„Kann ein Wolf ein Mensch sein?“
Wissenschaftler in Rom haben erfolgreich menschliche Gehirnzellen mit Wolfsembryonen gekreuzt. Seitdem die meisten Regierungen die Zerstörung von Hybridembryonen verboten haben, gibt es immer wieder mehr Bemühungen, …
„Bemühungen“
Wenn die von N54 nur wüssten, wie sehr sie hier lediglich an der Oberfläche gekratzt haben, seit die geheimen Interna von Biotechnica an die Öffentlichkeit gekommen sind. Und selbst dieses kleine bisschen Informationen haben sie lediglich durch ein paar Netrunner, die wohl eher zufällig bei der Suche nach irgendwelchen Machenschaften innerhalb des Konzerns darüber gestolpert sind, bekommen.
In Wahrheit war Biotechnica bereits im Jahr 2065 schon weiter als das, was man hier lesen konnte, hatten die ersten Prototypen die Testreihen durchlaufen. Eigentlich sollte das Projekt weiter auf Sparflamme gehalten werden, wäre da nicht der Skandal um Securicine gewesen, den die kleine Netrunnerin Sasha Yakoleva ans Licht gebracht hätte.
Die Veröffentlichung war ein Skandal in mehreren Dimensionen und brachte viele im Vorstand von Biotechnica in eine schwierige Lage. Für Außenseiter und auch die meisten innerhalb der Firma wirkte das, was ablief, wie eine professionelle Panikreaktion. Insider hätten es vielleicht als Schadenskontrolle bezeichnet, die streng nach Schema ablief und eine Umstrukturierung im Unternehmen einleiten sollte, um die offensichtlichen „Schlupflöcher“ zu schließen und wieder auf Kurs zu kommen. Für Nicola Anderson indes war es DIE Chance, jenes kleine, auf Sparflamme gehaltene Projekt, nun doch groß zu verkaufen.
Ihr Großvater hatte schon viele Jahrzehnte vorher mit Klontechnologien gearbeitet, diese bereits zu Zeiten, in denen das Klonen von Lebewesen und das Einpflanzen von Intelligenzen noch streng verboten war, enorme Erfolge erzielt. Und auch wenn seine Vision von vielen im Konzern als inspirierend bezeichnet wurde, verfolgte doch niemand wirklich und ernsthaft seine Ideen weiter. Das heißt aber nicht, dass seine Ideen in Vergessenheit geraten sollten. Und in dieser Situation ergriff Nicola im Board of Directors die Gelegenheit, ihre Vision vorzustellen und voranzutreiben: Einen Netrunner, der von Grundauf speziell für die Gegenspionage und interne Untersuchungen spezialisiert und ausgerüstet sein sollte. Einer, der nicht nur durch Implantate, sondern auch biologisch darauf ausgerichtet sein sollte, Fährten zu folgen, sie aufzuspüren und schließlich zuzuschlagen.
Ein Wolf – und damit meinte sie nicht nur die Persönlichkeit oder ein paar Implantate, sondern einen echten, einen wirklichen Wolf, dessen animalische Intelligenz durch ein AI-System sowie menschliche Zellen in Kombination wachsen und zu eben jenem internen Ermittler wachsen sollte.
Die Idee klang gewagt und wahnsinnig genug, gleichzeitig zu abstrakt und zu fern, als dass sie für jene, die etwas zu verbergen hatten, als potentielle Bedrohung wahrgenommen wurde, aber auch revolutionär genug, damit die übrigen, die etwas Neues und einen Fortschritt erhofften, darin eine Chance sahen. Also wurde das Projekt intern abgesegnet – unwissend, dass genau dieses Wesen bereits nahezu fertiggestellt war und nur noch seiner offiziellen Freigabe bedurfte.
„Ich schäme mich für das, was bei uns firmenintern läuft.“ Hatte Nicola mir gegenüber einmal gesagt. „Der Skandal um Securicine war nur der Anfang. Ich habe aus meinen Quellen gehört, dass aus unseren innersten Kreisen sogar Morde an unseren eigenen Angestellten beauftragt werden, um gewisse, unlautere Praktiken und Experimente an Menschen zu verschleiern. Das will und das werde ich nicht länger zulassen. Ich will, dass du sie alle aufspürst, findest und die Daten restlos sammelst, damit wir derartige Machenschaften aus dem Unternehmen verbannen können. Wir sind nicht Arasaka. Solche Dinge dürfen wir niemals dulden.“
Das waren ihre Worte mir gegenüber, als mein Körper die letzte Phase der Modifikation für meinen Einsatz durchlief. Und es waren auch die letzten Worte, die sie überhaupt an mich richtete, bevor sie einige Tage später tot in ihrem Apartment vorgefunden wurde. Laut Berichten von Trauma Team soll sie von einem Cyberpsycho überrascht und bei lebendigem Leib zerfetzt worden sein. Ermittlungen ergaben, dass Todesfälle von Emilia Morton und Manuel Mendoza mit ihr in Verbindung gebracht wurden. Weitere Spuren führten angeblich in Richtung Nomaden außerhalb von Night City. Abschließend wurde noch verlautbart, dass der Beschluss im Board of Directors, der meine Indienststellung zur Folge haben sollte, als zu widerrufen geplant worden war. Allerdings waren sie hierfür leider einige Stunden zu spät.
Ihren letzten Auftrag würde ich ausführen und ihre Worte beherzigen. Und mit den Umständen ihres Ablebens würde ich beginnen. Denn mein Instinkt sagte mir bereits, dass hier etwas SEHR faul war – und die Daten, die Trauma Team geliefert hatte, nicht stimmen konnten.
