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Kapitel 1 – Die „Akquise“ einer Todesritterin

Eine bedrückende, fast schon beängstigende Stille lag über der Kriegshymnenfestung tief im Norden von Azeroth. Hier, in der Boreanischen Tundra, war sie vor einigen Jahren noch wie ein Fremdkörper inmitten der Ödnis aufgebaut worden, um den Elementen und den Nerubern, die in ihren Höhlen darunter lauerten, zu trotzen. Doch mit den Jahren kam der Verfall und der Frost sowie das raue Wetter taten ihr Übriges, um die einst gewaltige Festung nun so zu formen, wie das Land in Jahrtausenden durch Wind und Wetter seine Form erhalten hatte.
Die Orcs im Inneren verrichteten immer noch ihren Dienst, trieben die Gobllinarbeiter an, Reparaturen an den wichtigsten Stellen durchzuführen und die Festung „bereit“ zu halten. Bereit wofür wusste zwar niemand, doch man erwartete stets ein Wiedererwachen der untoten Diener des Lich-Königs, der vor Jahren auf der Spitze seiner Zitadelle geschlagen und besiegt worden war. Jene Helden, die bei dem Ende des dunklen Königs anwesend waren, verkündeten eine neue Gewalt, die die Geißel im Zaun halten sollte, obwohl die Ghuls, Skelette, Neruber, Vrykul und anderes Gezücht zweifelsohne weiterhin über Nordend fegen und das Land in Tod und Chaos stürzen wollen würden. Tatsächlich brandeten kurz nach dem Sieg über den Lich-König vereinzelte Angriffswellen der Geißel über die Festungen der Horde – und auch die Vorposten der Allianz, so berichteten Späher, waren Ziel der Angriffe gewesen. Aber ihre Schlagkraft war weit geringer, als man hätte denken können. Und ihre Zahl nahm mit den ins Land ziehenden Monden immer mehr ab, bis sie vor etwa zwei Jahren gänzlich versiegte. 
Dann ging Aufruhr durch die Festung. Nicht etwa wegen eines bevorstehenden Angriffs, sondern weil am Horizont die unverkennbare Silhouette eines goblinischen Zeppelins auftauchte. Ein Versorgungsschiff, wie es mittlerweile nur noch alle paar Monde kam. Und dennoch konnte an Bord jenes Versorgungsschiffes auch ein großer Held der Horde, ein ranghoher Offizier oder gar der Kriegshäuptling selbst sein, der sich gegen den komfortablen und direkten Weg mittels Magierportal entschieden und den langen, beschwerlichen Weg mittels Heliumbombe gewählt haben mochte, um eine Überraschungsinspektion zu veranstalten.
So schnell die Peons angetrieben werden konnten sausten Füße durch die Festung, richteten Hordebanner zurecht, wischten über den mit Schmutz verschmierten Boden, räumten die Flaschen billigen Fusels beiseite und legten die Bücher eindeutigen Inhalts in nicht einsehbare Nischen. Gerade noch rechtzeitig zog der Interimskommandant Mugalok den Bauch ein, schob seinen Gürtel in die richtige Position und stellte sich an die Andockplattform, um den möglicherweise wichtigen Gast begrüßen zu dürfen.
Ein Goblin grinste ihn von knapp oberhalb seiner Kniescheibe an. Die feine Lederrüstung, die er trug, war für die in Nordend herrschende Witterung dank ihres dicken Futters genau das Richtige, wirkte aber dennoch so teuer, als könnte man für ihren Gegenwert drei dieser Festungen, in der sie gerade standen, kaufen. Inklusive des nötigen Personals versteht sich. Unverkennbar waren auch die beiden goldenen Schneidezähne des Goblins, die Mugalok anstrahlten. 
„Willkommen in der Kriegshymenfestung in der Boreanischen Tundra. Was verschafft uns die Ehre eures Besuchs?“ spulte Mugalok die eintrainierte Begrüßung ab. Einen Goblin auf diese Art zu begrüßen, war ihm alles andere als angenehm, doch wer weiss – vielleicht war genau das der Trick des Kriegshäuptling, um seine Aufrichtigkeit zu testen. Also verzog er keine Miene und blickte respektvoll auf den kleinen Besucher hinab.
„Ahh, ja, danke. Wie ich sehe genauso heruntergekommen, wie mir meine Kontakte berichtet haben. Nun egal, ich bin auf der Suche nach jemanden und hoffe, dass ihr mir dabei helfen könnt.“ Begann der Goblin, seine Schritte mit wissendem Blick um sich herum die Treppen hinab und in die Festung leitend.
„Wenn ihr eine Erfrischung sucht, so werdet ihr in der unteren Ebene bei unserem Gastwirt sicher fü…“ fuhr Mugalok mit seinen Standardtexten fort. Doch der Goblin unterbrach ihn unmittelbar.
„Es geht mir nicht um euren Fusel. Das Zeug bekommt eh keiner mit mehr als drei Hirnzellen runter, ohne bleibende Schäden davon zu tragen. Ich suche eine bestimmte Taurin.“
Mugalok stockte. „Wir haben einige Gäste unten. Tauren und Taunka. Vielleicht findet ihr bei diesen…“
„Unwahrscheinlich. Es sei denn eine dieser Damen ist zufälligerweise eine Todesritterin.“
Die Augen von Mugalok weiteten sich. Todesritter, die Elite der Geißel. Einige von ihnen hatten die Treue des Lich-Königs verlassen und sich der Horde und der Allianz angeschlossen. Jene Todesritter, auch bekannt als die „Ritter der schwarzen Klinge“, waren essentieller Bestandteil der Front gegen die Geißel und hatten einen wichtigen Anteil am Sieg gegen Arthas gehabt. Gerüchten zufolge soll es gar eben so eine Taurin gewesen sein, wie dieser Goblinbesucher gerade beschrieb, die dem Lich-König zusammen mit dem Paladin Tirion Fordring den Todesstoß verpasst und die übrigen Streiter damit gerettet hatte. Aber nach dem Ende des Lich-Königs waren Ritter der schwarzen Klinge in alle Himmelsrichtungen verstreut worden, hatten die kalten Weiten Eiskrones verlassen, um ihr Schicksal zu suchen und neue Aufgaben zu finden. Mugalok selbst hatte überhaupt nur einmal einen Todesritter gesehen – einen Troll, um genau zu sein – und dessen Anwesenheit bis tief in seine Knochen gespürt. So intensiv war die Kälte gewesen, die von jenem schlaksig-dürren Wesen ausging.
„Es tut mir leid, aber so jemanden werdet ihr hier nicht mehr finden. Und die Attacken der Geißel sind seit über zwei Jahren verebbt. Anhänger der Geißel findet ihr sicher nur noch tief in Eiskrone.“
Der Goblin nickte zufrieden ob dieser Information. „Eiskrone also. Nun gut, dann werde ich mich einmal in dieser Gegend umsehen. Vielen Dank Dicker. Bis später dann.“ Tönte der Goblin, pfiff einmal schrill durch seine Finger und blickte in Richtung des Zeppelins. Dieser begann schlagartig zu Zucken und sich zu schütteln. Dann brach ein anderer Goblin auf einer riesigen, rundlichen und blank polierten Rakete reitend durch das Deck des Zeppelins, steuerte das massive Projektil zielsicher auf den pfeifenden Goblin zu und brachte es schließlich genau vor ihm zum Stehen.
„Eure Rakete, Meister Kweezil. Viel Erfolg bei der Jagd.“
„Danke Ziz.“ Antwortete Kweezil, wie der Goblin offensichtlich hieß, griff in seine Gürteltasche und brachte eine Goldmünze hervor, die er geübt zu der Goblindame herüber schnippte, während er das Gefährt bestieg. Dann tippte er auf die Armaturen vor sich herum.
Ziel: Eiskrone.
Mit einem weiteren Rauschen donnerte die Rakete los, brach dabei durch eine der dünnen Außenwände der Festung und schoss hinaus in die Kälte.

