Zum Inhalt springen

VII. Unerwartete Wendungen

Die Suche nach dem Leck im undichten Buick zieht sich über Stunden hin. Nachdem Samira alle Dichtungen ausgewechselt, alle Schläuche überprüft, den Kühler und alle übrigen Behälter auf Leckagen gecheckt und schließlich sogar die Klimaanlage mit äußerster Vorsicht untersucht hat – einen Unfall wie vor zwei Jahren, der sie fast ihr Augenlicht gekostet hat, will sie nicht noch ein zweites Mal riskieren – steht sie nun, kurz nach 18 Uhr, vor einem halb zerlegten Motor, hält den gerissenen Wärmetauscher zwischen Öl und Wasser in Händen. Ein passendes Ersatzteil liegt für so eine Antiquität von einem Wagen natürlich nicht auf Lager, muss bestellt werden. Ihr Chef jedoch hat bereits vor einer Stunde Feierabend gemacht, die Bürotüren abgeschlossen und sie als letzte in der Werkstatt zurückgelassen. Genau so, wie sie es immer gewohnt ist eben.

Zu ihrer Überraschung hat Jonas heute Überstunden gemacht und die Zeit genutzt, in der Werkstatt Ordnung zu schaffen. Lediglich die Hebebühne und der Werkstattwagen von Samira selbst muss noch aufgeräumt werden, was sich aber erledigt, da der Buick heute doch nicht fertig wird, also halb zerlegt stehen bleibt, bis der Wärmetauscher sowie die übrigen Anbauteile, die auch neu müssen, bestellt werden können.

Es ist viertel nach, als sie die Werkstatt abschließt und die Stufen zu ihrer Behausung herabsteigt. Müdigkeit macht sich in ihren Knochen breit, aber immerhin sind die Kopfschmerzen, die sie am Morgen gequält haben, nicht mehr da. Für einen Augenblick überlegt, sie, ob sie sich lediglich etwas Wasser durchs Gesicht spülen und dann so, in ihrer Arbeitsklamotte zu der Einladung mit dem Besucher ihres Chefs gehen soll. Bei dem Gedanken an den Mann läuft ihr erneut ein leichter Schauer über den Rücken. Sie kann sich nicht erklären, warum er so beharrlich ist, sie unbedingt einladen und sich irgendwie revanchieren will. Gleichzeitig spürt sie aber auch ihren Magen knurren, blickt auf das fast leere Paket Brot und die letzten beiden Konserven in ihrem Vorrat.

Im nächsten Moment hat sie bereits ihren Overall abgestreift, die Arbeitsschuhe ausgezogen und auch die beiden T-Shirts, die mittlerweile nass vor Schweiß sind, von ihrem Oberkörper gepellt. Ihre Füße schmerzen von den viel zu engen Schuhen, ihr Rücken von der krummen Haltung über der Haube des Buick, ihre Augen brennen und ihr Magen knurrt. Gerade greift sie an die Orthese an ihrem rechten Fuß, zögert, diese abzustreifen. Stattdessen steht sie auf, greift nach ihrer Jeans und zieht diese über, streift ein halbwegs sauberes, schwarzes T-Shirt mit irgendeinem Firmennamen auf der Front über den Kopf und schlüpft in ihre Turnschuhe. Jetzt rächt sich, dass sie die Orthese nicht abgenommen hat – ihr rechter Schuh passt nicht richtig, dehnt sich zu den Seiten, die Schnürsenkel zu kurz.

Sie blickt auf die Uhr – nur noch fünf Minuten. Sie schüttelt den Kopf, stopft die Schnürsenkel links und rechts in den Schuh hinein, krempelt die zu langen Hosenbeine herunter. Die wiederum rutschen fast die halbe Länge ihrer Füße nach unten, verdecken gut die Hälfte ihrer Schuhe. Dann noch ein prüfender Blick in den Spiegel – ihre Haare sind noch mit zwei Knoten fest zusammengebunden und bilden einen strengen, kurz aussehenden Zopf an ihrem Hinterkopf. Gern will sie ihn lösen, aber dazu ist keine Zeit mehr. Wenn sie das macht, sehen ihre Haare kraus und hässlich aus. Also bleiben sie so.

Mit raschem Schritt verlässt sie ihre Behausung, steigt die Kellertreppe nach oben, umrundet die Werkstatt und steht nur zwei Minuten später an der Hauptstraße.

