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Storyspoiler – oder auch: Ihr Charakter

Über ihren physischen Zustand und ihr Verhalten habe ich ja schon sehr lang und ausgiebig geredet – also das, was man sehen kann, was man beim Umgang mit ihr wissen sollte und was für ein „Miststück“ sie hin und wieder mal ist. Was ich aber NICHT beschrieben habe, ist der GRUND bzw. der WEG dahin, wie und WARUM sie so wurde und was sie ausmacht.

Eigentlich hatte ich vorgesehen, all diese Details langsam im Rahmen einer Geschichte, die sich mit der Zeit immer weiter entfaltet, aufzubereiten. Nun – meine Geschichten liest eh keiner, somit gehe ich hier den „kurzen“ Weg und erläutere einmal ihre Hintergrundgeschichte für all jene, die sich etliche Dutzend bis Hundert Seiten nicht durchlesen wollen, damit sie ihren Bias entweder bestätigt sehen, oder diesen durch das Lesen dieses Textes vielleicht etwas verlieren (glaub ich zwar nicht dran, aber hey). Primär aber auch, um die Ideen, die sich mir im Laufe der vergangenen Monate und Jahre im Kopf und meinen Notizen angesammelt haben, möglichst strukturiert niederzuschreiben.


Es beginnt – am Anfang

Der Grundstein für den Charakter von Luane ist natürlich mit der Geburt gelegt. Sie ist die Tochter von Lago Caribanc – dem „dominanten“ Männchen und Anführer der kleinen Gruppe Lugia, die in der karibischen See bei einigen kleinen Eilands in der Nähe der Serranilla Bank beheimatet sind. Aufgrund der dort vorherrschenden Temperaturen und des klaren Wassers haben sie sich anatomisch über die Jahrhunderte an ihre Umgebung angepasst – sind daher schlanker, filigraner, haben weniger Körperfett und somit in Summe ein niedrigeres Gewicht, was sich auch auf die übrigen Gelenke und alles drum und dran entsprechend auswirkt. Kurzum: Sie sind agiler, dafür weniger robust gebaut.

Die Mutter von Luane war Belua – eine ausgesprochene Schönheit in der gesamten Gruppe, ausgesprochen schlank und athletisch gebaut. Leider plagten sie Knieprobleme von Abenteuern, die sie als Junges unternommen hatte. Dennoch erwählte Lago sie als Gattin, erwies sich ihr als „würdig“, so dass beide, nach 13 Monaten der Trächtigkeit, Luane als Tochter bekamen. Doch genau hier ist der Kern des Beginns aller Probleme.

Belua war in der Tat eine ausgesprochen schlanke und athletische Lugiadame. Da die kleine Gruppe aber relativ isoliert von anderen Lugia war, frisches Blut somit eher selten, mehrten sich bei ihnen mit der Zeit einige Gendefekte. Zu ihrem Glück waren die meisten dieser Gendefekte kosmetischer Natur (daher die, im Vergleich zu anderen Lugia, relativ erheblichen Unterschiede in den Proportionen), einige wenige aber hatten auch schwerere Auswirkungen. Eine davon war eine angeborene Gelenkschwäche, die dafür sorgte, dass alle Gelenke weniger robust ausgebildet wurden, was aufgrund des niedrigeren Körpergewichts aber keine wirkliche Rolle spielte. Der zweite Defekt allerdings sollte sich als fatal herausstellen, denn er hatte die Anatomie im Laufe der Zeit bei ihrer Familie graduell immer weiter verändert, sie immer schlanker und stromlinienförmiger werden lassen. So schlank schließlich, dass ihr Becken zu schmal wurde, um ein Kind zur Welt bringen zu können.

