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Kapitel 3 – Die Geschichte des Jägers

Mit lautem Scheppern flog ein bis zur Nasenspitze in Kettenrüstung gekleideter Orc aus der Taverne von Orgrimmar. Zwei Tauren standen im Eingang und starrten ihn aus strengen, autoritären Augen an.

„Fang hier drin noch eine Prügelei an und du kannst ein Lied von der Erdenmutter singen…drei Oktaven höher, als du gewohnt bist!“ brummte ein anderer Orc hinter seinen Rausschmeißern.

„Was ist denn hier los, Mann. Sieht ja aus wie ne richtig glückliche Party. Aber viel zu früh.“ kicherte Teborasque, den gestürzten Orc mit einem breiten Grinsen, wie es nur Trolle auflegen konnten, anstarrend.

Der schwer gerüstete Orc starrte den bläulichen Neuankömmling an, der sich lediglich in einige Stücke Lederkleidung mit einigen Metallverzierungen gekleidet hatte. Über der Schulter erkannte er den charakteristischen Bogen eines Jägers.

„Nichts von Belang. Einer dieser stinkenden Untoten wollte seine Wettschulden nicht begleichen.“ brummte der Orc und wischte sich mit einer Hand über sein Maul, als dem etwas Blut tropfte. Pikanterweise wischte er sich nicht direkt mit seiner Hand über den Mund, sondern mit einer Hand, die er in dieser hielt. Erst auf den zweiten Blick erkannte Tebo die eklige Wahrheit: Diese Hand musste dem Untoten gehört haben.

Angewidert verzog er kurz das Gesicht. Seit den Zombies nahe Sen’jin hatte er nicht mehr mit dieser Widerlichkeit die Konfrontation gesehen. Das einzige, was ihn beruhigte war die Tatsache, das es in diesem Fall kein untoter Troll war, dem nun ein Arm fehlte.

„Tja, jetzt ist der Kerl arm dran, der Zechepreller. Oder genauer gesagt: Nur noch ein Arm dran!“ grölte der Orc und lachte lauthals los. „Das sollte seine Schulden tilgen. Zumindest vorläufig.“

„Was hatte der Kerl denn gewettet?“ fragte Tebo, nun doch interessiert, an den nun einarmigen Untoten denkend. Der Kerl ließ ihn wirklich nicht mehr los….kein schöner Gedanke das ganze. Nein, wahrhaftig nicht.

„Pah! Dieser eingeweidelose Wurm wollte eine Katze fangen. Eine große, wilde Katze nahe dem Wegekreuz im Brachland. Meinte das Vieh wäre so eindrucksvoll, das sogar die ganzen anderen Katzen ringsum das Weite suchen würden! Wollte ne Goldmünze von mir, wenn er mir den Beweis brächte.“

Der Orc lachte kurz und kehlig. „Und dann meinte er, seine zerkratzte Robe und ein Büschel Haare würden mir reichen! Nix da hab ich gesagt und wollte meinerseits mein Gold. Doch er…aber na ja…das kannst du dir ja jetzt denken Jungchen, oder?“ knurrte der Orc und lachte dann wieder.

„Wie steht es mit dir? Willst du es mal versuchen? Ich mach dir ein Angebot: Zwei Münzen Gold, wenn du mir den Kopf dieser Katze bringen solltest.“

Teborasque dachte kurz nach. Das Brachland kannte er schon recht gut, war bereits einige Male dorthin gereist. Zwar nicht häufig, aber doch, er kannte die Wege und vielleicht auch die Gegend, wo sich eine solche Katze aufhalten konnte. Kurz darauf nickte er bedächtig.

„Sollte kein Problem sein, Mann. Ist doch nur ne Katze.“

Mit den Worten war Teborasque aus Orgrimmar aufgebrochen und in Richtung Brachland unterwegs. Still und leise verfluchte er sich dafür, dass er keine wohlhabenden Trolle in seiner Blutslinie hatte, ansonsten hätte er auf einem Raptor ins Brachland reiten können. Doch ihm fehlte auf diese Weise das knappe Gold, das gerade so für Nahrung, Rüstzeug, Werkzeug und Munition reichte. Ein Umstand, der ihn nicht unbedingt mit Freude erfüllte.

