Schwindel hatte sie erfasst, umschlang sie und ließ ihre Sinne Karussell fahren, als sie mit einem Mal in einer fremden, ihnen unbekannten Welt auftauchten. Doch – war das hier überhaupt eine Welt? Festen Boden gab es scheinbar nicht und der Himmel sowie alles um sie herum veränderte ständig Farbe und Form, zerfaserte in feinen Nebel, nahm dann wieder feste Form an. Einzelne inselartige Felsbrocken drifteten umher, wurden von Wesen umkreist, deren bloßer Anblick Kweezils Gesichtsfarbe aschfahl werden ließ. Denn jetzt begriff er, wo sie waren.
Der wirbelnde Nether.
Eine Zwischenwelt, in der die Dämonen und die finstersten Kräfte, die er sich nur ausmalen konnte, heimisch waren. Ein Ort des Todes und der Verdammnis. Und genau in dem Moment, da er es laut aussprechen wollte, hatten ihn die Augen der Dämonen bereits erfasst, begannen große, pechschwarze Flügel die nicht vorhandene Luft davon zu schlagen und die massigen, unförmigen Körper in Richtung jener drei, die so ganz und gar nicht hierher gehörten, zu tragen.
„Hab ich euch!“ piepste eine schrille Stimme direkt neben Kweezil, der in ihre Richtung blickte und in die mit grünem Feuer gefüllten Augenhöhlen eines Teufelswichtels blickte, der nur geringfügig kleiner als er selbst war. Gerade noch wollte er nach seinen Waffen greifen, da hatte der Wichtel ihn schon mit einer Hand an der Stirn gepackt, griff mit der anderen die beiden Tauren an ihrer Mähne, während die übrigen Dämonen nur noch zwei Flügelschläge von der Gruppe entfernt waren.
Wieder verging die Existenz der drei in Flammen, verzehrte grünes Feuer ihre Körper und riss sie damit schlagartig aus dem Nether heraus, ehe sie ebenso schlagartig an anderer Stelle wieder aufschlugen.
Regen plätscherte auf das saftige Gras, in dem sie nun offenbar lagen. Wie lange sie unterwegs gewesen waren, wo sie dieser Wichtel und das Feuer hingeführt hatte – sie wussten keine Antworten auf diese Fragen. Und nur zu gerne hätten sie den Wichtel höchst selbst gefragt, doch sowohl Kweezil als auch Nikariu spürten die Spuren, die diese Art der Reise an ihnen hinterlassen hatte. Ihnen kam es so vor, als wäre ihr gesamter Körper von einer unbeschreiblich großen Anstrengung erschlafft und in sich zusammen gesunken. Selbst das Atmen schien ihnen in den ersten Momenten schwer zu fallen, was sich jedoch glücklicherweise binnen weniger Atemzüge wieder legte. Diese Zeit jedoch reichte für den kleinen Wichtel, um seinerseits von den dreien weg zu laufen und in ein Zelt zu stürmen, das ein wenig abseits von den dreien mitten in der Wiese stand.
„Ich denke nicht, das ich nach Orgrimmar gehen und mitkämpfen werde.“ Sagte Vadarassar mit ruhiger Stimme, hob dabei die Tasse Tee in seiner Hand und nahm einen kräftigen Schluck, ehe er wieder zu seinem Gast blickte.
Braline Donnerhuf. Eine zierliche, ernst drein blickende Taurendruidin, deren Robe mit einem feinen Blätterkleid bewachsen war und jedem so bereits von Weitem lautstark das Wort „Druide“ in den Verstand brüllte. Freunde nannten sie aufgrund ihres kastanienbraunen Fells schon früh Braunpelz. Und auch wenn ein Hexenmeister der wahrscheinlich widernatürlichste und unwahrscheinlichste Freund einer Druidin sein konnte, so war sie doch einer der ältesten und geschätztesten Freunde, die Vadarassar sich vorstellen konnte. Sie wiederum vertrat interessanterweise eben genau diese Ansicht ebenfalls, hatte sich trotz des aktuellen Kriegszustandes von Donnerfels hierher aufgemacht, um den Hexenmeister um Unterstützung zu bitten.
Mit einem tiefen Seufzen stellte sie die Tasse ab und ließ den Leerwandler, der vorher gänzlich bewegungs- und geräuschlos neben ihnen gestanden hatte, frischen Tee hinzu gießen.