Als Belua mit Luane in den Wehen lag und das Baby einfach aus ihr herausgleiten sollten, verkeilten sich so die Schultern des Säuglings in Beluas Beckenknochen, der leider genau zwei Zentimeter zu schmal war, als dass die Geburt erfolgreich hätte ablaufen können. Sie kämpfte so stundenlang mit der halb geborenen Luane, die zur Hälfte aus ihr heraus schaute, während die andere Hälfte noch in ihr steckte und Presswehen und Krämpfe ihren Körper schüttelten. Auf Hilfe brauchte sie nicht zu hoffen – es war Tradition, dass Lugia ihre Jungen allein, in einem ihnen vertrauten Gewässer, zur Welt brachten. Erst als sie sich in ihrer Verzweiflung gegen einen Felsen warf und sich so absichtlich ihr Becken brach, konnte sie Luane, die bei der Geburt beinahe verstorben wäre, erfolgreich zur Welt bringen.

Der Bruch ihres Beckens und die direkt darauffolgende Geburt allerdings verursachten bei Belua innere Blutungen, an denen sie schließlich binnen der folgenden Stunden verstarb. Lagos hörte zwar noch ihr Schreien, eilte zu ihrer Hilfe – aber retten konnte er seine geliebte Gattin nicht mehr. Allerdings versprach er ihr noch, für die gemeinsame Tochter so gut zu sorgen, als sei sie weiterhin am Leben, sie so gut zu umsorgen, wie er nur konnte.

Die kleine Prinzessin

Lagos umsorgte Luane so sehr, wie er nur konnte. Mehr noch – der verhätschelte sie und beschützte sie mehr, als wirklich gut für sie war, während Lemus – der Bruder von Belua – ziemlich genau das harte Gegenteil dessen anstrebte. In seinen Augen war es die Schuld von Lagos und diesem kleinen Miststück, dass seine Schwester gestorben war, hatten diese beiden sie offensichtlich umgebracht. Dieser Hass und die Verachtung färbten auch auf einige Teile der Gruppe ab – namentlich die beiden Töchter von Lemus, Alia und Lino, die jeweils fünf und sieben Jahre älter als Luane waren. Ihnen wurde der Neid und die Abscheu gegen Luane quasi vom Vater aus bereits eingeimpft, aber in den folgenden Jahren zeigte sich, dass sie das gar nicht nötig gehabt hätten. Denn die Tatsache, dass der Vater jedes Mal, wenn Luane nur zu schniefen begann oder lautstark nach etwas verlangte, sofort zur Stelle war und diejenigen, die seiner kleinen „Prinzessin“ Leid angetan hatten (ob nun wirklich, oder nur vermutet, spielte dabei keine Rolle), maßregelte.

Stammbaum von Luane

Das junge Kindchen, das Luane nun einmal war, verstand das meiste davon nicht. Was sie aber verstand war, dass sie offensichtlich alles haben konnte, was sie wollte – und das nutzte sie aus. Als etwa Alia einen King-Stein am Strand entdeckte, war es Luane, die diesen für sich einforderte. Immerhin wurde sie von den beiden Cousinen ständig „Prinzessin“ genannt, da war es nur richtig, wenn sie auch ihre „Krone“ von ihnen bekam. Dem Streit, der entbrannte, folgte eine kurze Verfolgungsjagd, in der die ältere Lino Luane einen Schlag mit ihrem Schwanz verpasste, woraufhin diese stürzte und sich ihr linkes Bein verletzte.

Lago kam, wie man es von ihm erwartete und kümmerte sich um seine verletzte Tochter – mit dem Wissen, wie er seine Gattin, die ebenfalls Probleme mit ihren Beinen gehabt hatte, versorgt hatte. Das Luane allerdings auch noch Tage später über Schmerzen klagte und unter heftigem Fieber litt, warf ihm Fragen auf – er verstand nicht, warum eine einfache Bänderverletzung solche Symptome auslöste, unterstellte den beiden daher, dass sie seine Tochter zusätzlich noch irgendwie vergiftet hatten. Das sie sich in Wahrheit etwas in ihrer Pfote gebrochen hatte – nämlich eine ihrer Wachstumsfugen, die er nicht gerichtet und auch nicht abgestützt hatte, um sie so korrekt ausheilen zu lassen – konnte er ohne Möglichkeit des Röntgens ja nicht wissen.