Mit zwei Fingern im Mund pfiff er einmal laut und blickte sich dann um. Eine kleine Staubwolke tauchte in einiger Entfernung auf, kam dann aber rasch näher und stoppte kurz vor ihm.

Pigedi, ein Kampfschwein, das seinen Namen wahrlich verdient hatte. Der Eber trug seine Stoßzähne wie Dolche neben seiner langen Schnauze. Unzählige Gegner hatte er damit schon aufgespießt, ihnen die Bäuche aufgeschlitzt oder sie mit den harten Hufen zerschmettert. Es war Tebos erster Begleiter, den er nun schon seit vielen Monden neben sich sah. Und obwohl der Intellekt des Tieres nicht viel mehr als Kämpfen und Fressen zu verstehen vermochte, war Pigedi doch ein willkommener Gefährte, quasi das animalische Spiegelbild von Tebo.

Selbiger kniete gerade im Dreck und untersuchte die Spuren.

Krallenabdrücke. Viele, doch keine wirklich bemerkenswert. Bis auf.

Er stockte, besah die Spur genauer.

Diese Krallenspur war etwas größer als die anderen. Zwar gleich breit, aber ungleich länger, schlanker und doch weniger stark eingedrückt.

Ein leicht gebautes Kraftpaket auf großen Tatzen. Das musste diese Riesenkatze sein, von der dieser Orc gesprochen hatte. Mit gebückter Haltung ging Tebo einige Schritte weiter, starrte kurz nach vorn, bückte sich dann wieder und folgte den Spuren.

Das Wegekreuz lag noch einige hundert Schritte im Süden, als er in Richtung eines der Berge abbog. Katzen lebten für gewöhnlich nur im Schatten der Hügel und ruhten sich dort aus. Doch diese hier schien anders, das meinte er deutlich zu erkennen. Auf einer Anhöhe stoppte Tebo dann komplett, griff in seine Tasche und holte ein Handfernrohr heraus, das er vor nur etwa einer Nacht selbst gebaut hatte. Es blitzte noch wie neu, obwohl sich bereits an einigen Stellen leichter Flugrost festgesetzt hatte.

Dort. Auf dieser kleinen Anhöhe stand die Katze, die er suchte. Die Pfoten passten perfekt zu den Markierungen, die Größe stimmte ebenfalls, auch wenn er etwas anderes als diese hagere Gestalt erwartet hatte. Noch im selben Moment, wie er diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, verfluchte sich Tebo dafür. Diese Katze war ebenso muskulös und sehnig, so drahtig und agil wie er als Troll. Ein ebenbürtiger Gegner.

Kurz prüfte er die Windrichtung. Gegenwind – gut, das würde der Katze nicht möglich machen, sie vorher zu wittern. Tebo gab Pigedi das Zeichen, langsam hinter ihm her zu schleichen. Gemeinsam krochen sie fast bis ganz unter den Vorsprung, auf dem die Katze saß. Dann gab er das Zeichen.

Wie von einer Mücke gestochen schoss Pigedi auf die Katze zu, mit den Stoßzähnen auf die Flanke zielend. Das Schwein wollte ein schnelles Ende, zielte dorthin, wo es das Herz der gefleckten Bestie vermutete. Die Katze indes, obwohl völlig überrumpelt, reagierte schlagartig, raffte sich auf und sprang in die Luft, über das Schwein hinweg und sah hinter sich, wo Pigedi gegen einen Stein krachte. Eigentlich wollte sie ein schnelles Ende machen, zuckte dann aber zusammen, als ein pfeifendes Geräusch seine Ohren erreichte und er sich duckte. Gerade noch im letzten Moment, denn gerade da sauste ein Pfeil über den Kopf der Katze, streifte leicht sein linkes Ohr und blieb dann im Sand stecken. Der schnelle Blick zeigte: Dieser Troll da hatte den Pfeil abgeschossen.

