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Kapitel 5 – Ein Herz aus Eis

Es war wie gestern.

Heerscharen von Untoten fegten über Lordaeron hinweg, mordeten, meuchelten und fraßen alles, was lebte und sich irgendwie dem Klammergriff der Brennenden Legion zu entziehen suchte. Überall brannte es, brachen Häuser zusammen, fielen Hütten ein und stürzten dicke Mauern um.

Bravius Kalvador war so lange in Dalaran geblieben wie er konnte. Seine Studien der Magie hatten den Erzmagiern gute Dienste geleistet, den Zauber vorzubereiten. Doch nun, da die Geißel immer weiter voran schritt, fehlte die Zeit, das zu vollenden, was gerade gewoben wurde.

Ein weiterer Feuerball bildete sich auf den Händen des Magiers, flog kurz darauf in die Mengen der Geißel, um Momente später Dutzende von ihnen zu verbrennen, zu verstümmeln oder einfach zu Asche zerfallen zu lassen. Ein selbstsicheres Grinsen lag auf seinem Gesicht, dann blickte er über die Schulter.

Ein riesiger Fleischgolem stand hinter ihm und holte mit einer Keule aus, traf ihn am Kiefer. Er spürte, wie ein Knochen knirschte und ihm kurz darauf der Mund den Dienst versagte. Schnell wob er noch einen Zauber, konnte ihn aber nur noch brabbeln. Eine Explosion aus Arkaner Magie traf den Fleischgolem und schleuderte ihn zurück. Das gab Bravius die dringend benötigten Sekunden, um sich wieder aufzurappeln und an Flucht zu denken. Die Magier im Inneren der Stadt…sie müssten auf sich selbst aufpassen. In diesem Moment sah der Magier, das sie das auch hervorragend taten. Denn mit einem Mal war von den Magiern nichts mehr zu sehen, nur noch eine große Energiekuppel erhob sich über ihnen, versiegelte die Reste der Stadt, unerreichbar für Geißel oder Brennende Legion.

Frust und Wut machte sich bei den Überlebenden der Geißel breit, als sie auf die Barriere brandeten und nicht hindurch schreiten konnten. Frust und Wut wandelten sich in Hass, der ein Ziel suchte.

Bravius wurde erspäht und Ziel des Angriffs. Hunderte Ghuls schossen auf ihn zu, von denen er mehrere Dutzend hinfort schleuderte, verbrannte, verstümmelte und auf andere grausame Arten in den Tod schickte. Doch es waren zu viele…viel zu viele brandeten auf den Magier ein, überwältigten ihn, zerrissen ihn bei lebendigem Leib und saugten das Leben aus seinen Adern.

Dann wurde es kalt und dunkel.

Lange Zeit kalt und dunkel.

Bravius dachte, der Tod habe sich endlich und vollends seiner ermächtigt, als ein grelles Licht durch seine Augen schoss.

Er blinzelte.

Doch da waren keine Lider, die das Blinzeln auslösen konnten. Nur ein Glühen. Ein magisches, dämonisches Glühen.

Er blinzelte erneut, das Glühen flackerte kurz und spendete die beruhigende Dunkelheit, die er so sehr begehrte.

Hass.

Wut.

Es brannte in ihm. Er wollte die Ghuls noch immer verbrennen. Wollte sie dem Tode endlich zu fressen geben. Doch dann wurde ihm klar, dass sie ihn diesem schon zu fressen gegeben hatten. Nur noch schlimmer: Sie hatten seinen Körper zerrissen, doch seine Seele in ihm zurückgelassen.

Bravius erhob sich. Sein Körper knirschte, als wäre er nicht viel mehr als ein verdorrter Ast. Er blickte auf seine Hände…und erschrak.

Kaltes Fleisch hing lose an Knochen, umwickelt von einzelnen Bandagen. Er konnte durch seine Rippen die faulen Eingeweide sehen, die in Stücken in ihm hingen. dennoch war da irgendwie Leben…oder war es nur ein Gedanke, den er da hatte? Er spürte mit einem Mal eine extreme Kälte in sich…der Wind, der durch seine Knochen und damit durch ihn hindurch wehte.

Er war nun selbst ein Untoter, einer dieser verhassten Geißel. Doch seine Gedanken…sie waren klar, sein Willen war nicht dem ergeben, der seinen Tod gewollt hatte.