Die Bänder verheilten, aber die Fraktur verblieb viel zu lange unverheilt, so dass Luane auch noch Wochen nach dem Sturz über Schmerzen klagte. Das wiederum brachte ihr noch mehr Spott und Abscheu ein – denn mittlerweile waren es nicht nur die beiden Cousinen, die sich darüber ärgerten, es hatte sich rumgesprochen, dass sie nur so tat, als habe sie Schmerzen, damit eben jene Cousinen in einem schlechten Licht dastanden, ihnen noch mehr Schuld eingeredet wurde.

Kinder können grausam sein – das fühlte Luane überdeutlich. Also log sie eben genau umgekehrt, behauptete von da an, dass alles in Ordnung sei, während sie sich versuchte, die Schmerzen in ihrem Sprunggelenk so gut es denn ging zu ignorieren, zu verdrängen und auch jegliche Schonung zu unterlassen. Für die langsam verheilende Fraktur war das natürlich pures Gift, weshalb es auch nicht die eigentlichen vier bis fünf Wochen dauerte, die so eine Fraktur bei richtiger Behandlung zum ausheilen brauchte, sondern gute sieben Monate. Das die Wachstumsfuge dabei nicht korrekt zusammenwuchs, würde ihr im weiteren Verlauf ihres Lebens noch viele Probleme bereiten und den Weg, der später kommen sollte, ebnen.

Der Wille, beachtet zu werden

Zwar wurde Luane von den anderen Lugia irgendwann grob akzeptiert, dieses „besondere Mädchen“, das sie ihrer Meinung nach war, wollte aber niemand sonst in ihr sehen. Die beiden Cousinen beäugten sie weiterhin abfällig, spielten ihr Streiche, ärgerten sie und erzählten die wildesten Geschichten, machten sie überall wo sie nur konnten schlecht. Also beschloss Luane, die anderen eben zu beeindrucken – durch Dinge, die man nicht ignorieren konnte.

Sie trainierte ihre Flügel, ihre Atmung, jeden Muskeln in ihrem Körper, aß weniger von dem Fisch, dafür mehr Früchte und Seegras, um die Stromlinienform von ihrem Körper noch weiter zu betonen. Außerdem ölte sie ihr Gefieder mit Fisch- und Kokosnussöl, damit es noch heller glänzte, im Wasser und in der Luft glatter und somit noch etwas aerodynamischer funktionierte, trainierte sie die wagemutigsten Flugmanöver, drehte immer engere Kurven im niedrigen Flug und krachte dabei zahllose Male in Büsche, Baumwipfel, krachte eher unelegant auf die Meeresoberfläche, zerrte sich Muskeln in ihren Schultern und Ellenbogen, verrenkte sich zahllose Male den Rücken, prellte sich ihren Schwanz und verstauchte sich sogar einmal die äußere Zehe ihrer rechten Pfote, als sie bei der schnellen Landung einen Felsbrocken übersehen hatte, daran hängengeblieben und sich die Zehe nach unten umgebogen hatte. In keinem Fall allerdings verriet sie ihrem Vater oder irgendwem sonst, dass sie Schmerzen hatte oder verletzt war – stattdessen versorgte sie sich selbst, schiente die Zehe mit etwas Seegras, fügte sie Giftefeu ihrer Diät hinzu, das für sie zwar leicht giftig und für ihren Magen nahezu unverdaulich war, dessen Gift aber auch eine schmerzstillende Wirkung besaß. Das sie dadurch regelmäßig an Magenkrämpfen litt, akzeptierte sie indes.

Tatsächlich wurde sie von zumindest einigen für ihre Leistungen bewundert, aber eben noch lange nicht allen. Gerade ihre beiden Cousinen empfanden, gemeinsam mit ihren Freundinnen und Freunden, das Gehabe von Luane eher als abgehoben. Das uferte schließlich in einem Wettkampf zwischen den drei Weibchen aus, bei dem es darum ging, so schnell wie möglich so hoch wie möglich zu fliegen, dann umzukehren, ins Wasser abzutauchen und mit einer einzelnen, seltenen Perle zur Insel zurück zu kommen. Die merklich jüngere, aber mittlerweile von der Größe her ebenbürtige und von der Flügelspannweite sogar etwas größere Luane war begeistert von der Herausforderung der beiden Cousinen.

