Erneut näherte sich die Sonnenscheibe bedrohlich nahe dem Horizont von Azeroth, hüllte den Himmel in ein Farbspiel zwischen Dunkelblau und kräftigem Rot. Und obwohl die Strecke vom südlichsten Zipfel des Tals der vier Winde zum Tal der Blüten hin wahrlich keine kurze war, der massige Körper des Mantis und seine entsprechend gewaltigen Flügel mit der Extralast der Todesritterin und des Schurken sichtliche Mühe hatten, kam ihr Ziel mit jedem Flügelschlag näher.
Unter ihnen breitete sich die goldenen Wiesen und saftig-gelblichen Bäume des Tals der Blüten aus, strahlten auch aus dieser Höhe eine sehr eigene, aber durchweg bezaubernde Schönheit aus, die nur von den zahllosen Löchern, Gräben und frischen Baumstümpfen, die das Tal durchzogen, als wären wildgewordene Maulwürfe eingefallen. Allerdings, und das fiel ausgerechnet Kweezil sofort auf, waren diese Maulwürfe ziemlich genau von seiner Statur und gingen mit hochmodernem, technischen Gerät zur Sache.
„Wonach buddeln die denn da unten?“ fragte er sich, sprach diese Frage allerdings so laut aus, dass man es trotz der Windgeräusche und dem hochfrequenten Flattern der Flügel des Mantis verstehen konnte. Und dieser ließ es sich auch nicht nehmen, Kweezil zu antworten.
„Sie sind auf der Suche nach dem Meister.“ Schwärmte der Mantis nahezu schwärmend und mit ungewöhnlich ruhiger, freundlicher Stimme. Deutlich merkte man ihm die Begeisterung an, die er bei dem bloßen Gedanken an diesen ‚Meister‘ empfinden musste.
„Und den findet ihr im Dreck unter dem Gras?“ meinte Kweezil irritiert. „Oder sind die Erze dort euer Meister? Ein vergrabener Schatz vielleicht? Eine Truhe mit…“
„NEIN!“ fuhr der Mantis dazwischen. „Der große Meister aus einer fernen Vergangenheit. Mächtiges Wesen, dem alle Mantis dienen werden. Er wird uns zum Sieg führen. Die Welt wird wieder uns gehören!“
„Er ist einmal gescheitert. Er wird wieder scheitern.“ Kommentierte Xelestra, den Blick nicht vom Boden und der näheren Umgebung nehmend. Zwar war es einige Jahre her, seit sie ihre Schwester das letzte Mal gesehen hatte, jedoch war sie sich absolut sicher, diese zu erkennen, wenn sie diese erspähen sollte. Entsprechend genau behielt sie das Tal genau im Auge, wenngleich es noch ein gutes Stück bis zum Schrein war.
„Das letzte Mal kämpften die großen Wesen. Sie besiegten den Meister, sperrten ihn ein.“
„Die Titanen.“ Erklärte Xelestra so beiläufig, dass Kweezil nur fragend starren konnte.
„Archivum. Ehe du fragst.“ Fügte sie hinzu, diesmal allerdings nur so leise, dass lediglich Kweezil es mitbekam. Entsprechend plapperte der Mantis weiterhin schwärmend weiter.
„Ja. Aber sie sind fern und der Meister ist stark. Er wird uns Mantis führen, uns einen und wir werden mit seinem Segen erst Pandaria von den fetten Pandaren zurückerobern und schließlich ganz Azeroth unterjochen.“
Mit diesen Worten ging ein Ruck durch den Mantis, wurde sein Flügelschlag heftiger und er beschleunigte den Flug schlagartig, deutete mit einem seiner Arme nach vorn.
„Dort. Ein Atem des Meisters. Preiset den großen Propheten und seine Macht!“ stieß der Mantis mit frenetischem Jubel aus, während er vorwärts schnellte.
Kweezil und Xelestra starrten beide in die Ferne, erblickten ein riesiges, unförmiges und gänzlich schwarzes Monster, das scheinbar aus dem Boden gewachsen war und mit messerscharfen Pranken um sich schlug, während vom Boden aus unzählige kleine Gestalten auf das Ungetüm einschlugen. Zur Beruhigung der beiden Mitreisenden flog der Mantis derart schnell, verlor an Höhe und blieb nun auf Augenhöhe mit dem Monstrum, so dass sie diese kleinen Gestalten sehr schnell Form annahmen und erkennbar wurden.
Einige Orcs, wenige Blutelfen, dafür zahllose Tauren, denen eines gemein war: Sie alle trugen goldene Schultern und rote Umhänge, stemmten sich von allen am Stärksten gegen das Monstrum, während vor allem die Orcs eher im Hintergrund blieben und scheinbar abwarteten, was als Nächstes geschah.
