Wirklich viele nicht-feline Humanoide existieren nicht auf der Welt. Scheinbar war die Tatsache, dass die starke Ähnlichkeit mit domestizierten Haustieren auf die Menschen eher abschreckende Wirkung hätte genug Grund, von eben diesen Rassen Abstand zu nehmen. Das ist auch einer der Gründe, warum bislang kein einziger Humanoider, der aus den Genen einer Hauskatze geklont wurde, herumläuft (wobei – vielleicht ein oder zwei, im Rahmen von Experimenten. Sicher kann man sich mittlerweile, nach den vielen Jahren, nicht mehr sein). Von daher ist Alexej bereits ein Sonderling – wurde für seine Erschaffung doch das Genom eines Tundrawolfs heran genommen, bei der Sequenzierung dafür ein besonders großes Gewicht auf logisches Denken und das Erkennen von Mustern und Trends gesetzt.
Am 30. September 2022 erblickte er so das Licht der Welt, wurde er kurz nach seiner Erschaffung bereits nach Athen und unter die Fittiche eines Managers der Eurobank Ergasias gestellt, der ihn in die komplexen Zusammenhänge des Aktienhandels einwies. Zwar hatte man vorab bereits zahlreiche Informationen, Funktionen, Sprachen und weitere Details während seiner Zucht im Tank in seinen Verstand übertragen, die praktische Anwendung jedoch bot noch weitere Feinheiten, die man akademisch nicht so leicht erlernen konnte.
Alexej lernte überraschend schnell und bewies, dass er in Sachen Trading und Abschätzung von Risiken ein höchst kreativer Kopf war, verdiente schnell fünf- und sechsstellige Summen, die er hin und her schichtete und sich binnen eines einzigen Wochenendes bereits in der Lage war, sich selbst von der Bank freizukaufen – und das nur durch die Gewinnprovision, die für Humanoide lediglich ein Drittel dessen betrug, was an menschliche Händler ausgeschüttet wurde.
Anstatt seinen Job dann an den Nagel zu hängen und frei nach einer anderen Bestimmung zu suchen, beschloss er, als normaler Mitarbeiter bei der Bank anzufangen und seine Talente so weiterhin einzusetzen. Denn er merkte schnell, dass er insbesondere dann aufblühte, wenn er mit dem Kopf in den Zahlen und Aktiengraphen hing, seine Aufmerksamkeit schnell wegdriftete, wenn er sich nicht damit beschäftigen konnte. Im Gegenzug bezog er ein Gehalt, das für Humanoide mehr als großzügig und selbst für Menschen durchaus anständig zu bezeichnen war. Etliches von dem Geld ging aber bereits schon für die für ihn genau maßzufertigenden Anzüge drauf, die die Schneider, die bei anderen Humanoiden bereits schon Herausforderungen gesehen hatten, wahre Schweißperlen auf die Stirn zauberte. Gerade da er auf feines Schuhwerk, gut sitzende Hosen und farblich passende Jacketts und Hemden bestand, von allem jeweils mehrere in ähnlichen Farben und diskreten Mustern erbat, wuchs der Aufwand, der wegen seiner doch sehr anderen Anatomie betrieben werden musste, enorm. Und er würde in naher Zukunft noch weiter wachsen.
So kam es auf einer der vielen Geschäftsreisen ins Frankfurter Bankenviertel dazu, dass er leider in einen Unfall verwickelt wurde, der ihn schmerzlich zeichnen sollte. Verträumt und mit dem Kopf in weitere Zahlen vertieft stieg er aus dem Bus an der nahen Bushaltestelle aus und schlenderte in Richtung Bank, als er von energischem Klingeln und Schreien hinter sich überrumpelt wurde. Voller Schreck wich er reflexartig zur Seite aus, blieb dabei aber mit seiner Schuhspitze an dem leicht erhabenen Randstein hängen und knickte so mit seinem rechten Fuß um, schaffte es aber dennoch, sich irgendwie auf den Beinen zu halten, nicht aber, als der Rollerfahrer, der so wütend geklingelt und gebrüllt hatte, ihm voll in die Seite fuhr und ihn schließlich doch auf den Boden schickte. Der ebenfalls stürzende Rollerfahrer indes fing sich dadurch ab, dass er seinerseits einen Ausfallschritt machte und so mit dem rechten Fuß und seinem gesamten Gewicht auf Alexejs rechten, am Boden befindlichen Knöchel trat.
Einige Stunden später wurde vom Arzt bei Alexej ein Trümmerbruch des rechten Sprunggelenks diagnostiziert. Versuche, das Gelenk wieder vollständig zu rekonstruieren, scheiterten an dem Ausmaß des Schadens und der Komplexität der Verletzung, so dass das Gelenk als Ganzes versteift werden musste. Seit diesem Zeitpunkt benötigt der Wolf-Humanoide neben eh schon maßgefertigten Kleidungsstücken zusätzlich noch maßgefertigte Einlagen und die Erhöhung jeweils einer Sohle, ist zudem nicht mehr ohne Gehstock anzutreffen, mit dem er den Mangel an seinem Bewegungsapparat hinreichend ausgleicht. Wirklich störend empfindet er nur die Schmerzen. Doch Hauptsache ist – so sagt er sich selbst – das seinem Kopf nichts passiert ist. Das ist wesentlich entscheidender.
Was den Rowdy auf dem Roller indes angeht – den hat Alexej nach dem Unfall nie wieder gesehen und auch nie etwas von ihm gehört. Es hat scheinbar auch keinen einzigen Menschen gekümmert. Grund mehr für ihn, bei seinen Investments keine gesonderte Rücksicht auf ihre Bedürfnisse zu nehmen.