Gewinnen um jeden Preis

In Retrospektive war der Wettkampf einer der größten und schlimmsten Wendepunkte in ihrem Leben. Zwar war Luane ihren beiden Cousinen nicht nur ebenbürtig, sondern gerade im Bereich des Fliegens haushoch überlegen, sie ahnte bis zu diesem Moment aber nicht, dass die beiden mehr vor hatten, als sie einfach nur zu besiegen.

Luane erreichte als Erste die besprochene Flughöhe, machte kehrt und stürzte in rasantem Tempo auf die Wasseroberfläche zu, brach durch diese hindurch und tauchte. Die beiden Schwestern hatten einen Platz im Ozean ausgesucht, der ausgesprochen tief war – wesentlich tiefer als die heimischen Gewässer. Schnell kroch die Kälte in das dünne Gefieder und den mit nahezu gar keinen Fettreserven isolierten Körper, aber sie trieb weiter hinab in die Tiefe, während der Wasserdruck immer heftiger wurde.

Tauchen war die Domäne ihrer beiden Cousinen. Entsprechend holten diese auf und Luane auch beinahe ein. Die Perle, die sie bergen sollte, war bereits in Sichtweite, als Lino sie kurzerhand von hinten packte und ihr einen Flügel auf dem Rücken verdrehte. Dann griff sie mit ihrer anderen Flügelhand nach Luanes Kopf, presste jeweils einen Finger links und rechts an das Gelenk ihres schnabelartigen Mundes, so dass sie diesen öffnen musste und eiskaltes Wasser in ihn hinein drang. Dann kam auch Alia angestürmt, wirbelte herum und trat Luane kurzerhand mit Anlauf in den Bauch.

Sprudelnd schoss die kostbare Atemluft aus Luanes Lungen durch ihren offenen Mund. Atemluft, die normalerweise für fast eine Stunde gereicht hätte, entwich binnen Sekundenbruchteilen. Es dauerte keine zwei Augenblicke, da spürte sie schon die Auswirkungen des schnell eintretenden Sauerstoffmangels – denn entgegen weitläufigen Glaubens können Lugia NICHT unter Wasser atmen, sind aber eben sehr gut darin, den Atem anzuhalten und so lange und ausdauernd unter Wasser zu bleiben, im Zweifelsfall sogar mit den geringen Luftmengen, die durch kleine Luftquellen und Kavernen unter Wasser liegen, für Stunden oder gar Tage getaucht zu bleiben. Nichts davon half ihr aber jetzt und in diesem Moment, sie fühlte, wie ihre Lungen brannten und nach Luft gierten, unterdrückte aber den Reflex, einzuatmen und damit das kalte Meerwasser in ihre Lungen zu saugen. Mit aus Entsetzen geweiteten Augen starrte sie Lino an, deren Blick von Hass und Abscheu gezeichnet war. Ein „Hier unten hilft dir auch kein Schreien mehr, Prinzessin“ schwang mit ihrem Blick mit, während Alia weiter abtauchte, um sich die Perle zu sichern. Nur noch wenige Augenblicke, dann wäre es um Luane geschehen gewesen.

Sie kämpfte und rang – und in einem Akt der Verzweiflung riss sie sich tatsächlich von ihrer Cousine los. Denn keine von beiden wusste, dass Luane aufgrund ihres vielen und intensiven Trainings in Wahrheit DEUTLICH stärker war, als ihre so viel ältere und größere Cousine. Das sie Lino beim Losreißen einen Ellenbogen mitten und so hart in den Brustkorb rammte, dass eine ihrer Rippen einen Knacks bekam, realisierte Luane ebensowenig wie die Tatsache, dass sie sich, als sie endlich frei kam, umwandte, eine große Schwimmbewegung in Richtung Wasseroberfläche machte und dabei mit ihrer linken Pfote mit voller Wucht noch einmal gegen die selbe, gerade angeknackste Rippe trat, die unter der enormen Gewalteinwirkung der um ihr Leben kämpfenden Luane schließlich auch brach. Was dann geschah, war einzig die Schuld des in etlichen hundert Metern tiefe enormen Wasserdrucks.