Mit wütendem Fauchen sprang die Katze dem Troll entgegen, bemerkte dann aber doch noch den Eber, der auf sie zu rauschte, nur um Haaresbreite mit den Hauern daneben schlug und sie verfehlte. Doch Pigedi war diesmal schlauer, drehte sich um und verpasste der Katze einen kräftigen Tritt gegen die Brust. Zwei Hufe bohrten sich in das Fell, ließen es darunter knirschen und raubten der Großkatze den Atem. Gleichzeitig sauste wieder ein pfeifendes Geräusch auf die Katze zu.

Zwei Gegner. Ein Nah- und ein Fernkämpfer. Doch das Schwein ließ ihn nicht an den Schützen heran. Die Katze musste nachdenken, wich dem Pfeil nur knapp aus und sprang dann mit schmerzender Flanke einmal um das Schwein herum. Jetzt war dieses in der Schusslinie. Der Troll zögerte klar erkennbar, wollte wohl seinen Gefährten nicht ebenfalls treffen. Das war die einzige Chance, die sich der Katze bot. Voller Wut und Überlebenswillen schlug sie mit den Pranken zu. Krallen bohrten sich in Fell und Fleisch, zogen lange, rote Striemen in Pigedis Seiten.

Das Schwein schrie getroffen auf, wanke und stieß voller Wut erneut zu. Ein Stoßzahn traf auf Fell, bohrte sich knapp unterhalb der Schulter in das Fleisch der Katze. Die wich zurück, wollte neuen Schwung holen, wurde aber von einem hinter ihr einschlagenden Pfeil an einer möglichen Flucht gehindert.

Erneut stürmte sie voran, schlug mit den Pranken auf das Schwein ein, während sie versuchte, den Troll zu erspähen. Er schien nicht mehr da zu sein. Und doch kämpfe dieses Schwein hier mit unveränderter Härte. Doch gegen die Krallen der Katze konnte es nicht viel ausrichten. Immer weiter wich es zurück und würde bald-

Ein brüllender Schmerz schoss durch die Katze, als ihr der linke Hinterlauf wegknickte. Ein schneller Blick und sie sah den Grund dafür: Der Troll war noch da, hatte sich aber auf eine Anhöhe links neben ihr geschlichen und von dort zu einem gezielten Schuss angelegt. Ein Pfeil steckte nun tief in der linken Hüfte der Katze, hatte sie auf die Seite gezwungen. So unvorbereitet getroffen war es der Katze unmöglich, das Gleichgewicht zu halten. Pigedi sah das als willkommene Einladung, ging zwei Schritte zurück, um mit den Vorderläufen den Boden aufzukratzen. Dann stürmte das Schwein voraus.

Im letzten Moment duckte sich die Katze vor den Stoßzähnen und riss das Maul auf, um einen Sekundenbruchteil später ihrerseits zuzuschlagen. Mit dem Glück der Verzweiflung erwischte sie die Kehle des Schweins, das einen letzten Schrei des Entsetzens ausstieß, begleitet vom lauten Brüllen des Trolls auf der Anhöhe, der erneut zum Schuss ansetzte.

Der Schrei erstarb in einem Gurgeln, begleitet von einem weiteren Pfeifen. Ein zweiter Pfeil bohrte sich in die Seite der Katze, diesmal knapp oberhalb des anderen. Wieder explodierte die Welt der Katze in endlosen Schmerzen. Wie durch einen Schleier aus Schmerz und Wut nahm sie ein erneutes Pfeifen wahr, rollte sich dann zur Seite und riss das noch immer zwischen ihren Kiefern hängende Schwein zwischen sich und den Troll.

Wieder schlugen Pfeile ein, doch nicht in der Katze, sondern in der schon längst ausblutenden Leiche von Pigedi, die diese Katze wie einen Schutzwall zwischen sich und den Troll gebracht hatte. Das verschaffte ihr Zeit für zwei Atemzüge, in denen sie sich aufzurappeln versuchte. Der Troll indes schien genügend abgelenkt von Ärger über seinen verfehlten Pfeil als auch in Trauer über den Tod seines Gefährten versunken, damit es gelingen konnte.