„Ganz Mulgore macht mobil gegen Garrosh. Hamuul und die anderen Erzdruiden sind noch immer am Hyjal und helfen dabei, Nordrassil und seine Sprösslinge zu pflegen und zu beschützen – ich bin damit die ranghöchste Druidin und soll den Rest der Druiden…“
Sie atmete einige Male tief ein und aus, bliickte den Hexenmeister dann mit großen Augen an. „Selbst wenn die Unterstüztung der Blutelfen und Untoten rechtzeitig ankommt oder die Allianz….es wird ein Gemetzel werden. Wir brauchen jede Hand, jeden Magier, jede Hilfe, die wir bekommen können.“
„Ich werde mitkommen.“ Sagte Kyzaria, die über einem Buch versunken gewesen war und nun zur Druidin aufblickte. Im gleichen Atemzug schloss sie das Buch, legte es auf den Arbeitstisch des Hexenmeisters zurück.
„Garrosh folgt den Taten seiner Vorfahren. Jener Vorfahren, für die ich mich schon früher geschämt habe. Doch dieses Mal werde ich es nicht sein, die ins Exil geht.“ Dann sah sie hinüber zu Vadarassar.
„Was hält dich zurück, Bruder? Hast du Angst davor, ein paar alte Freunde ins Jenseits zu schicken?“
Erneut seufzte der Hexenmeister, lehnte sich in seinem Sitz zurück und schloss die Augen. Zu gerne hätte er jetzt die Dinge ausgesprochen, die ihm durch den Kopf gingen. Dinge wie die zahllosen Schlachten, die er bereits gegen so viele Bedrohungen Azeroths gefochten hatte, die Siege und die knappen Niederlagen, das Leid und der Tod geschätzter Freunde, denen auch die besten Heiler nicht mehr helfen konnten. Doch vor allem – und diesen Umstand hielt er besonders tief in seinem Inneren verschlossen – hatte er während seiner unzähligen Schlagen gesehen, was mit anderen Hexenmeistern mit der Zeit passierte, wenn diese zu oft, zu lange und zu stark Energien aus dem Nether kanalisierten und auf ihre Gegner warfen. Er hatte gesehen, wie diese mit der Zeit selbst zu Dämonen wurden, ihre Macht ins Unermessliche stieg, ehe sie ob dieser Macht entweder wahnsinnig wurden, sich gegen ihre eigenen Freunde wandten oder der Nether und die Energien, mit denen sie um sich warfen, sie einfach aufzehrte, bis nur noch ein Häufchen Asche übrig blieb. Auch ihn würde so ein Schicksal ereilen, wenn er die dämonischen Kräfte zu häufig und zu stark anrief und sie gegen seine Feinde einsetzte. Doch er war noch wach, seiner Macht noch bewusst genug, um zu erkennen, dass er da mit seinem eigenen Leben spielte.
„Ich habe genug Leid erlebt. Da muss ich nicht…“
„MEISTER! SIE SIND WIEDER DA!“ kreischte die schrille Stimme des Wichtels durch das gesamte Zelt, riss die Aufmerksamkeit von drei Augenpaaren geradezu an sich, während die kleine, in grünes Feuer getauchte Gestalt wild herum hüpfte.
„….später!“ endete Vadarassar und sprang von seinem Sitz auf, stürmte zum Eingang seines Zelts und hinaus.
Draußen angekommen weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Er erblickte Xelestra, die auf der Seite lag und der eine mächtige Axt tief in ihrem Rücken steckte, Nikariu, die von der Todesritterin scheinbar umarmt wurde und sich gerade mühsam aufzurappeln versuchte und schließlich noch den Goblin namens Kweezil, der seinerseits den Hexenmeister erblickte und mit leicht wankender Bewegung auf ihn zu stürmte. Doch der Hexenmeister ließ den Goblin einfach stehen, lief stattdessen zu den beiden Tauren.
„Niki – bist du in Ordnung?“
Die Paladina nickte langsam, hielt sich aber ihren linken Arm und verzog das Gesicht, kniff ein Auge zu. „Ja….ja, ich bin okay. Aber sie…“
„Ich kümmere mich um sie.“ Beschwichtigte Braunpelz, die hinter Vadarassar her gestürmt war und nun neben der Todesritterin auf ein Knie sank. Vorsichtig ließ sie ihre Finger über den Körper der Taurin wandern, schloss dabei die Augen und konzentrierte sich auf die Lebensenergien, die jeder Druide instinktiv in allen Lebewesen spüren konnte.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann trat sie einen Schritt von der Todesritterin zurück, blickte zuerst Nikariu, dann den Hexenmeister an. Ihr Blick war finster.
