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Kapitel 6 – Wegekreuz

Donnerfels. Stadt der Tauren. Stadt auf den Klippen.

Vadarassar hatte diese Stadt nicht gemocht. Nein, es lag nicht an der Architektur oder der Tatsache, das diese Anhöhen von einer Vielzahl wandelnder Fellkleiderschränke bewohnt wurde, denen Vadarassar gerade einmal bis zur nicht vorhandenen Brustwarze reichte, nicht einmal dieses idyllische Grün-Braun-Farbgemisch oder der Geruch von frischen Waren. Ebenso wenig war es das helle Licht, das dem Hexenmeister, der dunkle Farben bevorzugte, geradezu unangenehm hell und blendend auffiel. Es war einzig und allein die Höhe, auf der diese Abart der Riesenbergziegen, die sich selbst Tauren nannten, ihre Stadt errichtet hatte.

‚Hervorragender Überblick’, ‚Nähe zum Himmel’ und ‚Strategisch gut zu verteidigen’ waren die Argumente für diese hohen Klippen, die mit windigen Strickleitern, bei deren Anblick sich Vadarassar mehrmals fast schon in die robenumwehten Hosen gemacht hätte, so verbunden waren, das man entweder tollkühner, lebensmüder Held oder jemand mit extremer mentaler Debilität sein musste, um sie als ‚sicheren Weg’ bezeichnen zu können. Es verblüffte Vadarassar geradezu, dass rings um die Klippen am Boden nicht massenweise Skelette von jenen herumlagen, die über die nicht vorhandenen Absperrungen der Ränder gefallen und hinab in den Tod gestürzt waren. Entweder hatten die Tauren, die diese Höhen bewohnten, auf ihrem Rücken irgendwo versteckte Flügel, mit denen sie sich im Fall des Falles vor einem tödlichen Sturz zu schützen wussten oder jeder mehr Schutzengel, als in die größte Taverne Orgrimmars jemals hinein passen würden.

Mit der stummen und stillen Entscheidung beschloss Vadarassar, die Erklärung darin zu finden, dass Tauren allesamt amtlich und gehörig einen an der Klatsche hatten, was auch das eigenwillige Hobby der männlichen Tauren erklärte, sich frisch dampfende Metallringe durch die Nasenlöcher zu schieben, die einem Orc allerhöchstens als primitiver Armreif gepasst hätten…allerdings dann bittesehr vorher abgekühlt, ja?

Mit der innerlichen Beruhigung, endlich dieses Land der riesigen Irren zu verlassen, stieg Vadarassar auf einen der Windreiter, der ihn wieder zurück zu dem Wegekreuz bringen sollte.

Wegekreuz. Eine derart einfallslose Bezeichnung für einen Ort konnte man nur mit dem kombinierten Verstand von Tauren, Orcs und Furbolgs erdacht haben. Kreuzstraße, Ebenenherberge, Brachlandia – alles wäre einfallsreicher gewesen als das simple ‚Wegekreuz’. Ja, es kreuzten sich zwei lange Wege in der Mitte dieser Siedlung…und deswegen dieser Name? Wahrlich – wer sich das erdacht hatte, dürfte wohl nicht älter als drei gewesen sein und in seinem Vokabular weit mehr als ‚Dada’, ‚Mumu’, ‚Lala’ und ‚Popo’ gehabt haben.

Noch immer über diese Gedanken sinnierend blickte Vadarassar von seinem Windreiter hinab. Mulgore, das Land der Tauren, sah richtig schön idyllisch aus. Weite Wiesen, keine Spur von Trockenheit oder Verderbnis, die die Brennende Legion über viele Teile der Welt gebracht hatte. Trotz seiner Zuneigung zu Tod und Zerstörung berührte es ihn doch ein wenig, wenn er eine Gegend sah, die nicht verheert worden war.

Bald schon überflog er jenen Außenposten der Tauren, der Camp Taurajo genannt wurde.

Camp Taurajo – DAS war ein Name für eine Siedlung. Ein Camp, also keine Stadt, und ein ordentlicher Name, der unmittelbar auf die Bewohner anspielte. Nichts Blödes wie ‚Mulgoreweg’ oder dergleichen, sondern wirklich ein ordentlich erdachter Name. Offenbar hatten die Tauren doch mehr im Kopf, als er bei ‚Wegekreuz’ als Namen erdacht hatte.