Die Straßenlaternen sind bereits angesprungen, es dämmert. Samira kneift die Augen zusammen, versucht das sich bildende Gemisch aus Grau und Schatten besser zu erkennen, überquert schließlich, als sie meint, kein Auto mehr zu hören, die Straße und marschiert auf eine Gestalt zu, die ihr zuwinkt.

Olivier streckt die Hand zum Gruß aus, nickt ihr freundlich zu, als sie näher kommt. Statt die Hand zu ergreifen, bleibt Samira gute zwei Meter vor ihm stehen, den rechten Arm hängen lassend, während sie sich mit der linken Hand über ihren rechten Oberarm streicht. Ihr ist gerade erst klar geworden, dass dieser Mann sie nun zum ersten Mal nicht in ihrer Arbeitskluft sieht, sie so nicht verbirgt, was sie Menschen gegenüber doch unbedingt verbergen will.

Er hält seine Hand noch einige Augenblicke zum Gruße hin, ehe er versteht, dass sie ihre Distanz schätzt. Dann wendet er sich stattdessen um, deutet mit der noch immer zum Handschlag erhobenen Hand auf die Tür des italienischen Restaurants hinter sich und dreht sich dabei ein wenig in Richtung Restaurant.

„Schön, dass du hier bist. Komm, ich habe einen Tisch reserviert.“

Der Kellner, der die Reservierung aufgenommen hat, verzieht das Gesicht, als er Samira, die ein gutes Stück hinter Olivier steht, erblickt. Mit so viel Höflichkeit, wie er in der ihm anzusehenden Abscheu in der Lage ist aufzubringen, fragt er, ob die beiden an getrennten Tischen Platz zu nehmen wünschen, was Olivier entschieden verneint und damit den kurzen Funken Hoffnung in Samiras Augen schlagartig wieder verlöschen lässt. Einen kurzen Augenblick versucht der Kellner sich noch zu winden, dann greift er zwei Menükarten, dreht sich in eine Richtung und deutet an, ihm zu folgen.

In der hintersten Ecke des Restaurants, direkt neben dem Abgang zum Keller und einem Lagerraum, wischt der Kellner einen leicht staubigen Tisch mit einem Lappen grob sauber, bedeutet den beiden, an diesem Platz zu nehmen. Olivier verdreht die Augen, dankt aber dennoch dem Kellner für seine Mühe und tritt an die Seite, deutet auf die Bank, während er zu Samira blickt.

„Du darfst gerne auf der Bank Platz nehmen, wenn du möchtest. Ich nehme mir dann einen der beiden Stühle.“

Die Tigerdame atmet tief ein, beißt auf die Zähne, nimmt dann langsam Platz. Der Platz auf der Bank, die in der Wand eingelassen ist, bietet ihr in der Tat einen strategischen Vorteil, den der Mann nicht bedacht hat. Hier sieht sie alles und jeden, kann sie niemand überraschen, ihr niemand unerwartet zu nahe kommen. Als sie sich mit ihrem Rücken an die harte, kalte Wand anlehnt, kehrt zum ersten Mal seit fast einer Stunde ein Hauch Ruhe in ihrem wild brodelnden Kopf aus Horrorfantasien ein. Dann aber reißt sie ihre Augen wieder etwas auf, als er sich dicht an das Fenster, das von der anderen Seite gänzlich mit Werbung beklebt ist und so keinerlei Blick nach draußen erlaubt, setzt, ihr so den eventuellen Fluchtweg komplett freihält. ‚Er hat das geplant. Und er versucht Rücksicht zu nehmen. Oder irre ich mich da?‘ denkt sie für einen Augenblick.

Er rückt den Stuhl neben sich ein wenig weiter nach außen und nach hinten, sieht zu ihr hinüber. „Du darfst dein Bein hochlegen wenn du möchtest. Keine Sorge, es wird keiner sehen.“

Sie legt den Kopf schief. „Warum?“ entfährt es ihr schließlich. „Erst das heute Mittag und jetzt schon wieder. Warum?“

„Weil du hinkst.“ erwidert er mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit, als wäre es offensichtlich.

