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Seelische Wunden & Phobien

Die Narben eines Körpers kann man auf den ersten Blick sehen – und man verbirgt sie unter Bandagen, unter Kleidung, unter Makeup oder Ähnliches. Narben auf der Seele indes sind stets verborgen, doch sie sind deutlich schwerwiegender, bedrohlicher und können eine Persönlichkeit komplett ändern, Handlungen und Motivationen beeinflussen.

Samiras Seele hat tiefe Narben davon getragen. In welcher Form, kann man nicht sehen, nur erahnen. Zumindest gibt es ein paar kleinere körperliche Spuren – einige unsichtbar, aber ein paar auch sichtbar.

Ihr linkes Ohr ist in der Mitte und in kompletter Tiefe durchgerissen und in zwei Hälften geteilt

Auffällig unauffällig ist hierbei ihr linkes Ohr, das in voller Länge durchgerissen ist und so in zwei Teilen hängt. Wie es entstanden ist, darüber spricht sie nicht, denn es ist einer der Ursprünge ihrer Phobie, die sie insbesondere vor lauten, kreischenden Menschen und größeren Ansammlungen hat.

Es stammt aus dem Kinderheim, in das sie in ihrer Kindheit gesteckt wurde und in dem die menschlichen Kinder sie, eine Humanoide, nicht als ebenbürtiges Kind oder überhaupt als Kind, sondern im Gegenteil eher als großes Plüschtier, als Spielzeug – also als Objekt – wahrgenommen haben. Entsprechend hat man sich um sie gestritten. Und Spielsachen werden bei Kindern relativ schnell beschädigt. Sie ist hier zwischen die Fronten geraten, beide rissen an ihrem Ohr…und das Ohr gab halt nach…

Ihr Schwanz ist an zwei Stellen im 90-Grad-Winkel gebrochen, wobei der zweite Bruch auch das Rückenmark durchtrennt hat. Der Schwanz ist ab dieser Stelle abwärts gelähmt.

Gleiches geschah auch im Kampf um ihr Spielzeug mit dem Schwanz von Samira – nur wurde dieser mehrmals und hart in Türen eingeklemmt, daran gerissen, der Schwanz verbogen, auf ihm herumgebissen…einfach alles, was Kinder mit einem Spielzeug machen.

Diese beiden Verletzungen beschädigten ihr Ego in einer der wichtigsten, prägenden Phase. Sie sieht ihr Ego hierdurch insgesamt eher als schwächer an, zeigt wenig eigenen Antrieb und „schwimmt nur mit“, statt sich aktiv für etwas zu entscheiden. Und genau das führte sie auch in die Hände ihres zweiten „Vaters“, der ihr weitere Spuren zufügte. Diese jedoch verbirgt sie so gut wie immer vor der Öffentlichkeit, trägt sie mit Scham: Längliche, tiefe Narben auf ihrem Rücken.

Diese Narben stammen von ihrem Vater, aber auch von jenen, die nach ihm folgten, dienten angeblich dem „Ansporn“, sich mehr anzustrengen und mehr zu tun, als sie meinte, leisten zu können. Es waren Schläge mit einer Peitsche, die ihr Selbstwertgefühl noch weiter nach unten trieben und sie damit mehr zu einem Tier denn einem lebenden, fühlenden Wesen machten. Aber, auch diese Wunden waren noch nicht die Schwersten und tiefsten Narben, die ihre Seele erleiden musste. Diese gehen noch tiefer – und begründen die wahrhaft panische Phobie, die sie vor Menschen und insbesondere vor Männern und Jungs hat, die sie starr werden lässt und wie ein Reh, das in den herannahenden Scheinwerfer starrt, lähmt.

Sie wurde missbraucht. Trotz ihrer physischen Überlegenheit, ihrer beeindruckenden Stärke, sind die männlichen Verbrecher im russischen Gulag, in das sie geworfen wurde, über sie her gefallen, hat man sie gefesselt und gezwungen, Dinge zu ertragen, die selbst gefasstere Persönlichkeiten zum Zerbrechen gebracht hätten. Seither hat sie panische Angst vor allem, was männlich ist. Der Zorn, den sie fühlen sollte, wird von dem Gefühl der Minderwertigkeit gelöscht und verdrängt, macht so allein der Furcht, der Angst und Panik Platz, lässt sieh flüchten, wann immer es ihr möglich ist. Im Alltag flüchtet sie sich in ihre Musik, schließt die Augen und horcht den Klängen von Instrumenten. Ist eine Flucht indes nicht möglich, erstarrt sie, unfähig etwas zu sagen, sich zu wehren oder sonstwie zu reagieren.

Kurzum: In ihrem Inneren ist mehr zerbrochen, als nur ihre Knochen.

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