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Das Sprunggelenk – eine Tragödie in fünf Akten

Auf den ersten Blick erscheint das Bild des verletzten Knöchels bei Luane als trivial. Das war es tatsächlich auch ursprünglich, in den ersten Monaten und Jahren, seit sie als Charakter existiert, auch. Allerdings ist in der Zwischenzeit EINIGES passiert – sowohl Zeit, die der Charakter zu reifen hatte, wie auch Zeit, in der ich die Gelegenheit hatte, mir Fachartikel zu Verletzungsmechaniken, zu Krankheitsbildern, möglichen Komplikationen, deren Auswirkungen und Konsequenzen ein wenig durchzulesen, in die Anatomie eines Wesens, das eben doch EIN WENIG anders als ein durchschnittlicher Mensch oder ein normales, domestiziertes Tier ist, hinein zu gehen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Heraus gekommen ist etwas, das ich eben jene Tragödie bezeichnen würde – denn auch wenn der Anfang so unscheinbar erscheint, so ist er der Beginn einer Leidensgeschichte, die den Charakter verfolgt, auf dem alles andere aufbaut und sich Schritt um Schritt immer weiter steigert.

Akt I – Es beginnt im 5. Lebensjahr

Luane wächst als Einzelkind auf. Als Einzelkind, das seiner Mutter, die bei der Geburt leider an Komplikationen ums Leben gekommen ist, sehr ähnlich sieht. Das sind bereits zwei Gründe, warum sie verhätschelt wird – und somit mit einer gewissen Überheblichkeit und passend umsorgt aufwachsen konnte. Und entsprechend übermütig und vorlaut wächst sie auf. DAS wiederum führt auch dazu, dass sie sich sehr schnell mit teils DEUTLICH größeren und auch älteren Artgenossen anlegt. Und wie immer, wenn man so etwas tut, selbst übermütig und vorlaut wird, endet es in Tränen. In ihrem, konkreten Fall, mit einem Sturz.

der erste Bänderriss, vom Vater mit einigen Blättern und Seealgen versorgt. Leider übersah er das Wesentliche.

Ein Sturz führt zu einer Verletzung, führt zu Tränen und zu einem Vater, der sein weinenden Kind so gut er nur kann zu versorgen versucht. Vorteil der beiden: Er ist die Art der Verletzung von seiner Gemahlin gewohnt – denn die hatte, ebenso wie Luane, ebenfalls eher schlanke und damit relativ anfällige Sprunggelenke, sich diese im Laufe ihres Lebens bereits 2-3x verdreht, wurde von ihrem Gatten versorgt. Dieser wiederum kennt es von sich selbst, litt seines Zeichens auch bereits einmal an einer leichten Bänderdehnung, denn die eher schwach ausgebildeten Gelenke sind in der Subart der nur in der Region vorkommenen Lugia leider üblich. Entsprechend war er durchaus geübt darin, derartige Verletzungen zu erkennen und zu behandeln.

Nachteil für beide: Er kennt bzw. kannte dieses Verletzungsbild sehr gut. ZU gut, so dass er nicht auf die Idee kam, es zu hinterfragen und eine andere, ähnlich aussehende Verletzung zu erkennen. Folglich erkannte er sie auch nicht, schlich sich diese unter dem Deckmantel der anderen, ähnlichen Verletzung, unbehandelt weiter: Eine Fraktur der Wachstumsfuge im linken Sprunggelenk. Denn diese hatte sich die Kleine, zusätzlich zum Bänderriss, ebenfalls zugezogen. Und diese war, anders als die Bänderverletzung, nach drei Wochen Schonung und einem bandagierten Sprunggelenk ganz und gar nicht verheilt, blieb noch über Monate verletzt. Das leichte Kneifen, das die Kleine in ihrem Bein spürte und das leise Pochen, wenn sie sich in der Nacht zur Ruhe legte, tat sie als Nachwirkung ab, ignorierte es. So folgte dann, etliche Jahre später…