„Du hast heute Mittag im Büro merklich auf deinem linken Bein gestanden und deinen rechten Fuß entlastet. Und als du eben über die Straße gelaufen bist, hast du sehr deutlich sichtbar gehumpelt. Die Stufen hast du normal genommen – am Knie liegt es also nicht. Du hast dir also wahrscheinlich den Fuß verletzt und willst es dir nur nicht anmerken lassen. Aber deine Schauspielkunst ist nicht sonderlich gut, wenn ich das sagen darf. Also – leg deinen Fuß ruhig hoch, wenn es sich besser anfühlt.“

Sie starrt ihn an. Für einen Augenblick ist sie einfach nur wütend. Dann beißt sie ihre Zähne zusammen, lehnt sich kurz zur Seite und streckt ihr rechtes Bein aus, hebt es und legt ihre Ferse schließlich auf dem Stuhl ab. Das Hosenbein rutscht ein gutes Stück hoch, entblößt so ein wenig von der Orthese. Olivier nickt langsam, erhebt sich und streift sein Sakko aus, schlägt es über den Stuhl neben sich und legt es in der Form ab, dass ihr rechter Fuß gänzlich davon verdeckt wird.

Ein ‚Warum?!?‘ liegt Samira auf der Zunge, während in ihrem Kopf die unterschiedlichsten Horrorszenarien darum kämpfen, welche Möglichkeiten denn wohl die Schlimmeren sind. Dann greift Olivier zu den Speisekarten, reicht ihr eine der beiden und schlägt seine auf. Samira tut es ihm gleich, blickt hinein.

Buchstaben. Wörter. Viele davon auf der ersten Seite, ein Logo von dem Restaurant, wie es scheint, das Foto von den Mitarbeitern. Sie hofft, dass in der Karte irgendwo Bilder für die Gerichte sind – doch diese Hoffnung zerschlägt sich, als sie weiterblättert. Seite um Seite mit viel Text, ein paar Zahlen, kleinen Zahlen, ein paar kleinen Buchstaben oben an größeren Buchstaben dran, ganz klein geschriebene Buchstaben an der Unterseite der Seite und auf der nächsten Seite eine Wiederholung desselben. Minutenlang blättert sie, starrt sie die Buchstaben böse an, hofft, dass das Starren ihr die Geheimnisse doch irgendwie verraten mag. Doch nichts dergleichen.

„Weißt du, was du haben willst?“ fragt Olivier nach einigen Minuten. Samira antwortet nicht, hat die Menükarte wie eine Mauer zwischen sich und dem Menschen aufgebaut, verbirgt sich dahinter und weint innerlich, weil sie kein einziges dieser Zeichen deuten kann.

Zwei weitere Minuten vergehen, dann wiederholt er die Frage. „Findest du nichts, was du magst?“

Erneut Schweigen. Sie rutscht auf der Bank merklich nach unten. Plötzlich steht der Kellner am Tisch, blickt mit einer Mischung aus Langeweile und Abscheu in ihre Richtung.

„Weißt du mittlerweile, was….“

„Nein…ich…“ unterbricht sie Olivier, legt die Karte zusammen und rutscht so weit es geht auf der Bank in Richtung Fenster, weg von dem Kellner.

Der Kellner verdreht die Augen. „Wenn die Gäste noch nicht gewählt haben, komme ich gleich…“

„Nein, warten sie. Ich nehme eine Pizza Quadro Stagioni und für meine Begleiterin eine große Pizza Serrano e Rucola. Aber bitte mit doppelt Serrano wenn es geht, ja? Und zu trinken bringen sie uns bitte eine große Flasche Wasser mit zwei Gläsern.“

Der Kellner blickt Olivier wenig beeindruckt an, macht auf dem Absatz kehrt und verschwindet wieder in den Weiten des Restaurants. Olivier aber lehnt sich nach vorn.

„Du kannst nicht lesen, oder?“

Wenn Blicke töten könnten, Samira wäre in diesem Moment eine Mörderin gewesen. Ihre Augen fokussieren seinen Blick, starren mit einer ihr selbst unbekannten Kälte auf ihn ein. Noch viel entsetzlicher als das Gefühl, das sie durch diesen Ausbruch an Zorn spürt ist die Tatsache, dass dieser Mann ihrem Blick widersteht. Aber während ihr Blick von eisiger Kälte geprägt ist, wirkt seiner voller Wärme und Freundlichkeit. Eine Sorte Blick, wie sie ihn maximal von einer anderen Humanoiden einmal gespürt hat.