Sonnenläufer. Von ihnen hatte Xelestra nur wenig gehört und noch weniger gelesen. Angeblich waren sie ein uralter Orden innerhalb der Gesellschaft der Tauren, die in den letzten Jahrzehnten in Vergessenheit geraten waren. Gold und Rot waren ihre Farben – und nicht viele Tauren wählten diese für die Erdenmutter eher untypische Farbkombination. Eine derart große Zahl in gleichartigen Gewändern…
Xelestras Gedanken stockten, als sie einen genaueren Blick auf das Schlachtfeld knapp vor und unter ihnen erhaschen konnte. Dort, inmitten der ganzen Tauren und an vorderster Front, stand eine junge, vielleicht vierzehnjährige Taurin, schwang ein für ihre Körpergröße beachtliches Zweihandschwert gegen die Bestie und zog damit ihre Aufmerksamkeit auf sich. Dann, für einen kurzen Augenblick, in dem das Monster ausholte und zum Schlag ansetzte, die Taurin beiseite sprang und sich um Matsch flink abrollte und nach oben in Richtung des nächsten Angriffs schaute, trafen sich die Blicke der Todesritterin und der jungen Taurin. Überdeutlich erkannte sie die kastanienbraunen Augen, deren leichter, goldener Schimmer sowohl ihren Namen, als auch ihre spätere Berufung vorweg genommen hatte.
Nikariu – Taur-ahe für „die Strahlende“, da sie bereits bei ihrer Geburt von einer besonderen Aura umgeben war.
Ihre Schwester.
„Dort!“ rief Xelestra und erhob sich auf dem Rücken des Mantis, deutete nach unten. Dann griff sie ihre Axt, schob sich an Kweezil vorbei, stieß sich mit aller Kraft zu einem Sprung in Richtung des Monstrums ab, bereit, ihre Axt in den Leib zu rammen und dem Monstrum ein schnelles Ende zu machen. Doch mitten in der Bewegung endete ihr Sturz nach unten, schwebte sie stattdessen kopfüber in der Luft. Wütend starrte sie an sich herab, erblickte eine der Hände des Mantis, die um ihr rechtes Bein geschlossen war und sie kopfüber in der Luft festhielt.
„Nein! Du wirst dem Propheten nichts tun!“ schnaubte er klickernd, den Griff um ihr Bein festigend.
„Lass los!“ brüllte Xelestra ihrerseits, zog ihr rechtes Bein an und rammte die dornbesetzten Eisen mit aller Kraft gegen den Kopf des Mantis, riss tiefe Wunden in das weiche Fleisch rings um die Facettenaugen. Doch statt den Griff zu lockern, packte er nur noch stärker zu, presste so heftig, dass sich das Metall knapp oberhalb ihres Hufes zu verformen begann und gegen ihr Bein gepresst wurde.
„Ihr Weichhäute werdet vor dem Meister fallen wie Ären im Wi…“
Mitten im Satz brach der Mantis ab, fiel sein Kiefer kraftlos nach unten und löste sich der Griff um Xelestras Bein, woraufhin sie schließlich und endlich nach unten stürzte. Erst auf den zweiten Blick sah sie oben, auf dem Rücken des Mantis, wie Kweezil die Hand um den Griff des Dolches gelegt hatte, der noch immer im Nacken des Ungetüms gesteckt hatte, diesen offensichtlich mit aller Kraft hinein gerammt und dem Monster somit den Todesstoß verpasst hatte. Und sie sah, wie die Flügel des Mantis wild und unkoordiniert herumflatterten, der Riese zu trudeln begann und dann ebenfalls in Richtung Boden stürzte. Doch statt den Absturz zu beobachten wandte sie sich lieber um, schwang ihre Axt und stieß vorwärts in Richtung der riesigen, schwarzen Abnormität.
Ein heftiger Schlag ging durch ihre Axt, als die Klinge auf die schwarze, waberige Masse traf und tief eindrang, darunter ein lilanes Fleisch zum Vorschein brachte, das von schwarzem Blut durchströmt würde. Den Ruck so gut sie konnte abfangend wirbelte Xelestra einmal um ihre Achse, rammte dann die Eisen ihrer beiden Hufe in die Flanke des Monstrums und zog an ihrer Axt, um diese ein Stück weiter unten erneut in das Monstrum zu rammen.
Ein wütendes, markerschütterndes Brüllen durchfuhr ihren Körper, ließ ihr Fell am ganzen Körper die Haare sträuben, als die Klinge ein zweites Mal tief in das Fleisch schnitt, dieses Mal das erwischte, was wohl der Bauch des schwarzen Ungetüms war. Erneut schwang sich Xelestra am Griff ihrer Axt, vollführte eine weitere Drehung und sah nur noch aus den Augenwinkeln, wie eine riesige, schwarze Pranke auf sie zu raste, um ihr den Kopf abzureißen. Instinktiv riss sie ihren
Kapitel 10 – Verrat
Published inFrostfeuer

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