Akt II – Die instabile Fuge

Eine falsch bzw. schlecht verheilte Wachstumsfuge macht sich dadurch bemerkbar, dass sie, wenn sie sich denn schließlich schließt und die letzte Phase des Wachstums einsetzt, eben anders – und damit in den meisten Fällen deutlich schlechter – verwächst. Manchmal wird das betroffene Gelenk dadurch schief, in schlimmen Fällen kann es sogar gänzlich verformt sein und so den Dienst quittieren. In ihrem, konkreten Fall sorgte es für zwei Probleme. Zum einen einen leichten Schiefstand des Gelenks – nur wenige Grad (3-5 Grad, um genau zu sein), die das Gelenk nach außen drückte und somit nicht mehr symmetrisch verlief, aber nicht schlimm – und zum anderen der Umstand, dass das Gelenk an sich merklich lockerer und damit instabiler war. Sprich: Die Gelenkpfanne, in der das obere Sprunggelenk normalerweise ruht, war schlanker gewachsen, bot somit weniger Halt für den Knochen, der darin ein wenig freier hin und her rutschen konnte. Vom zwölften Lebensjahr an wurde es damit von Woche zu Woche und Monat zu Monat immer mehr Normalität für sie, dass ihre linke Pfote, wenn sie sie nicht richtig oder vorsichtig aufsetzte, die Neigung entwickelte, einfach etwas zur Seite wegzurutschen, ein Stück zur Seite wegzuknicken. Allerdings gewöhnte sie sich relativ schnell daran – und auch daran, dass ihr das Gelenk dann einige Stunden etwas weh tat, wenn sie wieder einmal „blöd aufgetreten“ war. Diese jahrelange Gewöhnung an einen falschen Umstand führt so schließlich zum

Akt III – Der verschleppte Bänderriss

Beim Sturz verdreht sie sich die linke Pfote erheblich weiter, als in allen Jahren zuvor. In der Konsequenz reißen die bereits mehrfach stark strapazierten Bänder komplett durch

Übermut gepaart mit einem Ausbleiben des für sie eigentlich immer präsenten Glücks führten zu ihrem Absturz. Und auch wenn die Augenverletzung sowie die Verletzung an ihrer Schulter und ihrem Ellenbogen bereits schon genug gewesen wären, um sie für einige Tage dazu zu zwingen, sich zu erholen und zu gesunden, so war doch der Umstand, dass sie sich bei der missglückten Bruchlandung beim verzweifelten Versuch, NICHT hinzufallen, einen Bänderriss sowie einen Muskelfaserriss in der Wade zuzog, der eigentliche Grund für sie, sich zu erholen und abzuwarten. Allerdings – so hatte sie es in den Jahren zuvor praktiziert – war sie der festen Überzeugung, es wäre „nicht so schlimm“ und belastete die Pfote, die nun NOCH instabiler geworden war, nur Tage später erneut und so normal, wie sie es gewohnt war. Die Folgen waren, dass sie sich nur eine Woche später ERNEUT die Bänder riss und die Verletzung so, statt nach drei oder vier Wochen weitestgehend ausgestanden zu sein, etliche MONATE brauchte, um auch nur im Ansatz zu heilen. Leider aber hielt sie auch während dieser Zeit nicht still, zog sich so in den folgenden Wochen immer neue, weitere Verletzungen zu, zögerte sich die Genesung immer weiter hinaus. Bis es schließlich so kam, wie es kommen musste.

Akt IV – Auf den Riss, folgt der Bruch

Fun Fact: Gerissene Bänder können ein Gelenk nicht mehr stabilisieren!

Die wahrscheinlich schlimmste Verletzung des Sprunggelenks zog sie sich in logischer, trauriger Konsequenz des Vorgenannten zu. Wieder war es ein Sturz, wieder landete sie ausschließlich auf ihrem linken Bein. Doch wo vorher, als sie unglücklich gestürzt war, noch die Bänder waren, um den Sturz dadurch zu bremsen, dass sie sich erst dehnten, dann überdehnten und schließlich rissen, waren diesmal keine Bänder mehr da – denn die WAREN bereits gerissen, als sie stürzte. So ging die volle Wucht des Sturzes direkt und unmittelbar auf das einzige, was noch da war, um den Schock aufzunehmen: Den Knochen selbst.

Im ersten Akt war dieser ja bereits durch den Bruch der Wachstumsfuge geschwächt worden. Dieser Knochen – der Talus, um ganz genau zu sein – brach so an der selben Stelle, die sie sich im Alter von 5 Jahren und damit 17 Jahre zuvor verletzt hatte, erneut, diesmal jedoch in drei unabhängige Stücke, wodurch schlagartig und von einem Moment zum nächsten die gesamte Reststabilität des Gelenks davon wehte.