Ruckartig dreht sie ihren Kopf zur Seite, blickt auf das völlig überklebte Fenster, tut so, als würde sie draußen etwas beobachten.

„Wie schaffst du die Lehre und die Schule, wenn du nicht lesen kannst?“

„Schule?“ fragt Samira leicht abwesend.

„Ja. Deine Lehre ist in der Werkstatt und zwei- bis dreimal in der Woche bist du doch in der Schule.“

„Nein.“ antwortet sie, ohne den Blick auf ihn zu richten. „Bin ich nicht. Ich arbeite.“

„Moment. Willst du mir sagen, dass du seit drei Jahren in der Werkstatt arbeitest, ohne auch nur eine einzige Stunde in der Berufsschule gewesen zu sein? Und was machst du, wenn du Urlaub hast?“

„Urlaub?“

Olivier ringt um Fassung. So eigenwillig Pietro auch immer ist, er hat stets große Stücke auf den kleinen Italiener gehalten. Ganz gleich, was für ein Ganove er auch sein mag, er ist seinen Freunden und Partnern gegenüber ein ehrlicher Ganove. Aber das er sie hier derart…nein, er kann es einfach nicht glauben, will es nicht glauben. Aber was sie da sagt, wirkt ehrlich, aufrichtig. Trotzdem – er muss dem nachgehen. In Gedanken sagt er bereits den geschäftlichen Termin morgen früh ab, um mit Pietro ein weiteres, ernstes Wörtchen zu reden.

Gerade will er die zur Erwiderung ansetzen, als der Kellner, ohne ein freundliches Wort dabei zu verlieren, eine große, grüne Flasche nebst zwei Gläsern auf dem Tisch platziert, gefolgt von einem kleinen Brotkorb mit einem Töpfchen rötlicher, kräftig riechender Sauce. Dann verschwindet er, ohne auch nur ein Wort des Grußes zu verlieren.

„Urlaub.“ sagt er schließlich, als er die Wasserflasche öffnet und erst in ihr, dann in sein Glas einschenkt. „20 Tage im Jahr mindestens, an denen du frei hast. Auch Humanoide bekommen Urlaub, je nachdem, wie lange sie arbeiten.“ Dann sieht er auf. „Wann arbeitest du?“

Samira greift nach dem Glas Wasser, hebt das Glas vor ihr Gesicht, beobachtet die Gasblasen, wie sie langsam am Rand des Glases nach oben steigen. Sie zögert, dann presst sie ein „immer“ heraus.

„Wann ‚immer‘? Die ganze Woche? Auch samstags?“

Sie nickt, nimmt dann einen Schluck aus dem Glas.

„Von wann bis wann?“

Sie stellt das zur Hälfte geleerte Glas ab. „Sieben…bis neunzehn Uhr. Normalerweise. Manchmal länger. Heute kürzer.“

Die Augen von Olivier werden weit. Die Scheibe Knoblauchbrot, die er sich gerade nehmen und zum Mund führen wollte, fällt ihm auf den Tisch, während er sie ungläubig anstarrt. Dann, einige Augenblicke später, angelt er wieder nach dem Stück Brot, atmet tief durch, greift es, führt es zum Mund und beißt davon ab.

„Ich werde morgen ein paar Dinge mit Pietro klären müssen. Aber jetzt – greif zu. Du bist schließlich eingeladen.“

Sie zögert, ehe sie schließlich nach einer der Scheiben Weißbrot greift und sie unsicher in Richtung Nase führt. Es riecht nach Knoblauch, Butter, Kräutern – ein irgendwie verführerischer Duft, wie sie findet.

Noch während sie die erste Scheibe Brot kaut, bringt der Kellner bereits die beiden Pizzen. Hat Olivier noch einen normalgroßen Teller mit einer interessanten Pizza, stellt der Kellner eine übergroße Pizza vor ihr ab, die über und über mit reichlich feinen Schinkenscheiben und feinen Rucolablättern belegt ist. Die Aufforderung von Olivier, eine Extraportion von dem edlen Schinken auf die Pizza zu packen, ist der Koch offensichtlich nachgekommen, hat das Äquivalent von fast einem Pfund auf dem fast vierzig Zentimeter im Durchmesser messenden Rad aus Teig verteilt.

