen.“

Mit diesen Worten nahm Trantos ein Pergament zur Hand und schrieb darauf, was mit seinem hab und Gut zu tun sei. Dann griff er sein Beil sowie einige einfache Kleider und machte sich auf die Suche nach einem der wenigen Menschen, denen er noch vertrauen konnte: Den Gardisten Techtrasan.

Dieser war gerade, gemeinsam mit einem anderen Gardisten, dabei, sich eines Elementares zu erwehren, das die Stadt bedrohte. In einem ruhigen Moment steckte Trantos ihm das Pergament zu und lief dann langsam in Richtung Stadttor.

Er warf der Stadt noch einen letzten Blick zu bevor er durch das Tor schritt und dann in den Wäldern verschwand.

Es schien als wäre Trantos ganze zwei Tage durch gelaufen, doch irgendwann kam er an einen Ort, der von Trollen, Baldren und anderen Monstern bewohnt wurde. Auf eine Konfrontation mit diesen Bestien nicht vorbereitet versteckte Trantos sich in einem Erdloch.

So überlebte Trantos die ersten paar Wochen, doch als er nach zwei Monden mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wurde, dachte er sein Leben wäre vorbei. Eine Gruppe Trolle hatte ihn in seinem Versteck aufgespürt und fiel nun über ihn her. Panisch versuchte Trantos sich mit seiner Axt der Trolle zu erwehren. Aber ein kurzer Schlag auf seinen Kopf beendete seine Versuche, sich dieser Bestien zu erwehren.

Die Trolle grinsten und zogen ihre Messer heraus um Trantos am ohnmächtigen aber dennoch lebendigen Leibe auseinander zu schneiden.

Doch in eben diesem Moment hörte die Gruppe Trolle ein dumpfes Grollen. Gerade wollten sie sich umsehen als schon eine pechschwarze Gestalt den ersten angesprungen und zu Boden gerissen hatte. Lange, kreidebleiche Zähne bohrten sich in den Hals des einen Trolls, bevor die Gestalt wieder zur Seite sprang.

„Einöä Päöntöa!“ schrien die Monster und begannen nach der Gestalt zu schlagen. Doch mit pfeilschneller Gewandtheit wich diese den trägen und tölpelhaft anmutenden Versuchen der Trolle aus.

Nach einigen Minuten des Kampfes lagen drei der fünf Trolle blutend am Boden. Die anderen beiden indes taten ihr Bestes, den scharfen Krallen der schwarzen Gestalt mit tief dunkelblauen Augen auszuweichen. Doch als eine weitere Gruppe Trolle das Tier einkreiste war auch für diesen Verteidiger des jungen Trantos das Ende aller Versuche erreicht. Gemeinsam schlugen sie erst auf den schwarzen Panther, dann auf Trantos ein um sicherzustellen, dass keiner von beiden ihnen weiter Widerstand leisten sollte.

Abermals zogen sie ihre Messer heraus, um jetzt beide zu zerschneiden.

Und abermals wurde ihr Versuch vereitelt. Drei Pfeile pfiffen durch die Luft und spießten drei der Trolle auf. Weitere Pfeile folgten und verwundeten die anderen Trolle schwer. Dadurch deutlich eingeschüchtert ergriffen sie endlich die Flucht.

Eine Gruppe Hochelfenschützen, die gerade durch den Wald reisten, senkte ihre Bögen und liefen auf Trantos und den Panther, der neben ihm lag, zu. Entschlossen nahmen sie die beiden verwundeten Körper auf und brachten sie, so schnell sie konnten, zurück in ihrem Lager.

Es müssen viele Monde vergangen sein bevor Trantos wieder zu Bewusstsein kam. Denn als er wieder zu sich kam, spürte er, dass er schwach geworden war. Sein Bart und sein Haar waren lang gewachsen und sein gesamter Körper war dick bandagiert.

„Mae gowannen Edain.“ begann einer der Elfen, der bei Trantos stand. Der blickte den Elf etwas verklärt an und nickte nur etwas schwach.

„Du hast lange geschlafen mein Freund.“ sprach er. „ich hoffe deine Wunden schmerzen nicht mehr allzu stark.“

„Nein…es geht schon.“ antwortete Trantos etwas träge. Dann fiel sein Blick auf den, ebenfalls dick bandagierten, Panther, der dicht neben ihm lag.