Der Windreiter folgte der Straße gen Norden, vorbei an vielen Kodos und Donnerköpfen, wie diese wilde, blitzespeiende Abart der Kodos genannt wurde. In einiger Entfernung fiel ihm eine Taurin auf, die gerade von drei dieser Bestien eingekreist wurde. Sie sah noch jung aus – weit jünger als Nibaya, die er nach Donnerfels begleitet hatte. Ihrer Kleidung nach zu urteilen war sie allerdings auch eine Druidin, nur veränderte diese nicht ihre Gestalt zu einem Bären oder gar einer Katze, um sich zu wehren, sondern rief stattdessen mächtige Ranken aus dem Boden….was diese Donnerköpfe allerdings nicht daran hinderte, ihr ihre Blitzschläge entgegen zu werfen. Nein, es stand offensichtlich nicht gut um die Taurin. Und allein schon deswegen, weil Nibaya eine solch freundliche Gefährtin gewesen war glaubte Vadarassar sich in der Pflicht, dieser jungen Taurin zu helfen.

Normalerweise war es nicht möglich, ein Flugtier wie einen Windreiter von seinem festen Weg, den er zwischen zwei Punkten finden sollte, abzubringen oder gar zur Landung zu zwingen. Die sanften Überredungskünste des Hexenmeisters, bestehend aus zwei Flüchen und einem Dolch der sich gegen die Kehle des Tiers zu drücken begann, überzeugten diesen jedoch so sehr von der Dringlichkeit der Bitte, das er in den Sturzflug über ging, sich drehte und Vadarassar knapp über dem Boden herunter springen ließ, um kurz darauf, in seiner eigenen Sprache Tod und Verderben hinter dem Hexer her fluchend, den Weg fortzusetzen.

Vadarassar landete inmitten der Schar und genau vor der Druidin, die bereits auf die Knie gesunken und damit genau so groß wie Vadarassar war. Zynisch irgendwie, denn sie war klar erkennbar und weitaus jünger als er.

Vadarassar setze zu einem lauten Schrei an, einem schnellen Zauber, der die perplexen Tiere in eine solche Panik versetzte, dass sie allesamt die Beine in die Schuppen legten und davon sputeten, als hätte man ihnen die Rückenschuppen auf links gedreht.

„Bist du in Ordnung?“ fragte der Hexenmeister mit schroffer Stimme. Die junge Taurin nickte sachte und erhob sich, offenbarte dennoch einige Wunden von den Blitzschlägen. Zwar hatten ihre dünne Lederbekleidung und ihr Fell die meisten Blitze gut abgeschirmt, doch einige hatten ihre Spuren hinterlassen.

„Los – auf die Beine. Die Viecher werden nicht ewig weg bleiben. Und wenn ihr Anflug von Panik verflogen ist, werden sie mit noch mehr Tieren aus ihrer Herde zurück kommen. Der Zauber hält nicht ewig.“ drängte der Hexer zur Eile, trieb die Taurin an und über die Brücke in Richtung Wegekreuz.

Ein weiterer der roten Riesen sank getroffen zusammen. Die rechte Seite war von Krallenspuren überzogen, Bissen hatten die Beine einbrechen lassen, während die linke Seite von einem Dutzend Pfeilen durchsetzt war, der Kopf mit zwei weiteren gespickt nur noch schlaff nach unten hing und Blitze dank einem Pfeil, der das Maul versiegelt hatte, schon lange nicht mehr hinaus treten konnten.

„Nummer neun für heute.“ triumphierte Teborasque über sein eigenes Talent, obwohl er ja nur gerade die Hälfte dessen getan hatte, was nötig war, während sein Gefährte sich dem Tier entgegen geworfen hatte. Das Rückenfell des Geparden dampfte noch ein wenig von einem Blitz, der ihn gestreift hatte. Rasch rieb Tebo mit seiner Hand darüber und betrachtete seinen Kameraden.

„Alles in Ordnung?“ fragte er diesen und der Kater blickte seinen Herrn mit grimmigen Augen an. Jemand anders als Teborasque hätte das wohl nun als Drohung verstanden, doch die Ohren des Trolljägers verstanden genau, was der Gepard ihm zuknurrte.

„Ein paar angesengte Haare. Nichts weiter. Die großen Viecher sind viel zu langsam und ungelenkig.“

Teborasque nickte. Die großen Bestien waren wirklich kein Problem für sie beide. Sie hätten sogar zwei von denen zur gleichen Zeit erlegen können, so leicht waren sie für die beiden auszuschalten.