Sie blickt Olivier kurz fragend an, doch der nickt nur. „Muss ich mich wiederholen? Greif zu. Ich hoffe es schmeckt.“

Deutlich fühlt Samira, wie ihr grummelnder Magen, der seit dem kleinen Frühstück nichts mehr an Nahrung gesehen hat und für den Fleisch in dieser Menge und Qualität etwas ist, was sie seit Jahren nicht mehr hatte, wahre Freudentänze in ihrem Bauch veranstaltet, als sie den ersten Bissen der Pizza probiert. War bis gerade noch die Angst vor diesem Mann die herrschende Kraft in ihrem Körper, ist es nun der Appetit, der Hunger, das Verlangen, so viel wie möglich davon in sich hinein zu stopfen.

Olivier blickt fast schon etwas eingeschüchtert zu ihr, wie Samira mit einem Mal deutlich zeigt, dass ein nicht unwesentlicher Teil Tigergene in ihr stecken, wie sich ihre Zähne in den Teig bohren, die feinen Schinkenstreifen zerreißen, sie weniger kaut und mehr schlingt, während ihr Körper innerlich das erste Festmahlseit Jahren, das sie ihm bietet, mit leichten Zuckungen unter ihrer Kleidung begleitet. So dauert es keine zehn Minuten, bis sie die Pizza fast gänzlich in sich hinein gestopft hat, das letzte Stück in Händen hält und zum ersten Mal seit langem eines spürt: Sättigung.

Eine gute Vierteilstunde später, in der Olivier nur beobachtet, wie Samira den Kopf nach hinten an die Wand anlehnt, die Augen schließt und sich, die Hände auf ihrem Bauch gefaltet entspannt, erhebt er sich, nickt er ihr kurz zu, deutet in Richtung Eingang und redet dort – für sie gerade noch so erkennbar, allerdings aufgrund der schlechten Beleuchtung nur unscharf zu sehen – mit dem Kellner, drückt ihm einige Geldscheine in die Hand. Für einen kurzen Augenblick wirkt es wie ein Streit, dann aber senkt der Kellner den Kopf, wendet sich um. Olivier indes kehrt zurück an den Tisch, reicht seine Hand in ihre Richtung.

„Wenn du nichts mehr möchtest, können wir gehen. Brauchst du Hilfe?“

Samira blickt auf seine Hand, hebt dann ihren Fuß von dem Stuhl und stellt sich, ohne ein Wort zu sagen, aber dafür mit leichtem Kopfschütteln langsam wieder hin. Ihm gegenüber gibt sie es zwar nicht zu, aber die knappe Dreiviertelstunde, in der sie in Ruhe gesessen, gegessen, sich ausgeruht und ihren Fuß hochgelegt hatte, war eine Wohltat. Entsprechen steht sie ohne jegliche Probleme auf, drückt sich an die Wand und damit in einen möglichst großen Abstand zu ihm, während er sein Sakko greift und wieder überstreift. Dann wendet er sich in Richtung Ausgang, blickt noch einmal zu dem Kellner, der erst ihm, dann ihr – nun ungewöhnlich und unnatürlich freundlich – zunickt und einen angenehmen Abend wünscht, ehe beide das Restaurant verlassen.

„Ich hoffe du bist satt geworden.“ sagt Olivier vor der Tür.

Samira nickt nur leicht, ihr Blick schon wieder auf die Werkstatt gegenüber gerichtet.

„Aber…bevor ich mich verabschiede, ich habe gänzlich vergessen, mich vorzustellen. Bitte entschuldige diese Unhöflichkeit.“ sagt er und deutet eine leichte Verbeugung an, reicht ihr erneut seine Hand – zum dritten Mal an diesem Abend. Und erneut ergreift sie diese nicht, blickt sie diesmal nicht einmal an.

„Olivier van Mernue. Es war mir eine Freude, heute Abend ein wenig von dir zu erfahren.“

„Ja…danke. Ich…bin Samira.“ presst sie schließlich heraus, ehe sie sich schon fast zum Gehen wendet.

Er lächelt jedoch immer noch freundlich in ihre Richtung. Offenbar hat er sie haargenau verstanden, geht einige Schritte zur Seite, wendet sich schließlich selbst ab. „Eine angenehme Nacht. Ich hoffe du bist bald wieder vollkommen in Ordnung.“

Die letzten Worte hört sie nur noch ganz vage – ist sie doch schon in schnellem Schritt über die Straße und zurück in Richtung Werkstatt unterwegs.

Published inDas Leben von Samira

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner