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II. Donnerstag

Die Nacht war der Horror. Wieder ist der Ofen viel zu früh aus gegangen, ist die Kälte unter ihre dünne Decke gezogen. Immer wieder ist sie in der Nacht durch heftige Hustenanfälle aufgewacht, konnte nur schwerlich zurück in den Schlaf finden. Immerhin ist heute früh das Wasser schneller warm geworden, schmerzt ihr Knöchel glücklicherweise nicht mehr. Außerdem ist heute Donnerstag – die Lehrlinge bleiben da den ganzen Tag in der Werkstatt und helfen mit. Wobei – EIGENTLICH ist sie selbst noch Lehrling. Zwar mittlerweile im vierten von drei Jahren, weil ihr Chef sie nie zu irgendeiner Prüfung angemeldet hat, aber dafür bekommt sie den selben Hungerlohn wie ein Lehrling im ersten Lehrjahr – 700 Euro.

Nicht viel. Insbesondere, wenn man sieht, was monatlich alles abgezogen wird. Den größten Posten bildet die Tilgung ihrer Schulden – 500 Euro jeden Monat. Und trotzdem wird es noch mindestens zehn, fünfzehn Jahre dauern, bis sie die Schulden abbezahlt hat. Bestenfalls.

Weitere 150 Euro darf sie für diese tolle Behausung mit fließend kaltem Wasser, eisiger Durchlüftung und lediglich einem alten, gusseisernen Ofen, der ihr sowohl als Heizung wie auch Kochstelle dient, abdrücken. Das es hier feucht und modrig riecht, die Beleuchtung noch aus dem letzten Jahrhundert stammt und der ständige Krach…Souterrainwohnung unterhalb der Werkstatt eben, von ihrem Chef ‚netterweise‘ zur Verfügung gestellt. Immerhin hat sie Strom und ein Dach über dem Kopf.

Die übrigen 50 Euro müssen im Monat für alles andere reichen: Essen, Getränke und wenn irgendwann auch mal etwas übrig bleibt auch für dringend benötigte, neue Kleidung.

Seufzend macht sie sich fertig, schlüpft wieder in ihre Arbeitsklamotten und verschwindet aus ihrem Unterschlupf in Richtung Werkstatt. Im Vorbeigehen sieht sie ihr Gesicht nur flüchtig im Spiegel. Dicke Ringe unter ihren Augen zeigen überdeutlich, wie wenig Schlaf sie hatte. Sie seufzt und denkt sich ‚muss ich Sonntag aufholen‘, ehe sie mit dem rostigen, großen Schlüssel abschließt und die Stufen nach oben steigt.

Der Vormittag ist so rau, trubelig und unfreundlich wie immer. Wieder wurde ihr ein „Sonderauftrag“ gegeben: Ein alter Bus, dessen Motor und Getriebe komplett zerlegt und generalüberholt werden müssen. Eine Tagesaufgabe für zwei bis drei Gesellen oder einen Meister und einen Gesellen. Sie darf es allein versuchen. Immerhin ist sie stark, kann die schweren Teile auch allein heben. „Oder wozu seid ihr Humanoiden sonst gut?“ schwingt in der Aussage wie eine stumme Beleidigung mit. Ihren Hinweis auf ihre Beinverletzung, dank der sie nicht schwer heben darf, von der ihr Chef sehr genau weiß und stets demonstriert, wie scheißegal ihm das ist, schluckt sie runter, nickt nur leise und geht dann hustend und schniefend an die Arbeit.

Direkt neben dem Bus arbeiten Dawid und Michael zusammen an einem alten Benz. Ein einfacher Ölwechsel, den Michael eigentlich allein hätte hinbekommen sollen. Aber die beiden

Published inDas Leben von Samira

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