Der linke Hinterlauf gehorchte der Katze nicht mehr, hing nur nutzlos zu Boden. Drei Beine wären es, die reichen mussten. Doch mehr als genug, um auch diesem Troll die Kehle zu zerreißen. Mit neuer Wut und Entschlossenheit stieß die Katze ihren fleischigen Schutzschild beiseite und stürmte zuerst etwas wackelig, dann mit deutlich stärkerer Sicherheit auf den Troll zu.

Tebo sah die Katze wie hypnotisiert auf sich zu eilen. Ein Pfeil noch…doch sie war zu nahe. Als er das realisierte, ließ er den Bogen und den darin schon fast eingespannten Pfeil fallen und griff nach seinem Dolch. Im selben Moment schlugen sich schon acht scharfe Dolche in seine Lederkleidung, drangen jedoch mehr oder minder rasch auch in sein Fleisch ein. Durch die Wucht des Aufpralls knallte er zu Boden, sah sich nun dem zähnebesetzten Maul der Katze entgegen, die nach seinem Kopf und seiner Kehle schnappte.

Mit aller Kraft brachte er seinen linken Arm frei, auf dessen Schulter eine der krallenbesetzten Pfoten lag, und drückte die Hand so kräftig er konnte gegen das Maul. Die Katze reagierte schnell, zog das Maul zurück und biss stattdessen mit voller Kraft in den Unterarm, grub die Zähne tief in das Fleisch des Trolls. Der schrie, nahm den Dolch und rammte ihn seinerseits in die Seite der Katze, so tief und so tödlich wie er versuchen konnte, erwischte dabei aber zumeist nur das lose Fell und erst nach dem dritten Anlauf etwas Fleisch. Die Katze interessierte es aber nicht mehr: Mit letzter Kraft schlug sie mit ihren Vorderpranken nach dem Troll, riss die Kleidung auseinander, biss immer wieder auf den Arm und meinte ein leises Knirschen von Knochen zu vernehmen.

Doch das Knirschen kam nicht von Tebo und auch nicht von der Katze, sondern von dem Vorsprung, auf dem die beiden kämpften. Dieser knirschte und kackte, brach schließlich und ließ beide, die sich ineinander verbissen, verkrallt und verkeilt hatten, in die Tiefe stürzen. In die Tiefe und die Schwärze.

Stunden vergingen. Die Nacht war längst angebrochen, als Teborasque wieder zu sich kam. Zuerst dachte er, er wäre schon bei den Ahnen, doch die Schmerzen in seinem Arm, seinen Schultern und Rücken verrieten ihm, dass er sehr wohl noch unter den Lebenden weilte. Sein nächster Gedanke gehörte der Katze, die so dicht neben ihm lag, dass er den warmen, feuchten Atem des Tiers in seinem Nacken spürte. Und noch immer umklammerte seine rechte Hand den blutverschmierten Dolch.

Ein Schlag…nur noch ein Schlag trennte ihn vom Sieg. Mühsam richtete er sich auf, betrachtete die dort liegende Katze, die regungslos vor ihm auf der Seite lag, die beiden Pfeile in ihrer Flanke nach oben zeigend, obwohl sie schon auf halber Länge abgebrochen waren. Das goldene Fell des Tiers, besetzt mit schwarzen Flecken, war an vielen Stellen blutverschmiert. Blut von Pigedi, von Tebo und von der Katze selbst.

Pigedi…diese Katze hatte seinen Begleiter getötet. Wut kochte in Teborasque hoch. Er musste sie töten. Er musste…

Nein…dieses Tier war wehrlos. Es war ein ungerechter Kampf, den er da auszufechten gedachte. Zwar wäre es ein Sieg, doch ein befleckter. Und obwohl seine animalische Seite ihn immer wieder beschwor, ihn anbrüllte, er solle das Tier endlich töten, die Kehle auftrennen, vom Blut trinken und dann laut schreiend die Rache seines Gefährten ausleben, war es doch die Ehrenhaftigkeit von ihm als Troll und den Lehren seiner Ahnen, die ihn von diesem Schritt abhielten.

Er war eine Bestie, doch nur zum Teil. Und er kontrollierte sein animalisches Selbst – nicht andersherum.