Die gebrochene Rippe brach nach innen hin weg, hinterließ eine kleine Einbeulung im druckkörperähnlichen Brustkorb der Lugia, der dem Wasserdruck nun aber nicht mehr standhalten konnte. Binnen Sekundenbruchteilen knirschten auch die Rippen links und rechts neben der gebrochenen Rippe, brachen auch diese und vergrößerten so die nach innen gewölbte Beule, Nicht ganz eine Sekunde später brachen auch die übrigen Rippen auf dieser Seite ihres Brustkorbs, quetschte die Gewalt des Wassers ihre Brust mit aller Kraft zusammen, bohrten sich die gesplitterten Rippenknochen durch ihre Lunge und übrigen, wichtigen Organe. Blut schoss zusammen mit Luft durch ihren Hals, als schließlich ihr gesamter Brustkorb wie eine Coladose zerquetscht wurde, die gesamte Luft aus ihrem Körper entwich, ihr Herz zerquetscht und das Leben aus ihr heraus gepresst wurde. Alia, indes, die bis dahin nur die Perle im Auge gehabt hatte, fühlte die Änderung des Wassers, glaubte zuerst, es wäre schließlich um Luane geschehen und stellte dann mit Entsetzen fest, dass es ihre Schwester war, die tot in Richtung Meeresboden sank.

Luane hatte davon nichts mitbekommen, brach im wirklich allerletzten Moment durch die Meeresoberfläche, sog etliche Male tief Luft ein, ehe sie sich in die Lüfte schwang und zurück zur Insel flog, wo sie von dem versuchten Anschlag der beiden Cousinen erzählte.

Alia kehrte einige Minuten später unter Tränen zurück, berichtete davon, dass Luane ihnen aufgelauert und ihre Schwester umgebracht hätte. So stand Aussage gegen Aussage – aber die Sympathie hatte Alia mit ihrer verstorbenen Schwester relativ eindeutig. Und auch wenn Luanes Geschichte mir Sinn ergab – sie wurde ab dem Zeitpunkt gemieden.

Beeindruckende Schönheit

Fast fünfJahre des Außenseiterdaseins zeigten ihre Spuren – Luane vertraute kaum jemandem mehr, hatte sich im Gegenteil einen Rückzugsort einige Dutzend Kilometer entfernt auf einer kleinen Insel eingerichtet, auf der sie die Tage fernab von ihrer Gemeinschaft verbrachte. Und doch kam im Alter von 16 das, was bei allen Lugia kommen musste: Sie erreichte langsam die Geschlechtsreife, ihr Körper erreichte langsam seine endgültige Größe. Die letzten Wachstumsfugen in ihrem Körper schlossen sich, sie wurde langsam erwachsen. Jetzt aber rächten sich die Taten, die sie in ihrer Jugend – um eben nicht als Außenseiterin zu gelten – getan hatte. Denn während sich alle anderen Wachstumsfugen in ihrem Körper problemlos schlossen, alle Muskeln, Bänder, Sehnen und Gelenke ihre endgültige Stärke erlangten, gab es in der falsch zusammengewachsenen Wachstumsfuge in ihrem linken Sprunggelenk Probleme – sie wuchs leicht schief und etwas zu klein zusammen, die eigentlich größer gedachten Bänder fanden keinen Halt in den dafür vorgesehenen Bereichen des Knochens. Unbeeindruckt dessen waren die Muskeln und Sehnen in ihrem linken Bein, das sich im Laufe der Jahre zu ihrem dominanten Bein mit mehr Muskeln und mehr Geschick entwickelt hatte, größer geworden. So kam es für Luane schon sehr überraschend, als sie eines Mittags vom Essen aufstand, für den Abend zurück zu ihrer Art fliegen wollte und ihre linke Pfote, als sie auf dem Strand auf etwas Treibgut trat, einfach wegknickte und ein scharfer, stechender Schmerz durch ihren Knöchel zog. Glücklicherweise war der Schmerz nur von kurzer Dauer, verschwand nach einigen Stunden, führte aber dazu, dass sie im Dunkeln und mitten in einem Unwetter wieder zu Hause ankam, was ihrem Vater mehr als eine Sorgenfalte im Gesicht bescherte.