Da sowohl die Schmerzen hinreichend schlimm waren, aber auch die mangelnde Stabilität eine Benutzung der Pfote gänzlich unmöglich machten, sah Luane sich so gezwungen, EIN WENIG Hilfe zu akzeptieren, sich einen Stützverband anlegen zu lassen und sich so weit zu erholen, bis sie ihre Pfote wieder halbwegs benutzen konnte.

bandagiert und gestützt, aber leider immer noch äußerst instabil

Die Betonung liegt hier in der Tat auf „halbwegs“. Denn auch wenn sie etliche Wochen lang ihre Pfote – leider nur auf energisches Drängen hin – schonte und sich ausruhte, wollte der Bluterguss nicht weggehen, blieb die Pfote extrem instabil und, wenn sie stand, bei einem Schiefstand von 10-15 Grad, wodurch die innere Zehe und der innere Bereich ihrer Pfote beim Stehen zumeist nicht den Boden berührten. Grund für alles war auch hier die mangelnde Diagnostik, die die richtige Therapie verhinderte. Denn der gebrochene Talus wuchs nur teilweise zusammen, verblieb in zwei separaten, aneinander reibenden, nicht heilen wollenden Teilen. An dieser instabilen Knochenoberfläche konnten die gerissenen Bänder nicht heilen, rutschte die Pfote im Gelenk etliche Zentimeter zu allen Seiten hin und war damit, für jeden anderen, quasi unbenutzbar. Sie jedoch belastete ihr Sprunggelenk weiterhin – mit der von ihr, in ihren jungen Jahren gelernten Vorsicht. Diese weitere Belastung indes stellte sicher, dass der Bruch unverheilt verblieb, ihre Weigerung, sich untersuchen zu lassen, stellte sicher, dass der Bruch unentdeckt blieb – und so verschlechterte sich der Zustand ihrer Pfote im Laufe der folgenden Jahre zusehends, wurde ihr Kampf gegen die Instabilität immer drastischer, während ihre Versuche, die Verletzung zu leugnen, überzeugter wurden. Dies aber führt dann zu

Akt V – Am Scheideweg

Mit 34 Jahren, 29 Jahre nach der ersten Verletzung, die den Stein ins rollen setzte und 13 Jahre, nachdem der Fels mehr oder minder unaufhaltsam wurde, war ein Punkt erreicht, ab dem es nicht mehr weiterging. In den vergangenen 13 Jahren hatten sich die Verletzungen, die sie in ihrem Sprunggelenk erlitten hatte, enorm gehäuft, hatte sie sich über 30 Bänderrisse und über 20 Bänderdehnungen zugezogen, war ihre Pfote hunderte Male einfach unter ihr weggeknickt, hatte sie ihr den Dienst verweigert, waren die Nächte, in denen sie vor lauter Schmerz nicht einschlafen konnte, mehr und mehr geworden. Gerade in den letzten Jahren hatte sie die immer schlimmer werdende Instabilität damit zu kompensieren versucht, sich Verbände, Bandagen oder sogar dickere Nylonseile um das Gelenk zu wickeln und es so zu fixieren, damit sie zumindest noch ETWAS Stabilität damit erlangen konnte.

Wenn ein Gelenk so instabil ist, dass du es dir halb abschnüren musst…GEH! ZUM! ARZT!

Das sie sich mit dieser Methode noch mehr Schaden an ihrem Knöchel, ihrer Pfote und ihrem ganzen Bein zufügte, schien ihr egal zu sein, so lange sie nur den Anschein wahren konnte, dass sie eben doch keine Hilfe brauchte und alles „gut“ sei.

Dann aber, mit besagten 34, zeig sich schließlich, dass auch das nicht mehr hilft, die Schmerzen einfach unerträglich und nicht mehr durch alles schmerzstillende Kraut der Welt mehr bewältigbar wurden, stimmte sie dennoch einer medizinischen Behandlung und Diagnose zu. Jetzt endlich wurde die Verletzung ihres Talus offenbar – und auch der Grund für ihre immensen Schmerzen: Eine bereits fortgeschrittene Nekrose – der Knochen hatte angefangen, entlang der Bruchstellen abzusterben. Hier teilt sich der Pfad der Möglichkeiten: Beharrst du dabei, dich nicht behandeln zu lassen, was am Ende zu einer Sepsis und damit deinem Tod führt – oder lässt du dich behandeln, stellst dich dabei gegen deine gesamte Überzeugung und alles, was du im Leben jemals gesehen hast? Und wenn du dich behandeln lässt – gehst du den empfohlenen Weg, lässt du die Pfote knapp unterhalb des Knies amputieren, da der Schaden zu groß ist, als dass er jemals wieder verheilen könnte, oder beharrst du auf dem Versuch, es zu reparieren, im Wissen, dass es jetzt und TROTZ allem nie wieder so stabil werden würde, wie du gewohnt bist und ein Leben lang Schmerzen haben könntest? Und schließlich noch – wirst du die Behandlung, die Nachsorge und alles, was danach kommt, überleben bzw. ertragen können?

Der Pfad ist ein langer und komplexer – und er ist genau so gewählt, wie es zu ihrem Charakter passt. Nur das Ende ist unbestimmt…

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