„An’She, große Jägerin.
Du spendest uns Wärme und vertreibst die Finsternis in allen Ländern und Herzen.
Dein Licht leitet uns auf unseren Pfaden und schenkt uns das Glück der erfolgreichen Jagd.
Und obgleich deine Jagd auf Mu’Sha nicht enden mag, beginnst du sie mit jedem Tag erneut.
Schenke uns deine Weisheit, deine Ausdauer und deine Beharrlichkeit, dem Dunkel entgegen zu treten.
Denn wir sind die Diener, die der Dunkelheit entgegen treten, tragen das Licht in unseren Herzen und unseren Seelen.
Po owachi An’She, po Nokee.“ Sprach Dezco vor den versammelten Sonnenläufern, die sich auf der Terrasse vor dem Schrein in mehreren Halbkreisen um ihn herum auf den Boden gesetzt hatten und ihre Augen geschlossen hielten, während sie ihre Gesichter gen Himmel und zur Sonne gedreht hielten.
„Owachi An’She, po Nokee.“ Erwiderten die Tauren ihrerseits den Dankesruf ihres Anführers, öffneten dann die Augen und blickten auf Dezco, der ihnen zunickte und schließlich selbst Platz nahm, ein Bündel aus seiner Tasche griff, es vor sich ablegte, öffnete und den Inhalt auf dem nun ausgebreiteten Tuch ausbreitete. Einige Scheiben Brot, ein Klumpen Käse und eine mit einem dunkelroten Saft gefüllte, tonmäßig aussehende Flasche waren die einzigen Dinge, die zum Vorschein kamen.
Auch die anderen Sonnenläufer taten es ihm gleich, packten kleine Bündel aus, die sie vor sich entpackten und Ähnliches auf ihren Tüchern ausbreiteten. Nur wenige hatten zusätzlich noch ein Stück Obst dabei – zumeist Äpfel, Birnen oder einige Trauben. Dann griffen sie zu und begannen ihr gemeinsames Frühstück.
Die Sonnenläufer legten großen Wert auf diese kleinen Rituale, die sie mit An’She, der Sonnengöttin, dem Auge der Erdenmutter, und natürlich ihren Clankollegen verband. Auf diese Weise fühlten sie sich selbst auf Reisen und in fremden Ländern in gewisser Weise heimisch. Bemerkenswert war aber auch, dass während dieser Mahlzeit einzig das gemeinsame Gebet gesprochen wurde und ansonsten relative Ruhe herrschte. Kein Geflüster, keine Unterhaltungen und kein Austausch von Rezepten, Erfahrungen oder Ähnlichem störte dieses stille, bedächtige Ritual.
Xelestra stand deutlich abseits vom Ritual, lehnte an einem der Torbögen, die in den Schrein hinein führten, während sich Kweezil im Inneren am reichlichen Angebot an möglichen Frühstücksleckereien der Pandaren gütlich tat. Sowohl er als auch Nikariu hatten ihr angeboten, beim jeweiligen Frühstück teilzunehmen – auch wenn klar gewesen sein mochte, dass eine gänzlich schwarze Taurin, die zudem als Todesritter das krasse Gegenteil von dem verkörperte, woran die Sonnenläufer glaubten, inmitten von Dutzenden Paladinen mehr als nur ein seltsamer Gast gewesen wäre. Doch das war nicht der Grund, weshalb sie abgelehnt hatte. Schließlich hätte es sie dazu interessieren müssen, was die Paladine über sie dachten – und das tat es nicht im Geringsten. Viel mehr war es noch das letzte verbliebene Quentchen Stolz in ihr, das ihr verbot, trotz der von ihr deutlich gespürten Schwäche, irgendwie für andere sichtbar Nahrung zu sich zu nehmen und dabei ihre noch lebendige Hälfte zu zeigen.
Das sie überhaupt eine lebendige Hälfte besaß, wusste sie erst seit jenem Ereignis vor einigen Jahren, als es der Druidin gelang, die Wunden der Todesritterin mit Hilfe ihrer Heilmagie zu verschließen. Ein Umstand, der bei einem toten Lebewesen nicht hätte passieren dürfen. Dieser Umstand – die Tatsache, dass ihre Wunden tatsächlich heilten, auch wenn jegliche Heilungsmagie ihre eigene Kraft im ersten Moment zu schwächen schien – und die Tatsache, dass sie selbst dann noch nicht vom Angesicht Azeroths verschwunden war, nachdem der Lich-König sie ihrer unheiligen Kräfte beraubt hatte, bewies die Theorie der Druidin nur umso deutlicher.