„Sag, was hat es mit diesem Tier auf sich, das dort neben mir liegt?“

Der Elf schmunzelte bei dieser Frage. „Dieses edle Wesen ist der einzige Grund, weshalb du noch unter uns weilst. Er hat sich wie ein Held zwischen dich und eine Gruppe Trolle gestürzt und viele davon erlegt. Eigentlich dachte ich, es wäre dein Haustier.“

„Mein…“ stammelte Trantos.

Die Wochen vergingen und Trantos wurde langsam merklich stärker und konnte sogar wieder alleine aufstehen. Doch der Panther, der neben ihm lag, schien nicht ganz so schnell zu gesunden.

Eines Nachts im Herbst jedoch wurde die Ruhe, die Trantos uns sein Gefährte zur Erholung deutlich brauchten, jäh unterbrochen: Eine der Hütten des Camps, dass nur aus Holz und Stroh bestand, hatte mitten in der Nacht Feuer gefangen. Innerhalb weniger Momente brannte das gesamte Camp lichterloh. Wieder eilte ein Elf in das Zimmer von Trantos und diesem Panther, der neben ihm lag.

„Edain! Schnell, komm mit!“ schrie der Elf laut und wollte nach Trantos greifen. Der kam zwar bis zur Tür mit, blieb dann allerdings stehen.

„Warte, was ist mit dem Panther?“
„Später! Jetzt rette du dich erstmal.“ warf der Elf ihm entgegen.

„Nein, der Panther muss mit!“ rief Trantos und riss sich vom Elfen los. Dann griff er den Panther und legte ihn über die Schulter. Er stöhnte laut ob des ordentlichen Gewichtes des Tieres, ging aber dennoch mit Hilfe des Elfen aus dem brennenden Haus heraus.

Draußen angekommen sah er die versammelten Elfen stehen. Diese sahen, wie Trantos den Panther schleppte und erkannten, dass dieser nun wieder auf sich selbst aufpassen konnte.

Sie gaben ihm einige Kleider, etwas „Klimpergold“, ein Messer sowie ein kleines Beil und meinten, er solle ab jetzt besser auf sich aufpassen. Dann verlies Trantos die Obhut die Elfen. Nur…wo sollte er nun hingehen?

Delucia war die einzige Menschenstadt, die Trantos kannte. Aber die Erinnerungen an früher? Ob Trantos diese jemals vergessen konnte?

Er musste es nun einmal versuchen. Den davor fortlaufen wollte er nicht länger. Er nahm also seinen ganzen Mut zusammen und ging entschlossen auf der Straße in Richtung Delucia.

Als Trantos dann nur noch wenige hundert Schritte von den Stadttoren Delucias entfernt stand merkte er, dass ihm jemand folgte. Vorsichtig zog er sein Messer aus seinem Stiefel und drehte sich zu der Gestalt.

Der Panther, der neben ihm gelegen hatte, starrte ihn mit seinen tief blauen Augen an. Er humpelte noch deutlich und schien etwas schwach, aber sein Blick war entschlossen und warm.

„Du bist mir bis hierher gefolgt? Dann scheinst du mich als Freund haben zu wollen.“

Der Panther brummte Trantos kurz an und kam dann langsam näher.

Trantos strich durch das rabenschwarze Fell des Panthers und blickte ihm tief in die blauen Augen, die leicht zu funkeln schienen.

Trantos überlegte. „Artemis, ja. So werde ich dich nennen.“ brachte er nach ein paar Minuten des Zögerns heraus. Dann gingen die beiden gemeinsam durch das Stadttor.

Wer weiß, was die beiden gemeinsam noch erleben würden.