„Sie stirbt.“
„WAS? NEIN!“ brüllte Nikariu, der gerade noch von Vadarassar auf geholfen wurde und den sie nun mit ihrem rechten Arm entschlossen zur Seite stieß, die Druidin böse ansah.
„Kannst du denn nichts tun?“ fragte seinerseits Vadarassar besorgt. Doch die Druidin schüttelte langsam den Kopf.
„Sie hat zu viele schwere Wunden. Ihre Lebensenergien verblassen schneller als ich sie wieder stärken kann. Wenn sie zu schwach werden….“
„Was dann?!“ rief erneut die junge Paladina. „Was passiert dann?“
„Dann wird ihre restliche Lebenskraft von den unheiligen Mächten in ihr übermannt und gänzlich aufgezehrt. Übrig bleiben nur noch unheilige Energien. Wie in einem Ghul.“ Erklärte Vadarassar der jungen Paladina die aussichtslose Lage. Doch die schüttelte nur den Kopf, blickte dann entschlossen zu der Orcmagierin, die sich gerade ein heftiges Wortgefecht mit dem Goblin lieferte. Offenbar verlangte er lautstark, endlich bezahlt zu werden.
„Heilige Energien könnten sie retten. Heilige Energien von An’She. Mein Orden kann ihr sicher helfen.“ Rief sie laut. Doch erneut schüttelte Braunpelz den Kopf.
„Die Sonnenläufer sind fast alle bereits in Richtung Klingenhügel aufgebrochen. Und selbst wenn du noch jemadnen finden würdest und dieser sogar helfen wollen würde – es ist zu spät. Ihr bleiben nur noch wenige Stunden. Wenn überhaupt.“
Nikariu schloss die Augen, wischte sich mit der rechten Hand die Tränen, die langsam an ihren Wangen hinab flossen ab, schritt dann näher an Braunpelz heran. Erst jetzt, da sie voreinander standen erkannte man den Größen- und Altersunterschied wirklich deutlich. Sicher, Braunpelz war für Taurenverhältnisse klein und zierlich gewachsen. Doch Nikariu war noch kleiner, blickte aber aus wesentlich reiferen, leuchtenden Augen zu der Druidin hinauf.
„Sie hat mein Leben gerettet. Zweimal. Bitte – es muss doch einen Weg geben.“
Einige Augenblicke erwiderte die Druidin den Blick der jungen Paladina vor sich. Und ja, sie wusste nur zu gut um die Bedeutung der Todesritterin für die Paladina. Mehr noch, als diese sich selbst bewusst sein mochte. Doch sie wusste auch, dass das Unterfangen aussichtlos war. Die Chancen waren quasi nicht vorhanden und selbst wenn sie Erfolg haben mochte und jemanden von ihrem Orden mitbringen würde, wäre es immer noch riskant.
Dann aber seufzte sie, sank erneut auf die Knie neben Xelestra, strich über die Klinge der Axt, die tief in ihren Rücken eingedrungen war. Vorsichtig umschlossen ihre Hände den Griff der Axt, versuchte sie die massive Klinge vorsichtig aus dem Leib der Todesritterin zu ziehen. Doch zu ihrem Ärger war die Axt schlicht zu schwer, als dass sie diese auch nur einen Millimeter hätte bewegen können.
„Warte, ich helfe dir.“ Rief Nikariu, schritt um die Druidin herum und legte ihre rechte Hand um den Griff. Dann zog sie ihrerseits und war verblüfft, wie leicht die Axt doch tatsächlich war. Verständnislos blickte sie auf die Druidin, die von der Klinge abließ und ihrerseits die Paladina anstarrte. Dann war die Klinge, deren Schneide und Spitze derart tief in den Körper von Xelestra eingedrungen war, dass sie fast den vorderen Teil ihrer Rüstung erreicht hätte, allein in der Hand von Nikariu, die die Axt mit einer Hand leicht und locker zu Vadarassars Zelt brachte und davor in den Boden stieß. Die Tatsache, dass die Schneide problemlos unzählige Steine im Boden entweder beiseite stieß oder gar durchschlug zeigte ihr aber, dass sie offensichtlich doch ein ordentliches Gewicht zu besitzen schien. Warum sich die Klinge aber dennoch in ihrer Hand so leicht angefühlt hatte…sie verstand es nicht.
Braunpelz ihrerseits hatte sich schnell wieder der Todesritterin zugewandt, ließ ihre Heilkräfte wirken
Kapitel 17 – Flucht durch den Nether
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