Er diente…niemandem.

Einsamkeit machte sich in ihm breit. Eine noch tiefere Kälte strömte durch seine wenigen, leeren und vertrockneten Adern.

„Ein weiterer ist erwacht!“ hörte er einen Ruf und wendete sich um zu dem Ursprung der Stimme. Erst jetzt bemerkte er, dass er in einem Sarg und in einer Krypta aufgebahrt lag. Vielleicht hätte er hier einfach liegen bleiben sollen, doch ein anderer Gedanke in ihm war verlockender: Jetzt, in dieser Gestalt, konnte er der Geißel mit gleicher Macht und gleicher Münze entgegen treten. Sein Innerstes wurde noch kälter, wäre gefroren, wenn noch etwas Flüssiges dort gewesen wäre, das hätte gefrieren können.

Mit einem leisen Knirschen erhob er sich aus seinem hölzernen Kastenbett, sah sich um. Viele Skelette lagen herum, einige auf einem Scheiterhaufen, andere zertrümmert und verteilt. Einem fehlte der Unterkiefer komplett, dem anderen war ein Stück aus der Schädeldecke heraus geschlagen worden.

Ein schrecklicher Verdacht…schnell ertastete er seinen eigenen Schädel…und spürte, wie sein Unterkiefer zerbrochen und schief wieder zusammengenagelt worden war. Sein Anblick musste so grausam sein, er fürchtete sich, in den Spiegel zu blicken – sicher, er würde sich dann selbst wohl nicht erkennen oder vor Verachtung einfach zu Staub zerfallen.

Stufen…Dutzende erklomm er und sah an deren Ende einen Soldaten…besser gesagt: Ein Skelett in Rüstung. Das die Rüstung diesen Untoten nicht einfach ob ihres Gewichtes zerschmetterte, erstaunte Bravius. Er musterte den Untoten.

„Bei der Herrin – ein Glück, das du gerade noch rechtzeitig aufgewacht bist! Wir wollten diese Krypta gerade komplett ausräuchern, um den Vorstoß der Geißen endlich zum Versiegen zu bringen.“

„Was ist geschehen?“ knurrte Bravius. „Wie steht es um den Krieg?“

„Den Krieg? Freund, wir haben gewonnen! Die Legion wurde verbannt und unsere Landen sind so gesichert, wie es für uns nur geht. Doch überall sind Krisenherde und Konflikte. Unsere Krieger fallen an allen Fronten. Da sind wir über solche wie dich doppelt froh.“

Bravius nickte knapp. „Sag, wo kann ich ordentliche Kleidung her bekommen? Diese hier ist…nicht gerade sehr…adäquat.“

Der Krieger nickte. „Eine Schneiderei findest du in Unterstadt, wenn du diesem Pfad hier folgst. Man wird sich überdies zu unserer Herrin begleiten, der wir unsere Freiheit zu verdanken haben.

Bravius blickte auf.

„Herrin?“

„Lady Sylvanas! Dank ihr sind wir nicht der Geißel oder der Legion anheim gefallen. Sie hat sich gegen jene gewandt und mit ihrer Hilfe konnte der Sieg errungen werden!“

„Ich verstehe.“ begann Bravius, der über all dies nachdenken musste. „Hab Dank.“ war alles, was er noch sagte, ehe er sich auf den Weg zu besagter Unterstadt machte.

Unterstadt beschrieb diese Heimatstadt der Untoten wirklich hervorragend: Sie war das Unterste dessen, was man wohl als lebenswert erachten konnte. Selbst Ratten fand man hier nur so überaus selten, dass man sie wohl schon als exotische Fremde bezeichnen konnte. Die wenigen Tiere, die sich doch hier nach unten, unter die Ruinen der ehemaligen, menschlichen Festung gewagt hatten, waren ebenfalls so tot wie die meisten Bewohner. Bitterkeit nagte an Bravius, als er viele bekannte und noch mehr unbekannte Gesichter erblickte. Kleidung war schnell gefunden und nachdem er sich entsprechend angekleidet hatte, wagte er es schließlich auch, die innersten Gemächer von Lady Sylvanas zu betreten.

Er erinnerte sich vage an die Erzählungen: Sylvanas Windrunner war einmal eine Nachtelfe gewesen, die einen Vorposten hielt und damit die Legion der Untoten am Vorankommen hinderte. Angeblich wurde sie vom Verräter Arthas verheert und zu einem schlechten Abbild ihrer Selbst geformt.