Etwas rumpelte hinter ihnen. War es eine weitere dieser blitzespuckenden Bestien? Teborasque drehte sich mit einem siegessicheren Grinsen um…..und erstarrte. Mit einem Schlag wich ihm die Farbe aus dem Gesicht.

Die Veränderung kam so schlagartig, das auch Swift sich umdrehte und nachsehen wollte, was seinen Herrn da gerade so einen Schrecken eingejagt hatte.

Donnerköpfe. Nicht einer, nicht zwei oder drei. Nein….Teborasque vermutete es waren…..alle…

„Lauf!“ rief der Jäger noch und sprang auf, vergaß den gerade erlegten Kadaver zu häuten oder die benötigte Galle zu entnehmen, streifte sich den Bogen über die Schulter und nahm die Beine in die Hand. Swift ließ es sich nicht zweimal sagen und spurtete los, ließ seinen natürlichen Trieb, so rasant wie nur der Wind zu rennen, freien Lauf und stürmte gen Norden und Richtung Wegekreuz. Teborasque folgte kurz hinter ihm, fühlte sich von dem Aspekten, der seinem Gefährten glich, durchströmt und spürte, wie seine Füße immer größere Schritte machten, ohne dabei an Bewegungstempo zu verlieren.

Weg…nur schnell weg hier. Wer um alles in der Welt war irre genug, ALLE dieser Donnerbestien GLEICHZEITIG derart zu verärgern? Wer konnte so unglaublich bescheuert sein?!?

Sein Blick zu den anderen beiden fliehenden und speziell den Umhang des dafür offensichtlich verantwortlichen beantwortete seine Frage, als erst Swift und dann auch er an ihm vorbei ins Dorf hinein stürmten.

„Ein Hexenmeister! So etwas Dämliches kann auch nur einer von euch ausgeflippten Kerlen machen Mann!“ fluchte Teborasque atemlos, als er endlich zum Stehen kam und hörte, wie die Wachen der Stadt hinter ihm in Position gingen. Fast gleichzeitig zog er seinen Bogen, um sie nach bestem Wissen und Können zu unterstützen.

„Ach mach den Hals zu du dümmlicher Troll.“ dröhnte der Hexer, sich seinerseits den Bestien zuwendend. Seine Augen flimmerten vor Feuer und Dunkelheit zur gleichen Zeit, als er einen lila leuchtenden Kreis um sich zog, der rasch größer wurde. Mit einem Finger tippte er hinein und riss einen kleinen, unförmigen Schatten heraus.

Fast hätte Swift das Ding für eine Maus gehalten und es verschlungen, bemerkte aber im letzten Moment die dämonische Aura um das, was er sah: Ein Wichtel.

„Was willst du denn?!“ zischte der kleine Wichtel und kassierte dafür von Vadarassar zur Begrüßung eine Kopfnuss. Sein Haupt reibend blickte der Kleine den anrückenden Horden entgegen und nickte grummelnd.

„Das stand aber nicht in meinem Vertrag!“ zischte er wieder, fing sich dafür die zweite Kopfnuss des Tages. Das reichte ihm zur Überzeugung und ließ seine Hände vor Feuer glühen. Vadarassar tat es ihm ähnlich, ließ seine Hände aber in der gleichen Schwärze wie jener, die diesen Kleinen Wichtel beschworen hatte, aufglühen. Ein Feuer- und kurz darauf ein Schattenblitz verließen den Wichtel und seinen Herrn, trafen das führende Monstrum, gefolgt von einer Landung Pfeile, die von Teborasque stammten. Das reichte dem Tier, um es nieder zu reißen. Die dahinter kamen ins Stocken, strauchelten über den gestürzten Kameraden, wurden langsamer und teilweise von Panik ergriffen, als ein Hagel aus Feuerblitzen, Schattenkugeln und Pfeilen auf sie zu donnerte, dicht gefolgt von vier schwer gepanzerten Hordenwachen, die laut brüllend auf die Monster zu rannten.

Ihr Vorwärtskommen stockte. Stattdessen drehten die meisten Tiere um und flohen, so lange sie noch eine Chance sahen, mit halbwegs heilen Schuppen zu entkommen. Nur zwei entkamen wirklich unversehrt, der Rest war gespickt mit Brandblasen und Pfeilen.

„Also – hat doch funktioniert.“ gratulierte Vadarassar sich selbst und seinem kleinen Diener, der neben ihm stand und herum fuchtelte, als hätte er ganz allein für den Sieg die Verantwortung verdient.

