Ein Schaden und eine Verletzung kommen nie aus heiterem Himmel – es ist immer ein Weg dorthin, der einen Anfang nimmt und mehrere Zwischenstationen hat. Und so ist es auch mit den Knöchelproblemen von Samira.
Schritt 1 – Der Anfang
Bei einem Benefizspiel, bei dem sie mitmachen MUSS, zieht sie sich bei einer Kollision mit zwei anderen Spielern eine Knieverletzung im linken Knie zu. Um genau zu sein: Sie reizt sich Kreuzband und Meniskus im linken Knie. Beides wird operativ behandelt (es wird genäht), aber durch die folgende Heilungszeit und die Tatsache, dass ihr Knie eben schmerzt, belastet sie ihr rechts Bein stärker als üblich. Hieraus entwickelt sich eine minimale Tendenz, ihr rechtes Bein zu bevorzugen. Es wird stärker, sie wird davon etwas abhängiger.
Schritt 2 – Die Verletzung
Relativ kurz nach der verheilten Knieverletzung beschließt sie, an einem Wettkampf teilzunehmen. Nicht, weil ihr danach ist, sondern schlicht und ergreifend weil sie Geldsorgen hat und das Preisgeld BRAUCHT, um über die Runden zu kommen und die Schulden, die sie führ die Behandlung ihrer Knieverletzung aufgenommen hat, zurückzubezahlen. Die Knieverletzung hat sie im Training zurückgeworfen. Also trainiert sie härter und am Wettkampftag wärmt sie sich mit leichtem Jogging durch den Wald auf. Um die Sorgen auszublenden, hört sie Musik – sucht sich im Lauf aktiv einen anderen Song heraus. Ihre Augen sind auf das Display ihres Telefons, das sie als Musikplayer nutzt, gerichtet, nicht dorthin, wo sie hintritt. So übersieht sie sowohl die sanfte Linkskurve, wie auch die Wurzel am Boden. Mitten im Lauf bleibt sie mit ihrem Fuß an der Wurzel hängen, stolpert, versucht ihr Gleichgewicht zu behalten, macht einen Ausfallschritt, der jedoch nicht mehr auf dem Weg, sondern rechts davon im Graben landet. Schiefer Boden, leicht seitliche Körperbewegung, dann ein Stein und kurzerhand knickt sie mit ihrem rechten Fuß um. Hierbei zieht sie sich eine Bänderdehnung zu.
Schritt 3 – Ignorieren – und Verschlimmern
Anstatt die Bänderdehnung zu behandeln oder zu beachten, läuft sie weiter. Im Wettkampfzentrum duscht sie, macht sich für den Wettkampf bereit. Auf dem nassen Boden rutscht sie leicht aus, knickt mit ihrem bereits lädierten Knöchel nochmal um und dehnt sich die bereits überdehnten Bänder noch etwas weiter. Nun beschließt sie, doch eine Kleinigkeit zu tun, greift sich einen Tapeverband und taped ihren Knöchel. Da ihr Fell von der Dusche noch nass ist, hält das Tape allerdings nicht wirklich gut und löst sich nach ein paar Minuten unbemerkt wieder. Eine wirkliche Stützwirkung hat es daher nicht.
Schritt 4 – Die Hauptverletzung
Gewichtheben ist eine enorme Belastung für alle Gelenke. Ist eines nicht im Top-Zustand oder nicht ideal „in Linie“, sind die Kräfte, die auf alles, was nicht korrekt ausgerichtet ist, enorm. Die überdehnten Bänder in ihrem Knöchel gehören dazu – sie stabilisieren ihr Sprunggelenk nicht mehr hinreichend, so dass ihr Knöchel geringfügig zu weit nach außen tendiert. Als sie die Langhantel hebt und mit Schwung über den Kopf heben will, entlädt sich die gesamte Kraft durch ihre Beine, die geschwächten Bänder können das Gewicht nicht halten, reißen unter der Last und ihr Fuß knallt kurzerhand in einer schnellen, harten Bewegung seitlich auf den Boden. Diese harte Falschbelastung führt außerdem dazu, dass Punkte im Gelenk belastet werden, die nicht (und insbesondere nicht so stark) belastet werden sollten. Im Ergebnis bricht bzw. bröckelt Knochen und Knorpel im Inneren.
Schritt 5 – Ungeduld und Falschbehandlung
Für jemanden, der überschuldet ist, klingt die Diagnose des Arztes wie eine mittlere Katastrophe: Mehr als zwei Monate würde es dauern, bis die Verletzung auskuriert ist. So viel Zeit hat sie nicht – sie wendet sich an Ärzte, die das operativ reparieren sollen.
Ungeliebte Wesen, die in eine Notlage geraten sind, die, wenn sie vollkommen überschuldet sind und ihre Schulden nicht mehr bedienen können, ins Eigentum des Gläubigers übergehen – ideale Umstände für Menschen, die es nicht ehrlich meinen. Und ja, solche Menschen gibt es auch in weißen Kitteln oder als Leiter von Kliniken. An solche gerät sie – und obwohl die ersten Behandlungen durchaus erfolgreich zu sein scheinen, zeigt sich doch: Einerseits wird etwas verbessert, andererseits aber verschlechtert. Effektiv wird ihr Fuß für sportliche Betätigungen unbenutzbar gemacht.
Schritt 6 – Inkompetenz und falsche Implantate
Nach zwei Versuchen bei den Betrügern gerät sie an jemanden, der es „ernst“ mit ihr meint und ihr Bein zumindest grob stabilisieren kann. Grob deswegen, weil sie an jemanden gerät, der KEINE AHNUNG von ihrer Anatomie hat. Somit werden die falschen Materialien verwendet und mehr Schaden angerichtet, als dass repariert wird. Davon merkt sie jedoch nichts – effektiv kann sie wieder laufen, wenn auch nicht gut.
Wo die ersten Ärzte die Bänder falsch vernäht und die Knochensplitter nur grob verklebt haben, was effektiv dazu geführt hat, dass der Knöchel nicht mehr von allein verheilen kann, bis der Schaden behoben wurde, hat der zweite Pfuscher die Bänder durch feine Edelstahldrähte ersetzt, die er an Schrauben, die in den Knochen eingesetzt wurden, befestigt sind. Ja, die metallenen Bänder sind stabil und ja, sie stabilisieren das Sprunggelenk tatsächlich, aber sie sorgen auch dafür, dass das Gelenk nun „zu fest“ ist. In der Folge kann sie ihren Fuß kaum bewegen und nutzt die Gelenkpfanne, die viel zu stark komprimiert wird, wesentlich stärker ab.
Schritt 7 – Komplikationen
Ein Gelenk, das sich EIGENTLICH bewegen können sollte, nahezu starr zu verschrauben, übt unglaublichen Druck auf die Befestigungen auf. Da sie sich nicht mehr wirklich gut bewegen kann, sie sich außerdem nur noch das billigste Essen leisten kann und in der Folge rapide zunimmt, steigt die Belastung weiter. Irgendwann erreicht die Belastung den Punkt, dass die Befestigungen nachgeben. In diesem, konkreten Fall reißen die Schrauben im Knochen, lockern sich damit die vorher gespannten Metallseile ein wenig. Zwar verheilen die kleinen Risse und Brüche im Knochen immer wieder, aber die Schrauben reißen immer wieder kleinere Risse in die Knochen hinein. Und je mehr und heftiger sie ihren Fuß belastet, umso schlimmer werden die Risse im Knochen. Die Ermüdungsschmerzen und Schwellungen sind folglich nichts anderes als die Reaktion ihrer Fußknochen, in denen die Risse immer weiter und größer wachsen.
Schritt 8 – Durchbruch
Irgendwann wird die Belastung DERART groß, dass die Schrauben vollends aus dem Knochen heraus reißen. Damit verliert sie von einer Sekunde zur nächsten sämtliche Stabilität, sorgt es für immense Schmerzen, die auch nicht mehr aufhören, bis die Fremdkörper entfernt wurden.
Schritt 9 – Degeneration
Der letzte Eingriff schließlich stellt ihren Knöchel weitestgehend wieder her: Das Knochenmaterial wird verfüllt, die Risse und Brüche mit Schrauben, Bolzen, mit Spezialkleber und mit Brücken stabilisiert und die inkorrekt befestigten Bänder wieder korrekt angenäht. Allerdings gibt es Grenzen dessen, was man auf diese Weise reparieren kann. So ist die Symmetrie des Gelenks ebenso dauerhaft geschädigt, wie die Stärke der nicht korrekt vernähten Bänder. Beides führt dazu, dass die volle, ursprüngliche Stabilität nicht wieder hergestellt werden kann.