Das Kolosseum der Kreuzfahrer war einst ein ehrfurchtgebietender Bau. Obwohl er inmitten der Schlachten gegen die Geißel errichtet worden war, thronte dieser Schauplatz eines Turiners zur Auswahl der besten und stärksten Champions zum Kampf gegen den Lich-König direkt und unmittelbar unter dessen Augen, spottete auf dessen Schrecken und wirkte dank der vielen Kämpfer, die nahe der großen Arena in den Zelten und der Kapelle hausten, wie ein sicherer Hafen inmitten des sicheren Todes. Doch ebenso wie alle Festungen in Nordend war es auch der Turnierplatz der Argentumdämmerung, der mit dem Ende des Lich-Königs geräumt und von nahezu allen Kräften verlassen worden war. Die Geißel spürte diese Schwäche und war in großen Scharen darüber hergefallen, um diesen Fremdkörper aus ihrer Mitte zu tilgen und damit das schwache Licht der Hoffnung zum Erlöschen zu bringen. Zelte waren abgebrannt, Mauern eingerissen und Holzbalken zerschlagen worden. Am Ende blieb somit nur noch ein Haufen Geröll und Asche. Lediglich an der Stelle, an der sich die Kapelle befunden hatte, war die Geißel nicht ganz so vollständig gewesen. Zwar lag der Altar in der Mitte gespalten umgeben von rußgeschwärztem Holz, waren die Bänke kaputt und die Zeltplanen, die einst das stolze Dach bildeten, zerrissen oder verbrannt, aber man konnte noch die genauen Umrisse der Kapelle erkennen. Und auch der Boden war noch, von der dunkleren Färbung abgesehen, weitestgehend intakt.
Eine große, dunkle und gänzlich mit Runen verzierte Zweihandaxt steckte vor dem Eingang der Kapelle in tiefes Eis geschlagen. Von dort führten Spuren aus Schnee und Schmutz ins Innere der Kapelle und direkt vor den Altar. Dort kniete, ein völlig verrußtes und teilweise verbranntes Gebetbuch in der einen, eine Feder in der anderen Hand haltend, eine Taurin. Ihre Augen g

Published inFrostfeuer

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