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Akatiri – Blaue Drachendame der Magie

Wenn man die noch immer relativ junge – nämlich lediglich zarte 147 Jahre alte – Drachin fragt, wie sie sich selbst sieht, dann erhält man meist nur eine Antwort: „Das Schicksal hat mich in den falschen Körper geboren und ich bin nun hierin gefangen.“

Tatsächlich hat Akatiris Aussehen für einen Drachen einige Befremdlichkeiten, die nicht nur ihren Artgenossen, sondern auch dem ungeübten Betrachter recht schnell und deutlich auffallen. So spürt man beispielsweise bereits aus der Ferne ein undefinierbares Knistern in der Luft, das sie ständig zu begleiten scheint und sich umso intensiver ins Bewusstsein drängt, je näher man ihr kommt. Nur jene, die ebenfalls die Gabe haben, jenes Knistern zu erkennen, können es auf den ersten Blick und schon auf etliche Kilometer Entfernung eindeutig deuten: Der Körper dieser Drachin beherbergt eine Menge an magischer Energie, die mehr als einem Dutzend anderer, ebenfalls der Magie zugewandter Drachen zur Ehre gereichen würde. Die Intensität der Magie hat die Färbung ihrer Schuppen überaus markant geprägt, denn statt dem kräftigen, tiefen Blau sind sie ausgeblichen und von feinsten, geometrischen Mustern durchzogen, die ihrerseits größere, komplexe, geometrische Muster, die über ihren gesamten Körper hinweg eine befremdliche Symbiose bilden. Besonders markant fallen die vier schwarzblauen Edelsteine, in denen weiße Flammen eingeschlossen zu sein scheinen, dem geneigten Betrachter auf, von denen jeweils einer in jedem ihrer Unterarme und auf ihren Handrücken eingelassen ist, nur eine winzige Erhebung bildet. Am beeindruckendsten jedoch ist die Lücke in der sonst geschlossenen, dunkelgrauen Reihe kräftiger Brust- und Bauchschuppen, die direkt über ihrer Brust klafft und so aussieht, als hätte sie sich selbst zwei dieser massiven Schuppenplatten vom Leib gerissen und gegen einen einzelnen, die Lücke gänzlich ausfüllenden, gleißend-weißen Kristall ersetzt, der einem jeden Betrachter Zerrbilder der eigenen Gedanken entgegenzuwerfen in der Lage ist.

Diese Mächte, die in diesem Körper innewohnen, haben jedoch einen Preis: Akatiris Körpergröße ist mit unter zehn Metern von der Nasen- zur Schwanzspitze eine der kleinsten Vertreterinnen ihrer Art, ihr Gewicht ist unterdurchschnittlich und auch ihre Muskeln sind alles andere als ausgeprägt. Der trübe Schleier, der über ihren normalerweise eisblauen Augen liegt, ist zudem Beleg dafür, dass die mächtige Drachin nahezu blind ist. Um sich dennoch zurechtfinden zu können, ruht ein dunkelblauer Edelstein in der Mitte ihrer Stirn, erlaubt ihr so allerdings eine Sicht, die in vielen Bereichen jener, anderer Lebewesen weit überlegen ist. Dank dieser Kräfte ist sie in der Lage, die Auren und magischen Ströme aller Wesen und Pflanzen, die sie umgeben, wahrzunehmen. Gleichzeitig offenbart dies ihre offensichtlichste Schwäche: So gut sie alle Lebewesen, Pflanzen und alles, was lebt, von Magie (ganz gleich ob von arkaner, dämonischer oder nekromantischer Art) durchwebt ist, zu sehen, so schwer sieht sie Dinge, denen es an all jenen Dingen mangelt. Alles, was tot ist, versinkt im unendlichen Grau, deren Schattierungen kaum bis gar nicht auseinanderzuhalten sind. Tote Bäume, Felsen, Klippen, vertrocknete Äste und Büsche – sie alle verschwinden vor ihrem magischen Blick und sind somit nicht für sie zu erkennen. Ihre Flügel, die zwar groß und kräftig ausgebildet sind, deren Flughäute aber von zahllosen kleineren Rissen und Löchern gesäumt sind, die von zahllosen kleineren Kollisionen, mit Bäumen, dem Streifen von Sträuchern und dem Hängenbleiben an trockenen Ästen stammen, sind ebenso Indiz dafür wie die vielen Kratzer auf den Schuppen ihrer Schultern und ihrem Gesicht. Denn obwohl sie durchaus eine Vielzahl an magischen Sprüchen zu wirken in der Lage ist, so ist die Schule der Wiederherstellung und damit Heilung bis zu diesem Tage nicht zu ihr vorgedrungen – wohl aber die der Projektion und Manipulation.

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