„Los…bring es zu Ende.“ hörte er eine schwache Stimme, deutete sie im ersten Moment als seine eigene innere Stimme, so schwach und leise war sie. Doch sie klang anders…sanft und dennoch kraftvoll und gequält. Wieder sah Tebo zu der Katze…

…und realisierte erst jetzt, dass das Tier ebenfalls erwacht war und ihn anstarrte.

„Bring es zu Ende und nimm…deine Beute, Troll. Ich bin…geschlagen.“ winselte die Stimme, während die Katze ihn anstarrte und dann blinzelte. Tebo konnte sich dem Blick des Tieres nicht entziehen, sah darin den Ursprung dieser Stimme, obwohl sich die Lippen des Tiers nicht merklich bewegten. Jemand anders hätte vielleicht nur ein leises Fiepsen oder Grummeln gehört, doch in Tebos Kopf machten die Worte Sinn und er verstand sie.

Wohl deswegen, weil seine animalische Seite ihn dazu befähigte.

Tebo erhob sich langsam und steckte seinen Dolch weg.

„Nein, ich werde dich nicht töten, Wildkatze. Es ist keine Ehre darin, ein wehrloses Tier zu erlegen. Ich schenke dir das Leben.“ sagte er und wollte sich abwenden.

Die Katze fauchte leise, wollte sich aufrichten und winselte, als sie spürte, wie es nicht ging.

„Leben schenken…den Geiern preisgeben. Mein Körper ist besiegt, ich werde mich nicht wehren können. Schenke mir einen schnellen Tod, ehe die anderen mich mit einem langsamen strafen und mir meine Wehrlosigkeit vorhalten.“

Bitterkeit schwang mit der Stimme mit. Tebo blieb stehen, betrachtete seine eigenen Wunden.

Im Vergleich zu dem, was die Katze haben musste, waren sie vergleichsweise gering. Sein Arm sah zwar schrecklich aus, würde aber gewiss heilen und eine schöne, zierende Narbe behalten. Seine Kleidung war zwar nicht mehr viel mehr als Müll, doch immerhin hatte sie ihn vor schlimmerem geschützt. Die Katze besaß so etwas nicht, war entsprechend schwer verletzt worden.

Reue breitete sich in dem Jäger aus. Nein, ihn sich selbst überlassen konnte er diesen Gegner nicht. Die Wunden, die er in seine vorherige Beute geschlagen hatte, waren zu tief, als das sie sich allein davon wieder würde erholen können.

Er drehte um.

„Tu es, Jäger. Tu deine Pflicht als Jäger und nimm die Beute.“ flehte die Stimme schon fast. Das Ende erwartend schloss die Katze ihre Augen.

Ein fauchender Schrei entfuhr ihr, als ihre Seite, ihr Bein, erneut vor Schmerzen entflammten.

„JÄGER! Quäle mich nicht, mach es schnell!“ zischte die Katze, sich verspannend und das Ende erhoffend. Doch dann wurden die Schmerzen weniger.

„Halt still du dummes Tier. Ich werde dich nicht umbringen. Das wäre ebenso unehrenhaft, wie dich hier hilflos zurück zu lassen.“ knurrte Tebo.

Die Katze öffnete ihre Augen und sah zu dem Jäger, der den Pfeil, der in der Hüfte steckte, ergriffen hatte und mit einem kräftigen Ruck daran zog, um nur Momente nach dem Herausziehen eine zähe Flüssigkeit auf die entstandene Wunde zu träufeln. Mit einem Schlag waren die Schmerzen so intensiv wie seit dem Treffer nicht mehr. Doch ebenso schnell wie sie gekommen waren, erstarben die Schmerzen auch wieder. Der Jäger hatte die Pfeile entfernt und die Wunden versorgt, träufelte nun auch etwas von der Tinktur in die Dolchwunden am Bauch.

Schmerzen vergingen und der Katze schien es besser zu gehen. Die abgebrochenen und blutverschmierten Pfeile warf Teborasque zur Seite, blickte stattdessen auf die Katze.

