Zum Inhalt springen

Wie alles in die richtigen Bahnen kam

Etliche Stunden später graute schließlich der Morgen, schienen die ersten Sonnenstrahlen durch den Höhleneingang ins Innere. Wie jeden Morgen war Luane bei den ersten Sonnenstrahlen bereits hellwach, blieb aber dennoch regungslos liegen, stellte sich schlafend, während TimeShift – von ihr kurz Timey gerufen – noch weiter schlief. Er war ein relativer Langschläfer, der erst einige Stunden nach Sonnenaufgang aufstand, um dann auf Nahrungssuche zu gehen. An diesem Morgen aber überraschte er sie, indem er ihr mit seinem rechten Flügel über die Nüstern strich und ihr ein leises Niesen entlockte.

„Na, gut geschlafen?“ fragte er mit freundlicher Stimme.

Luane drehte den Kopf um, starrte ihn überrascht an. „Du bist schon wach?“

„Natürlich. Seit du dich in der Nacht immer an mich drankuschelst wache ich immer mit dem Sonnenaufgang auf. Dein Atem wird da nämlich auffällig.“

Sie schnaubte. „Wird er nicht. Und überhaupt – wenn es hier nicht so kalt wäre, müsste ich mich in der Nacht auch nicht an dir aufwärmen.“

„Die Nacht ist vorbei. Du könntest aufstehen, wenn du willst. Kein Grund mehr, dich hier anzukuscheln.“

Sie starrte ihm direkt in die Augen. Dann drehte sie den Kopf zurück, legte ihn wieder auf den Boden und zog seinen linken Flügel noch etwas fester um sich. „Nein. Ich bleibe noch ein wenig. Du schläfst sonst auch noch zwei, drei Stunden nach Sonnenaufgang. Davon will ich zumindest noch eine.“

Er kicherte. Siebzehn Jahre war sie die Unantastbare gewesen, hatte sie jegliche Berührung strikt abgelehnt und sich nicht einmal helfen lassen, wenn sie gestürzt war und sichtlich Schmerzen hatte.

„Du bist deutlich anhänglicher, seit du aus der Klink raus bist. Als wärst du eine ganze andere Lugia.“

„Pah – das liegt einzig und allein hier dran.“ schnaubte sie und schob seinen Flügel über die Rundung im unteren Bereich ihres Bauchs. „Alles deine Schuld.“

„Wenn ich mich richtig erinnere, hattest du darauf bestanden, dass wir zwei zu Gefährten werden und wir uns, um es zu besiegeln, vereinigen. Und du warst es auch, die mich festgehalten hat.“

Wieder schnaubte sie. Natürlich hatte er Recht damit. Sie war es gewesen, die ihn dazu gedrängt hatte, die mit dem rituellen Paarungsflug angefangen hatte, ihn zu dem Versprechen genötigt und ihn schließlich auch zum Akt gebracht hatte. Aber woher hätte sie denn wissen sollen, dass ihr eigener Körper sie betrügen und ihn hinterher stundenlang festhalten würde, sie deswegen nach elf Monaten Tragezeit ein Junges zur Welt bringen würde?

Eine seiner Pfoten strich sanft und vorsichtig über ihr linkes Bein. Als die Zehen über ihren linken Knöchel strichen, zuckte sie am ganzen Körper zusammen.

„Tut es sehr weh?“ fragte er leise.

„Mh mhm…“ murmelte sie leise.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du dich schonen und ausruhen sollst. Gerade im Winter ist es draußen glatt und…“

„Ich will halt auch selbst raus und mir etwas zu essen holen. Nur weil ich hier Extragewicht mit mir rumschleppe, bin ich nicht behindert.“

„…du kannst leicht ausrutschen. Denk dran, dass du mit deinem Knöchel nicht die volle Stabilität hast.“ vervollständigte er seinen Satz.

„Ich weiß. Aber wenn ich raus will, um mir ein paar Weintrauben zu holen, dann mache ich das, wann und wie ich es will.“

„Und knickst dabei wieder um…“

„Ich bin schon hunderte Male mit dieser dämlichen Pfote umgeknickt verdammt. Warum interessiert dich das jetzt so unglaublich?“

„Hat es schon immer. Und das weißt du.“

Sie wollte etwas erwidern, ihn scharf anschnauzen. Aber er hatte Recht – seit er sie damals auf der Insel gefunden hatte, war er ihr gegenüber zwar zurückhaltend, aber stets hilfsbereit gegenüber gewesen. Er hatte ihr sogar den ersten Stützverband überhaupt organisiert, mit dem sie lange Jahre relativ problemlos herumlaufen konnte. Und sie war es gewesen, die immer wieder verheimlicht hatte, wie es ihr wirklich ging. Das wiederum hatte sie erst vor sechs Monaten offenbart – als sie keine andere Chance mehr hatte, als es zuzugeben.

5. Mai. Diesen Tag würde sie niemals in ihrem Leben vergessen. Den ganzen Tag über schmerzte ihr linker Knöchel bereits unbeschreiblich – schlimmer, als er es die ganzen Tage und Wochen zuvor getan hatte. Sie war die Schmerzen zwar mittlerweile gewohnt, die sie nun seit mehr als drei Jahren dauerhaft begleiteten und gegen die sie Unmengen von Efeu vertilgte, sich damit schon fast vergiftet hatte, nur um den schmerzstillenden Effekt in den Blättern ausreichend stark zu spüren. Doch an diesem Tag war der Schmerz ganz besonders heftig gewesen.

Sie war lediglich auf ihrem rechten Bein, ihrem Schwanz und beiden Flügeln stützend aus der Höhle hinaus gehumpelt – ihr linkes Bein konnte sie seit gut einem Jahr trotz des Verbandes, den sie sich so fest um ihr geschwollenes Gelenk gezurrt hatte, dass die einzelnen Wicklungen schon ins Fleisch schnitten, nicht mehr belasten, ohne dass es seitlich wegknickte und dabei noch schlimmere Schmerzen verursachte – und machte sich gerade auf den Weg, um sich etwas zu Essen zu besorgen. Da es tagsüber war und sie nicht vorhatte, eine große Strecke zu fliegen – nur zu einer nahen Fischfarm – flog sie, nachdem sie mit einem wohltrainierten Manöver und auf nur einem Bein abgehoben hatte, dicht über den Fluss und schließlich über das nahe Waldgebiet. Sie wählte ihren Flug absichtlich derart niedrig, dass sie mit ihrem Bauch fast die Baumwipfel streifte, denn so würde man sie im schlechtesten Fall nur derart kurz sehen, dass man sie nicht erkennen würde, wäre sie schon weiter geflogen, ehe ihr Schatten jemandem auffiel.

Auf dem Weg zur Fischfarm überflog sie jedoch auch eine Region, in der reichlich Fichten wuchsen. Fichten, die durch die anhaltende Dürre der letzten Jahre alles andere als gesund waren, von denen viele nun gefällt werden mussten. Auch an diesem Tag waren die Förster und Holzfäller wieder mit ihren Maschinen unterwegs, fällten sie Baum um Baum, zersägten sie diese und bereiteten sie für den Abtransport vor. Wolken aus Sägespänen erfüllten die Luft dicht oberhalb der Baumwipfel – und Luane flog geradewegs durch diese Wolken hindurch.

Sie reagierte schnell, schloss Mund und Nüstern, presste ihre Augen zu, um von den Splittern verschont zu bleiben. Dabei hatte sie ein wichtiges sowie a

Published inRewind - Wie das Leben so spielt