Als er dann jedoch vor ihr stand, wurde Bravius erst wirklich klar, wie gering sein eigener Verlust im Vergleich zu ihrem hatte sein müssen: Sie war zu einer Banshee geworden, nichts weltlichem mehr, sondern nur noch einem Geist, einem Schatten, einem Schemen einer Lebensform. Dennoch erstrahlte sie in einem intensiven Licht, das ihn erschauern ließ.

„Ich grüße dich, Befreiter. Du gehörst ab dem heutigen Tage zu den Wenigen, die sich die Verlassenen nennen. Wir sind verstoßen von all jenen, die leben und gehasst von allen anderen, die tot sind. Freunde gibt es wenige bis keine, nur Feinde haben wir viele, wie das Leben Wendungen hat.“

„Lady Sylvanas.“ antwortete Bravius nur und kniete unvermittelt vor der, die eine solche Autorität ausstrahlte. Sein Gesicht war dem Boden zugeneigt.

„Verrate mir deinen Namen, der, in dem ich solche Bitterkeit gegenüber der Geißel spüre.“

„Bravius. Bravius Kalvador.“ antwortete er langsam und nach einigen Sekunden, um sicherzugehen, das seine Königin wirklich zu Ende gesprochen hatte.

„Ein klangvoller Name, Bravius. Ein Menschlicher Name. Doch die Menschlichkeit hat dich verlassen, wie alle, die unter uns wandeln. Wir haben nichts Menschliches mehr und selbst die Menschen betrachten uns nur noch als das Böse. Selbst die Horde, die uns ihren Beistand anbot, ist nicht unbedingt immer das Gute, was wir uns erdenken. Wir müssen vorsichtig sein, uns den anderen vollständig zu offenbaren.“ erklärte die Bansheekönigin. Dann senkte sie ihr Haupt.

„Dein Name unter den Sterblichen hat keine Bedeutung mehr. Ein neues Leben hat dich erfüllt und damit ein neuer Name. Ein Name, der deinen Hass widerspiegeln soll und der das Blut in deren Adern, die noch Adern haben, zum Erfrieren bringen soll. Vom heutigen Tage an sollst du dich Bwalkazz nennen, Träger des Hasses gegen die Geißel, die wir alle so verabscheuen und die uns zu dem gemacht hat, was wir sind.“

Bravius…Bwalkazz neigte sein Haupt, sah dann seine Königin an.

„Ich danke euch, Sylvanas. Gibt es irgendetwas, das ich tun kann? Ich spüre eine Leere in mir, die gefüllt werden will.“

Die Königin blickte zu ihrem Berater, einem Dämon, dem nicht nur Bwalkazz, sondern jeder anwesende Untote am liebsten mehr als eine Klinge in den Rücken gejagt hätte. Dann blickte sie wieder zu ihm.

„Im Lande, das Kalimdor genannt wird, kannst du deine Dienste verrichten. Das Bündnis mit der Horde ist noch schwach, es muss gefestigt werden. Die Orcs sind es, die unsere Position zu verstehen scheinen. Eine gute Ausgangsposition fürwahr, doch muss sie gefestigt werden. Dies soll deine Aufgabe sein.“

Bwalkazz verneigte sich und wendete sich ab.

Orcs.

Er kannte sie aus seinem früheren Leben. Manche in guten, viele jedoch in schlechten Dingen. Das er nun mit ihnen gemeinsame Sache machen sollte…das schmeckte ihm nicht wirklich. Doch…..welche andere Wahl hatte er denn?

In Gedanken versunken trat er aus der Stadt heraus, blickte auf den dürren, einsturzgefährdeten Turm, an dem ein Zeppelin festgemacht hatte.

Goblins. Erst Orcs, dann auch noch diese Schändlichkeit der Natur. Doch was redete er da? Er selbst war doch ebenfalls nur noch ein Abbild dessen, was natürlich sein könnte. Nur noch ein Schemen einer Lebensform, die auf der Welt hätte wandeln sollen.

Ein Schemen unter Schemen. Das passte.

Von diesem Gleichgewicht der Ungleichgewichte beflügelt bestieg er den Zeppelin und machte sich auf den Weg.

Auf den Weg in das Land der Orcs.

Published inWarlock - Geschichten eines Hexers

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