„Du wirst überleben. Schlafe die Nacht und am kommenden Morgen wirst du wieder stehen können. Es wird ein paar Tage dauern, doch du wirst wieder voll genesen.“ erklärte der Troll, sich dann von der Katze abwendend.

„Wozu tust du das, Jäger? Damit ich das nächste Mal eine ehrbare Beute für dich darstelle?“ fauchte die Katze hinterher.

„Nein. Ich werde dich nicht länger jagen. Wir hatten unseren Kampf. Das ist genug.“ antwortete der Troll, noch einmal zu der Katze sehend, ehe er weiterging.

Stunden war Tebo nun zu Fuß unterwegs gewesen. Ein Teil seiner animalischen Seite verstand nicht, wieso er das getan hatte. Bestienmeister nannte er sich zum einen, Pfeil der Horde zum anderen. Wie konnte er ein ehrbarer Jäger sein, wenn er seinen Gefährten im Kampf fallen sah und ihn nicht rächte?

Doch wie konnte er ein ehrbarer Krieger sein, der er ein wehrloses Opfer erschlug oder es sich selbst und dem langsamen Tod überließ? Was war wichtiger? Ehrbarkeit oder Rache? In beidem lag Gerechtigkeit in gewissem Maße. Doch die Antwort auf die richtige Lösung wollte ihm nicht kommen. Vielleicht war-

Er stockte in seinem Gedanken. Schon vor ein paar Minuten hatte er gemeint, etwas gehört zu haben. Jetzt war er sich dessen sicher: Ein schleifendes Geräusch folgte ihm, kam langsam immer näher. Jetzt war Teborasque stehen geblieben und drehte sich langsam um. Unmerklich wanderte seine Hand zu seinem Dolch, während er in die Dunkelheit hinein starrte.

Er staunte nicht schlecht, als er die Katze, die er so erbittert gejagt hatte, erblickte, wie sie auf drei Beinen zu ihm humpelte, den linken Hinterlauf hinter sich her ziehend und über den Boden schleifend. Die ganze Strecke über war ihm diese Katze nun schon gefolgt, fast bis nach Durotar. Doch wieso?

Teborasque starrte die Katze an.

„Jäger. Ich ging tot, doch du hast mir das Ende verwehrt. Mein Leben gehört dir. Deswegen gehört auch mein Leib dir.“

„Ich schenkte dir dein Leben.“

„In gewisser Weise ja und doch nein. Du hast entschieden, mich nicht zu töten, obwohl mein Leben im Moment meiner Niederlage schon entschieden war. Mein Leben lag in deiner Hand…und das liegt es auch jetzt noch. Du allein hast das Recht, über mein Leben und meinen Tod zu entscheiden. Jetzt und bis zum Ende meines Lebens, das du mir geschenkt hast.“

Mit diesen Worten schritt die Katze an Teborasque heran und lehnte sich an sein Bein – besser gesagt: An seine Hüfte.

Da es offensichtlich sinnlos war, sich weiter gegen die tödlich genaue Logik dieser Katze zu wehren, akzeptierte Teborasque sie als Gefährten. Der Orc in Orgrimmar indes…nun…er erhielt den Kopf als Beweis für die Taten von Teborasque. Allerdings nicht so, wie er erwartet hatte, denn der Körper war noch an dem Kopf dran und ließ den Orc mit Fauchen und scharfen Krallen als Argument schnell die Goldmünzen aus seiner Tasche ziehen.

Die Tage vergingen und bereits nach einer Woche waren die Spuren ihres Kampfes verschwunden. Die Katze lief wieder wie ein neugeborenes Junges, behielt nur einige dunkle Stellen an der rechten Hinterpfote von der langen Schleiferei über den Boden zurück.

Doch die Spuren verheilten nur äußerlich. Innerlich wussten die beiden nur zu gut über ihren Kampf. Die Spuren waren es, die sie zusammenhielten…und nicht wieder trennen sollten.

Erst als Teborasque erkannte, welche Agilität, Weisheit, Geschwindigkeit und welche Energie in seinem neuen Begleiter steckte, fiel ihm der passende Name für seinen felinen Gefährten ein.

Swift.

Published inWarlock - Geschichten eines Hexers

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