Schritt 10 – Instabilität
So sehr wir uns auch anstrengen und so vorsichtig wir auch sein mögen – der Alltag ist chaotisch und die Welt ebenso. Schnell übersieht man eine Straßenunebenheit, eine Stufe, macht man einen plötzlichen Schritt zur Seite, wird man angerempelt und dergleichen. All das ist normal, ist in der „Sicherheitsmarge“ unseres Körpers vorgesehen. Bei ihr jedoch ist diese Marge für ihr rechtes Sprunggelenk quasi aufgebraucht. Tritt sie also mit ihrem rechten Fuß in ein Loch, stolpert sie, übersieht sie eine Stufe, dann ist da kein Sicherheitsnetz mehr, sondern es schlägt direkt durch: Sie knickt um. Das Ergebnis kann harmlos sein, oder eben auch wieder eine Verletzung hervorrufen. So kommt es, dass sie im Jahr im Schnitt jeden Monat rund einmal umknickt und sich wenigstens in der Hälfte der Fälle den Knöchel verstaucht. Da sie aus ihrer Vergangenheit aber gelernt hat, wird sie für einen solchen Fall vorbereitet sein und sich entsprechend selbst behandeln, schonen und die Verletzung ordentlich auskurieren – was, da es leichte Fälle sind, jeweils gute zwei Wochen dauert.
Schritt 11- Konsequenz
Samira weiß um ihre Knöchelprobleme und geht auch entsprechend klug damit um. Entsprechend wählt sie ihre Kleidung eher so, dass sie ihren Knöchel so gut es geht schützt. Daher vermeidet sie Sandalen oder alles, was zu locker sitzt, greift bevorzugt zu Sneakern und Sportschuhen, die meist über den Knöchel drüber gehen oder zu Stiefeln mit engem Schaft, der mindestens die Hälfte ihres Knies mit bedeckt und an den Sprunggelenken verstärkt ist. Gerade letztere vermeiden zwar nicht das Umknicken, beugen aber einer Bänderdehnung effektiv vor, so dass sie nach einem Umknickereignis zwar einige Minuten humpelt, dann aber schon wieder normal laufen kann.
Gerade bei Sportschuhen und Sneakern, die keine ausreichende Stützwirkung haben, achtet sie auf eine möglichst weiche, dämpfende Sohle, mit der sie Unebenheiten leicht ausgleichen kann und die zudem den Druck auf ihr empfindliches Gelenk senken.
Zusätzlich trägt sie immer mindestens eine Sorte Stützverband, Orthese oder Ähnliches mit sich, zusammen mit Schmerztabletten, um im Zweifelsfall sofort selbst Hand anlegen zu können. Mittlerweile besitzt sie ein gutes Dutzend verschiedener Stützverbände in allen möglichen Farben, so dass sie diese so wählen kann, damit der Verband möglichst nahtlos in die Farbe der Hose oder Schuhe, die sie trägt, übergehen kann und man nicht sofort sieht, dass sie einen Stützverband trägt, diesen eventuell gar für einen Teil des Schuhs oder eine Socke oder ähnliches hält.
Da sie sich im Schnitt 4-5x im Jahr den Knöchel verstaucht und somit gute 10-12 Wochen im Jahr mit Stützverband zu sehen ist, gewöhnt man sich relativ schnell an den Anblick. Grob einmal im Jahr jedoch kann sie auch Pech haben und sich statt einer einfachen Bänderdehnung auch einen Bänderriss zuziehen. Ein solcher dauert bei ihr für gewöhnlich 1-2 Monate, in denen sie zusätzlich über dem Verband noch eine große, schwarze Orthese trägt und je nach Schwere der Verletzung zumindest in den ersten Wochen noch zusätzlich mindestens eine Krücke verwendet. Barfuss ist sie dennoch nie zu sehen, greift in solchen Fällen zu ihren Chucks oder ähnlich flexiblen Schuhen, bei denen der rechte dann wirklich extrem gedehnt und so gut wie gar nicht geschnürt ist, um die für die Schwere der Verletzung völlig überdimensionierte Orthese aufnehmen zu können.