„Jetzt hör mal zu du Großmaul! Lass mich sofort frei oder ich brenne dir so was von ein Loch in deine-“ begann der Wichtel, doch der Hexenmeister zeigte nur mit einem Finger auf den Wichtel.

„Verschwinde!“ grummelte er.

„-Robe das du…“ konnte der Wichtel noch sagen – weiter kam er nicht, dann verging er in einer kleinen, schwarzen Wolke und einem leisen *puff*.

Sowohl die Taurin als auch der Troll starrten den Hexer fassungslos an.

„Er ist wieder dort, wo ich ihn her geholt habe.“ beruhigte der Hexenmeister mit einer sicher wirkenden, nickenden Geste. „Dort kann er sich abkühlen, bis ich ihn das nächste Mal brauche.“

Abkühlen?

ABKÜHLEN?!

Diesem Orc…diesem….oooohhh…diesem….

Jubtuk würde es diesem Möchtegernhexenmeister schon noch zeigen! Wenn er nur nicht so verdammt groß wäre dieser Mistkerl!

„Wieso brüllst du so rum?“ fragte eine dumpfe Stimme so langsam, das Jubtuk davon fast eingeschlafen wäre, wäre er eben kein Dämon gewesen und nicht so unglaublich wütend.

Ein großer, blauer Schatten schälte sich aus der Schwärze der Unendlichkeit, in der die Dämonen hausten.

„Wieder…er hat mich WIEDER nicht ausreden lassen! ICH mache die Drecksarbeit, werde VORGESCHICKT und ER streicht die LOORBEEREN dafür ein! DIESER MISTKERL von einem…“

„Er ist unser Meister. Er, der uns aus dem wirbelnden Nether in diese Zwischenwelt geholt hat.“ sagte der Leerwandler einschläfernd. „Er ist der Herr. Wir sind die Diener. Du dienst, ich diene. Wir dienen.“

„Ach du mit deinem begrenzten Verstand…du hast zu oft eins auf die Zwölf bekommen! Deswegen redest du auch so langsam!“ fluchte Jubtuk weiter. Seine Wut kannte keine Grenzen. Wieder umgaben Flammen seine kleinen Finger und er hätte diesen dämlichen Leerwandler am liebsten gegrillt, wenn…ja…wenn seine Magier hier VERDAMMT NOCHMAL FUNKTIONIEREN WÜRDE!

„Du bist doch wirklich ein Armer Irrer. Lockst mal eben kurz die ganzen Viecher hier her! Was, wenn dein Wichtel, mein Bogen und deine Magie nicht gereicht hätten? Was, wenn die Deppen von der Allianz mal wieder gemeint hätten, hier eine Belagerung auszufechten, weil ihnen in ihrer komischen Orkanstadt so gähnend langweilig ist? Was wenn….?“ fluchte Teborasque auf den Hexenmeister ein, doch die Taurin erhob sich und ging dazwischen.

„Beruhige dich, Troll. Er wollte mir helfen, hat wohl mein Leben gerettet. Bitte, sei deswegen nicht verbittert.“

Teborasque starrte die Taurin an. Sie war eine Druidin…das sie Hilfe bedurfte verwunderte ihn sehr. Druiden galten als so mächtig wie Magier – wenn nicht sogar noch mächtiger. Sie bezogen ihre Energien schließlich nicht aus sich selbst und ihren eigenen Fähigkeiten, sondern der Kraft des Landes, dieser Welt, diesen Regionen. Gerade hier im Brachland…hier war das Land noch so voller Leben…da hätte sie mehr als genug Kraft sammeln können. Wenn sie…ja…wenn sie nur nicht so jung gewesen wäre.

Voller Respekt neigte er den Kopf und sah stattdessen zu dem Hexer.

„Das tilgt einen Teil deiner Schuld, Orc. Doch nicht alles, glaub es mir.“ brummte der Troll und schritt nun aus dem Lager heraus auf die Kadaver der vier erlegten Bestien zu. Er brauchte noch immer eine Galle…und diese vier hier waren mindestens ebenso gut wie das Vieh, das er mit seinem Kameraden allein erlegt hatte.

Hexenmeister…bisher waren sie zu nichts gutem zu gebrauchen. Das wusste Tebo. Schließlich war es ihnen maßgeblich zu verdanken, das Azeroth jetzt so aussah wie man es kannte.

Verfluchte Hexer…

Published inWarlock - Geschichten eines Hexers

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