Ähnliches geschah in den folgenden Wochen immer wieder, blieb aber stets ohne größere Auswirkungen. Wenn sie unter ihrer Art war, folgte sie ihren bisherigen Erfahrungen und verbarg die Probleme, die ihr linkes Bein ihr bereiteten. Was sie hingegen nicht verbergen konnte, war die Tatsache, dass sie nun, ausgewachsen und aufgrund ihres noch immer praktizierten Trainings so athletisch und wohlgeformt war, wie es keine zweite Lugia in etlichen tausend Kilometern Umkreis gab. Das Kokosöl, mit dem sie ihr Gefieder als Einzige von ihrer gesamten Gruppe pflegte, ließ sie im Sonnenlicht wie einen Stern erstrahlen, ließ die Männchen in ihrer Gruppe das Außenseiterdasein von Luane nur zu gern vergessen – so dass sie sehr schnell etliche Verehrer um sich scharte. Allerdings erinnerte Luane sich an die vergangenen Beschimpfungen und Herabwürdigungen nur zu gut, weshalb sie eben jenen eine SEHR kalte Schulter zeigte, sie im Gegenteil genau so feindselig anfuhr, wie sie einst mit ihr umgesprungen waren.

So vergingen die weiteren Jahre, in denen sie sich immer weiter von ihrer Art isolierte. Diejenigen Männchen, die um ihre Hand anhielten wollten, stieß sie mit aller Härte und sehr schroff vor den Kopf, so dass diese schließlich auch, nach etlichen Versuchen, kapitulierten und es dabei beließen. Ihr war das nur Recht – Heuchler wollte sie keine in ihrem Leben, hatte sie schon mehr als genug von ihnen erlebt. Zwar fühlte auch sie den Drang in sich, doch einen Gefährten zu finden, diesen Drang ertränkte sie aber in süßen Früchten, in waghalsigen und beeindruckenden Rennen, befriedigte sie damit, andere zu Wettrennen herauszufordern und diese dann auf ganzer Linie zu blamieren.

Zusammenfassung

In allen Bildern und Geschichten, die bislang von Luane existieren, sieht man ein verwöhntes, ich-zentriertes, arrogantes, selbstsüchtiges und eingebildetes Miststück. Das all dies in Wahrheit lediglich ein Panzer ist, der die seelischen Wunden von ihr schützt, eine Verteidigung, die sie über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut hat, kann man nicht sehen und somit lediglich erahnen. Wirklich SEHEN kann man indes ihre physischen Verletzungen, auf die auch oft der Fokus gelegt wurde – denn genau diese sind es, die ihren Alltag bestimmen. Gerade der immer weiter fortschreitende Verfall ihres linken Knöchels ist hierbei essentiell – denn auch wenn ihr Unglück im Leben genau damit begann, so ist es doch die Tatsache, dass er früher oder später physisch ERZWINGT, dass sie sich öffnen und Hilfe annehmen MUSS, der Auslöser für einen Wendepunkt in ihrem Schicksal. Wenn sie dann schließlich an genau diesem Punkt ankommt wird sich zeigen, welchem Pfad sie folgen wird – und ob sie die Gelegenheit, die sich ihr hierdurch eröffnet, ergreift.

Unabhängig davon gibt es auch so immer wieder Momente, in denen ihr Panzer „durchlässig“ wird, man kurz einen Blick auf das erhascht, wer oder was darunter steckt: Ein kleines, einsames Mädchen, das sich nichts sehnlicher wünscht, als so akzeptiert zu werden, wie sie ist, das gemocht und bewundert werden will. Eben alles, was sie – abseits von ihrem Vater – nie wirklich erfahren hat.

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