Nacht.
Schlaf lag über dem Kloster der Franziskanermönche, das wie eine große, weiße Festung auf dem kleinen Berg inmitten des Naturparks im Spessart stand. Ein Ort der Andacht und der Ruhe, des Wissens und des Studiums.
Sophos lag in seiner Mönchszelle in seinem Bett, schlief tief und fest. Im Traum durchwanderte er die Schriften, die er Tags zuvor studiert hatte, vermischt mit Erinnerungen aus seiner jüngsten Kindheit.
„Wach auf, Schamane.“ flüsterte eine Stimme aus der Ferne, ganz leise und kaum wahrzunehmen. Und Sophos hörte sie in der Tat auch nicht aktiv, sprang stattdessen von flatterten Pergamenten, die durch den Himmel glitten, hinab auf den Rücken eines übergroßen Buches, auf dessen grünen Einband ihm fremde Zeichen in silbernen Lettern eingelassen waren.
„Du sollst aufwachen, Schamane!“ wurde die Stimme eindringlicher. Doch noch immer ignorierte Sophos die Stimme, landete mit dem übergroßen Buch lieber auf der weiten, saftig grünen Wiese nahe einer großen, kräftigen Kastanie, deren Äste weit ausladend Schatten und damit angenehme Kühle von der intensiv strahlenden Sonne spendeten. Er blätterte in den Seiten des belebten Buches, blickte auf die fremden Zeichen, die sich vor seinen Augen langsam umformten und verständliche Sprache bildeten, die er sogleich zu lesen begann.
Von einem Augenblick zum anderen verfinsterte sich der Himmel, eine große, schwarze Wolke schob sich vor die Sonne, krachte aus dieser ein Blitz direkt neben Sophos, den einen weiteren Augenblick später eine Sturmböe erfasste und mit aller Macht gegen die Kastanie donnerte.
„WACH AUF!“ brüllte der Wind ihm so laut in die Ohren, dass er es nicht mehr ignorieren konnte, sah er noch, wie es in der Wolke knisterte, fühlte er ein Kribbeln in seinem Fell, als ein weiterer Blitz nur handbreit neben ihm im Baum einschlug, ihn der Blitz blendete und der Donner fast taub werden ließ, ehe ein brennender Schmerz seinen Körper durchfuhr.
Schlagartig riss Sophos die Augen auf, saß fast senkrecht im Bett auf, meinte gerade noch den Geruch seines eigenen Fleisches, das langsam verkohlte zu riechen, als er merkte, wie der Geruch von Verbranntem keine Einbildung, sondern im Gegenteil grausame Realität war: Seine Zelle war voll mit dichtem Rauch, der die Decke verschleierte. Nur um ihn selbst herum wehte eine leichte Brise, drückte den Rauch von seinem Kopf weg und schützte ihn so vor der Rauchvergiftung, die sein plötzliches Erwachen beinahe zur Folge gehabt hätte.
„Verzeih, Schamane. Doch dein Leben ist in Gefahr. Flieh, so lange du kannst.“ flüsterte der der Geist des Windes in seinem Kopf.
Binnen eines weiteren Augenblicks war Sophos wieder wach, warf sich eine seiner beiden Roben über und stürmte aus seiner Zelle hinaus, blickte die Gänge entlang. Hier war der Rauch noch viel dichter, viel intensiver und bedrohlicher. Doch statt zu fliehen, rannte er zum Innenhof, riss die Tür auf und sprang im vollen Lauf an die Kordel der Glocke, die sonst nur genutzt wurde, um zum Gebet zu läuten.
Schnell erhellten viele Lichter das verrauchte und offenbar brennende Kloster, liefen Mönche, Bedienstete, Schwestern und andere Gläubige in Richtung Ausgänge, während Sophos seinerseits wieder ins Innere lief. Halb auf der Flucht aber hörte er ein fernes Husten.

Sophos rannte in Richtung des Geräuschs, bog um eine Ecke und sah einen der Ordensbrüder am Boden liegend, hustend, umringt von Flammen. Ohne nachzudenken rannte er zu ihm, sprang in die Mitte der Flammen und griff den Mann am Arm, hob ihn hinauf. Die Flammen indes zischten warnend, während das feurige Element aus Respekt vor dem Schamanen versuchte, seine brennenden Zungen so weit, wie es konnte, von ihm weg zu biegen und ihm eine sichere Passage zu ermöglichen.
„D….danke. Aber…rette du dich zu…erst…“ hustete der Mönch.
„Ich lasse niemanden hier umkommen.“ protestierte Sophos, ließ seinen Griff fester werden und stützte den Ordensbruder auf dem kürzesten Weg in Richtung Ausgang, im Geiste den Flammen und dem Wind für diese Rettung vor dem sicheren Tod dankend.
Sei der Erste der einen Kommentar abgibt