Die unheiligen Kräfte des Lich-Königs, die entweihenden Energien der Geißel auf der einen Seite, die strenge, beharrliche Lebensenergie eines jeden Lebewesens auf der anderen Seite ihrer Existenz, beide Energien sowohl in Symbiose als auch ständigem Widerspruch zueinander, eingeschlossen in ihrem Körper, beide untrennbarer Teil von ihr, die voneinander zehrten und doch gegenseitig am Leben hielten. Und im Augenblick war es ihre lebendige Hälfte, die sich nach der Energie sehnte, die ihr ihre unheilige Hälfte zur Heilung ihrer Wunden geraubt hatte. Entsprechend spürte sie ein Gefühl, dem „Hunger“ noch am Nächsten kam. Und doch verweigerte sie ihrem Körper diesen Nachschub, auch wenn er noch so sehr danach gierte und die Gerüche, die aus dem Inneren des Schreins an ihre Nüstern drangen, das Verlangen nach Nahrung immer heftiger werden ließen.
„Hast du Hunger, Schätzchen?“ fragte mit einem Mal eine brummige Stimme hinter ihr. Überrascht, aber dennoch bemerkenswert ruhig wandte sie sich um, blickte in das breite, freundlich drein schauende Gesicht einer alten Pandarendame. Das sie zweifelsohne den Zenit ihres Lebens schon lange hinter sich gelassen hatte, sah man ihr an dem ergrauten Fell und den weißen Strähnen in ihrer Frisur an. Außerdem wirkte sie – selbst für die Maßstäbe eines Pandaren – füllig und auf eine gewisse Weise gutmütig und ihre Augen, auch wenn sie den Glanz der Jugend bereits verloren hatten, wissend und freundlich.
Xelestra hatte sie als jene, die den Besuchern und Reisenden Proviant verkaufte und für das leibliche Wohl der Bewohner verantwortlich war, bereits am frühen Morgen wahrgenommen. Allerdings stand sie nun abseits ihrer Theke und der Kochnische, in der sie noch bis eben das Frühstück zubereitet hatte, hielt ein altertümliches Holztablett vor sich, auf dem ein noch dampfender Laib Brot, ein Krug voll mit Honigminztee und ein großes Stück Braten feinsäuberlich auf einem Gedeck bereitet worden waren.
Die Todesritterin zögerte einen kurzen Augenblick, ehe sie sich abwandt. „Ich benötige kein Essen.“
„Jaja, das sagen sie alle, die jungen Dinger.“ Entgegnete die Pandarin, setzte das Tablett auf einem kleinen Beistelltisch neben dem Eingang ab und gab der Todesritterin einen leichten Knuff in die Seite. Wieder wandte sich Xelestra zu der alten Dame, unterdrückte dabei den natürlichen Reflex, auf eine derartige Berührung einen Fausthieb als Antwort folgen zu lassen und blickte erneut in das entwaffnend freundliche Gesicht der alten Pandaren.
„Ich habe doch das Knurren deines Magens bis hinüber zu meiner Theke gehört. Also keine falsche Scheu.“
Erneut wollte Xelestra etwas entgegnen, doch die Pandarin tätschelte nur sanft die zur Ablehnung nach vorn gehobene Hand der Todesritterin, wandte sich dann um und ging zurück in ihre Kochnische, schnitt so jegliche aufkeimende Diskussion bereits im Entstehen ab und widmete sich wieder ihrem Ofen. Zurück blieb nur das Tablett mit dem so verlockend riechenden Essen darauf.
Beinahe strafend schienen sie der Braten und das Brot anzustarren, danach zu verlangen, dass sie danach griff und sie dem zuführte, wozu sie eigentlich da waren. Und auch mit ihrer lebenden Hälfte rang sie, kämpfte innerlich gegen das Verlangen, einfach zuzugreifen und so den Hunger zum Schweigen zu bringen.
Dann griff sie schließlich mit einer ruckartigen Bewegung nach dem Laib Brot, riss es vom Tablett herunter und biß hinein, ehe sie überhaupt selbst begriff, was sie gerade getan hatte.
Das Brot war in der Tat gerade erst frisch aus dem Ofen gekommen und hätte ihr wahrscheinlich hervorragend geschmeckt, wenn sie denn mehr als nur rudimentäre Geschmacksnerven besessen hätte. So hingegen gab sie sich nur der Gier hin, schlang das Brot mit widernatülichem Appetit herunter, schlang mehr, als dass sie tatsächlick kaute. Binnen weniger Augenblicke war das Brot so vollends verschlungen, woraufhin sie auch nach dem Braten griff und diesen ebenfalls mit einem einzigen, großen Bissen herunter schlang.
Eine gute halbe Stunde war vergangen, seit die Sonnenläufer ihr Morgengebet begonnen und mit dem gemeinsamen Frühstück beendet hatten. Jetzt aber, da das Frühstück beendet war, ergriff erneut Dezco das Wort, erhob sich und schritt näher an
Kapitel 13 – Die Schwester des Hexenmeisters
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